Mit der Gegenwart ins Gespräch kommen

Die Sektion für Schöne Wissenschaften feierte ihr 100. Jubiläum.


Vom 19. bis 20. Oktober fand im Kleinodienhaus in Dornach ein Treffen der Sektion statt, anlässlich von 100 Jahren Weihnachtstagung und der Gründung der Sektion im Dezember 1923. Die Sektionsleiterin und Verantwortliche für die Länder- und Fachgruppen der Sektion, Christiane Haid, hatte aktiv tätige Mitglieder aus Nordamerika, den Niederlanden, Belgien und Deutschland eingeladen. Das anderthalbtägige Treffen wurde noch erweitert um das alljährlich stattfindende Hochschulwochenende zur 18. Klassenstunde vom 20. bis 22. Oktober.

Ein kleiner, sehr interessierter und lebendiger Kreis kam da zusammen. Die Berichte und Gespräche bewegten sich um das Kernanliegen der Sektion und ihren Auftrag, eine Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft zu sein, wie es Rudolf Steiner bei der Gründung nannte. Kunst und Wissenschaft wirken zusammen, wenn es um die schöpferischen Fähigkeiten des einzelnen Menschen geht. Das Wissenschaftliche geht vom Allgemeinen aus und sucht das Gesetz, während im Künstlerisch-Schaffenden das Individuelle am Anfang steht, um in ein Universelles zu münden. Daraus soll eine Methodik entstehen, die sich an den Herausforderungen der Bewusstseinsseele orientiert. Die Zusammenkunft begann mit einem Blick auf die Geschichte und Entwicklung der Sektion für Schöne Wissenschaften. An ihrem Anfang stand Albert Steffen als erster Sektionsleiter, der als Künstler und Dichter und verantwortlicher Redakteur der Wochenschrift ‹Das Goetheanum› eine intensive Erkenntnisarbeit über mehrere Jahrzehnte gepflegt hatte. Die ab 1963 folgenden Sektionsleiter haben, jeder und jede aus einem individuellen Antrieb und einer künstlerischen Veranlagung heraus, eine Brücke zwischen den Pfeilern von Wissenschaft und Kunst geschlagen. Der Literaturwissenschaftler Friedrich Hiebel (1963 bis 1983) und Hagen Biesantz, Archäologe und Kunstwissenschaftler (1983 bis 1987 und 1991 bis 1995), setzten einen mehr wissenschaftlichen Akzent. Zwischen 1987 und 1991 wurden die Geschicke der Sektion von einem Viererkollegium gelenkt, bestehend aus Michael Bockemühl, Karl-Martin Dietz, Manfred Krüger und Heinz Zimmermann, gefolgt von einer Interimsleitung und einem Leitungskollegium, das im November 1999 die Verantwortung für die Sektion an das Hochschulkollegium zurückgab. Eine wieder voll eingerichtete Sektion nahm ihre Arbeit 2000 unter der Leitung von Martina Maria Sam auf, die 2012 die Verantwortung an Christiane Haid übergab. Die Geschichte der Sektion skizzierend breitete Christiane Haid 2017 eine Überschau über einige Forschungsfragen neben aktuellen Aufgaben und Ansätzen aus: 1. Welche Rolle und Bedeutung hatte die Sektion in den letzten 100 Jahren in der anthroposophischen Bewegung? 2. Welche Aufgaben sehen wir heute angesichts der Zeitlage für die Sektion für Schöne Wissenschaften in der anthroposophischen Bewegung? Welche Aufgabe sehen wir angesichts der Zeitlage innerhalb des allgemeinen Kulturlebens? Es gehe darum, so schrieb Christiane Haid damals, «die Bedeutung des Werkes von Rudolf Steiner für eine ganzheitliche, mit dem Geist rechnende Wissenschaft des 21. Jahrhunderts zu erweisen» und «Verständnis und Vermittlung der kulturellen Vergangenheit in den Mysterien und Hochkulturen, die Ursprungsmythen und heiligen Texte, die aus diesen Kulturen entstanden sind unter der Perspektive der Bewusstseinsentwicklung des Menschen, als Spiegel zur Selbsterkenntnis» aufzubereiten.

