Mitte Februar erschien im Newsblog ‹Waldorf Weltweit› der Freunde der Erziehungskunst Rudolf Steiners der Bericht des Umweltaktivisten Friedor Jeske zur aktuellen Lage in Myanmar nach dem Militärputsch. Ein Auszug aus dem Artikel vom 7. Februar 2021.
Stell dir vor, du wachst am Montagmorgen auf und alle Sorgen, die du am Sonntag hattest, sind so nichtig, dass sie dir selbst als Sorge entfallen: einschließlich Corona, der Klimakrise und des Bergs an persönlichem Kram, den du mit dir herumschleppst. An die Stelle dieser Sorgen tritt Angst. Die Angst vor jedem nächsten Morgen. Sie ist spürbar in jedem Einzelnen da draußen.
Gleichzeitig mit der Angst wächst der Mut und der Drang, mich zu entscheiden: Angst oder Mut, Sicherheit oder Freiheit.
Die Menschen sind erstaunlich mutig. Meine Kollegen sagten mir, sie würden sofort kündigen, sollten wir nicht etwas unternehmen. Seitdem arbeitet keiner mehr im Bereich Müll, außer mir, damit uns nicht sofort das Geld ausgeht. (Seit drei Jahren leite ich eine Organisation zur Müllvermeidung und zur Verbesserung der Abfallwirtschaft.) Jetzt am Wochenende haben die Demos begonnen. Als ich heute auf der Straße war, liefen schon Tausende, im Sinne Thailands mit drei erhobenen Fingern. Hupende Autos und Buskarawanen. Wie kommt es, dass die gleichen Menschen vor einer Woche sich mit nichts anderem zu beschäftigen schienen als mit Selfies, Essen und Katzenbildern? Jetzt stehen sie auf der Straße. Jeden Abend um acht haut ein jeder auf Töpfe ein (traditionell, um Geister zu verjagen). Es ist sehr laut und dauert oft mehr als 20 Minuten. So entsteht Mut in kleinen Schritten: Alle sind mutig, folglich kann ich auch mutig sein.
Noch etwas anderes musste ich leider verstehen lernen. Mir war es immer ein Rätsel, warum den meisten die Umweltverschandelung völlig egal war. Die zerstörten Wälder, der Müll überall … Es brach mir das Herz und deswegen habe ich in den letzten sieben Jahren auch nichts anderes als das gemacht. Und gestern, als ich wieder in den Fluss voller Müll sah, war es mir irgendwie unwichtig. Mal schauen, was mit dem Gefühl anzufangen ist.
Eine erstaunliche Zeit. Ende 2020 sagten manche, es könne kaum schlimmer kommen. Es ist ein tägliches Lernen, wie weit es abwärtsgehen kann und was der Mensch eigentlich erträgt. Ich hoffe inständig, dass ich nicht die gesamten menschlichen Untiefen kennenlernen muss. Denn was ich auch diese Woche lernen musste: Selbst von hier ist es doch noch ein langer Weg bis zu dem schrecklich schönen Gefühl, dass man froh ist, überhaupt noch mal einen Sonnenaufgang zu sehen.
Der ganze Bericht von Friedor Jeske zur aktuellen Situation in Myanmar
Bild: Yangon, Myanmar