Einige persönliche Eindrücke dürfen schildern, wie Michael Blume als Künstler und als Person auf viele Menschen wirkte. Ich beschränke mich auf einige Hauptqualitäten in seiner Rolle als Strader in den Mysteriendramen.
Er spielte auf eine Art, dass die Zuschauer in die innere Substanz der Handlung eintauchen konnten. Von seinem Auftritt im ersten Bild der ‹Pforte der Einweihung› begegnete man einem gewissenhaften und nach seiner Selbstauffassung objektiven Naturforscher seiner Zeit. Als Strader dann nachher seinen Schicksalsweg erzählt, «Ich wuchs als Kind heran / Im Kreise frommer Leute […]», steigt aber etwas höchst Persönliches auf, so steht Dr. Strader als Individualität vor einem, wie Michael Blume ihn ins Leben rufen konnte.
Weitere Verlebendigungen der Strader-Figur erscheinen im sechsten und siebten Bild der ‹Prüfung der Seele›. Es werden verschiedene Dimensionen aus der Kulturgeschichte der Juden im Mittelalter und zugleich dadurch in den Geisteserlebnissen von Strader als Jude Simon offenbart. Um dem prägendsten Erlebnis von Straders damaliger Inkarnation gerecht zu werden – seine Ablehnung der Christus-Erscheinung –, muss sich der Schauspieler tief mit der Rolle verbunden haben, damit die Spannung in der Seele Simons blitzartig in Erscheinung treten kann. Diese Aufgabe erfüllte Michael Blume auf eine ergreifende Weise.
«Die Größe und die Schönheit dieses Menschen
Ergreifen alle meine Seelenkräfte
Ich möchte niedersinken und in Demut
Ergeben mich dem Boten andrer Welten –
Da flammt im nächsten Augenblick, schon
Ein wilder Zorn in meinem Herzen auf
Ich kann dem Trieb in mir nicht widerstehen.»
Wenn diese Szenen gespielt wurden, stand Michael Blume als selbstloser Vermittler da. Der Zuschauer konnte Zugang zu Simons Seele finden und dadurch mit Einsicht selber Straders weiteren Wegen folgen. Wenn ein Drama so ‹werkgetreu› gespielt wird, sind Rudolf Steiners Mysteriendramen weit mehr als bloßes Theaterrepertoire. Im zweiten Drama bei den hasserfüllten Bauern äußert Simon nur Mitleid für ihren Unverstand seiner Hilfeleistungen, eine große Steigerung dieser Qualität des Mitleids erscheint im achten Bild, Ahrimans Reich, im ‹Hüter der Schwelle›. Strader vernimmt die Worte Ahrimans, spricht aber:
«In deinen rauen Worten
Klingen Schmerz
Aus Dir, und Schmerz
Sind sie in mir auch selber
Ich kann, betracht’ich dich
Nur – klagen, weinen».
Durch Michael Blumes Art konnte man erleben, wie Strader selbst eine höhere Stufe der Geistesentwicklung erlangt hatte.
Zeitgeschichtlich bedeutend bleibt die Tatsache, dass die Kunst eine Brücke darstellte, als die Anthroposophie und deren verwandte Impulse in Ostdeutschland politisch verboten waren. In diesen Jahren der Unterdrückung, trotz der Gefahr, fand eine erste Reise für die Eurythmie im Jahr 1967 mit drei Aufführungen statt: Dresden, Leipzig, Jena, ermöglicht durch Angela Locher. Der Rezitator war Michael Blume. Die dritte Aufführung in Jena konnte in der Aula der Universität stattfinden. Durch den öffentlichen Charakter kam ein breites Publikum, wie auch die dankbaren Anthroposophen – insgesamt 600 Menschen. Die Aufführungen wurden mit besonders warmem Applaus begrüßt. Michael Blume rezitierte das ganze Programm.
Ein wichtiges Ereignis fand im Mai 1990 statt. Das Mysteriendrama-Ensemble vom Goetheanum reiste nach Jena, um die ‹Prüfung der Seele› aufzuführen. Michael Blume hatte die Leitung und wegen Krankheitsfällen musste er die Rolle von Strader und von Ahriman spielen! Ein Saal mit 130 Plätzen stand zur Verfügung und er war jedes Mal ausgebucht. Das Drama wurde fünfmal nacheinander aufgeführt. Im Vorstand haben wir diese Arbeit und die Aufführungen innerlich sehr begleitet. Für die Menschen in Ostdeutschland war es eine Bestätigung, dass die Leitung (Vorstand) und die Mitarbeitenden (in diesem Fall besonders die Künstlerinnen und Künstler) vom Goetheanum ihre Lage voll im Bewusstsein getragen haben.
Michael Blume wurde im Jahr 1997 angefragt, die Arbeit an den Mysteriendramen, die in dem Carl-Unger-Zweig in Stuttgart gepflegt wurden, zu übernehmen. Er hat alle vier Dramen aufgeführt.
Zum Schluss sei mit großer Anerkennung ein Wort von ihm selbst zitiert. In seiner Schrift ‹Einsichten und Ausblicke meines Lebens› schreibt er: «Meinen Abschied von der Goetheanum-Bühne habe ich – wie Virginia Sease sagte – ‹spielend› geschafft: Ich musste für den letzten Zyklus zu Weihnachten 1995 für den plötzlich erkrankten Paul Klaskov als Doktor Schrader einspringen. Dann folgte die Pause 1996 bis 1998 für den Saalausbau.»
So haben wir Michael Blume von der Goetheanum-Bühne verabschiedet, aber bis kurz vor seinem Tod hat er weiterhin für die Kunst der Sprachgestaltung durch Rezitationen, Kurse und Gespräche dankenswerterweise gewirkt.