Im Sprachraum Zukunft bilden

Eine offene Frage ist gegenwärtig, welche Schriften und Vorträge von Rudolf Steiner man für eine Publikation vorschlagen würde, die einen Kurs für die Schönen Wissenschaften bilden könnten, vergleichbar mit dem Landwirtschaftlichen oder Heilpädagogischen Kurs. Denn Rudolf Steiner konnte den für die Sektion vorgesehenen Kurs nicht mehr halten. Eine weitere zentrale Forschungsfrage ist die ontologische Einordnung der Schönheit und einer Wissenschaft des Ästhetischen. Es ist klar, dass die Literaturvermittlung und die Arbeit am Werk Rudolf Steiners dabei eine wichtige Rolle spielen. Literatur als ein zweckfreier Raum, der es ermöglicht, sich in einer durch Sprache erzeugten Welt aufzuhalten, ist ein zentraler Entwicklungsraum der Bewusstseinsseele. Selbstverständlich gilt es, die Sprache als schöpferische Logoskraft in ihrem Laut- und Klangaspekt neu zu entdecken und die Ebene(n) ihrer Wirkenskraft weiter zu erschließen. In den Gesprächen kamen darüber hinaus verschiedene Themenfelder sowie die Methodenfrage, die Rolle der Phänomenologie und die Inspiration durch Wesensbegegnung zur Sprache.

Die aktuelle Zeitlage und ihre ständig zunehmenden und sich vervielfältigenden Herausforderungen deuten auf eine gesellschaftliche und kulturelle Krise, in der die Sprache eine zentrale Rolle einnimmt. Seit Beginn des Bewusstseinsseelenzeitalters hat sich der schöpferische Sprachgenius allmählich aus der Wort- und Begriffsbildung zurückgezogen. Was bleibt, sind leer werdende Worthülsen, ‹Zeichen› ohne Bezug zum Lebendigen, so wie es von der Sprache getragen wird. Die Quelle dieses Lebendigen ist der Logos, die reine Möglichkeit, sich im Sprachlichen auszudrücken und zu verständigen. Noch ehe ein Wort ertönt, ist der Logos bereits wirksam.

Dazu haben in den letzten Jahrzehnten die explosive Entwicklung der digitalen Technik mit künstlicher Intelligenz und der Transhumanismus die Sprache noch weiter vom Lebendigen entfremdet. Weil diese Entwicklung alle Lebensfelder und nicht nur die Kunst angeht, hat die Sektion es sich zur Aufgabe gemacht, diese Phänomene mit größter Aufmerksamkeit und eigenständiger Forschung zu verfolgen. Auch 2024 werden sich Kolloquien und die Studientagung mit diesem Thema befassen.

Seit Herbst 2020 haben Ariane Eichenberg und Christiane Haid die Redaktion der Zeitschrift ‹Stil. Goetheanismus in Kunst und Wissenschaft›, die nun im 45. Jahrgang erscheint, übernommen. Sie ist jetzt das Organ der Sektion für Schöne Wissenschaften und der Sektion für Bildende Künste. Darin werden Ergebnisse der Forschung und Tagungsbeiträge sowie Rezensionen und Interviews publiziert. Neu ist im aktuellen Format, wie Bilder und geschriebenes Wort im Dialog eine gemeinsame Sprache des Künstlerisch-Ästhetischen entfalten, ohne ihre Eigenheit aufzugeben. Das Wort ist nicht da, das Bild zu kommentieren, und umgekehrt ist das Bild keine Illustration des geschriebenen Wortes. Dadurch kann ein Drittes entstehen – als eine erhöhte Qualität von Wort und Bild.


Foto Christiane Haid

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