Irgendwie war ich schon immer im Herzen Reisende. Es fing an mit der veralteten Weltkarte in der Wohnung meiner Kindheit und zog sich zu einsamen Abenteuern auf dem Balkan bis Istanbul. Die Sehnsucht, woanders zu sein, ist nicht einfach eine Flucht; sie gleicht mehr einer Lust, einem unendlich scheinenden Appetit auf die Schönheit und Vielfalt dieser Erde.
Mittlerweile habe ich selbst einen Sohn und reise nicht mehr allein. Nun wäre ich gern an einen südlichen Strand geflogen und hätte Salzluft geatmet, aber Maskenpflicht und Distanzregeln verderben mir die Aussicht auf eine solche Reise. Darum fasse ich ungewohnte Pläne und belade an einem sehr heißen Julimorgen unser Fahrrad mit Zelt und Proviant – wir fahren am Rhein entlang bis zum Bodensee! Nach zwei Tagen radelnder Erkundung dieser unbekannten Gegend trifft mein Blick von einer Anhöhe auf den Ort Kaiserstuhl. Ich weiß noch nicht, wo ich gelandet bin, aber der Anblick eines stählernen Himmels, vor dem der Obere Turm und ein Umkreis von mittelalterlichen, barocken Häusern aufscheinen, die über dem Rhein liegen und um das satte Grün von großen Bäumen strahlen, führt mich in eine Welt ein. Mir wird in der Tiefe etwas neu vertraut, das ich nicht fassen kann; mir scheint, ich begreife eine Stimmung wie ein Panorama. Und auf einmal, wie zum ersten Mal, verstehe ich die mittelalterliche, die alemannische Welt, Märchen und Legenden, christliche Tradition und das Phlegma, das hier über allem liegt. Glänzend und gewichtig steigt der Anblick in mir auf und ich staune über seine Schönheit. Im Nachhinein scheint mir, hier traf ich den Ursprung der Reiselust: den Wunsch, alles Fremde in sich selbst zu fühlen.
Bild: Kaiserstuhl, Foto: Franka Henn