Am 7. Oktober letzten Jahres hatte die Anthroposophische Gesellschaft von Deutschland Michael Blume, den Antisemitismusbeauftragten der Landesregierung von Baden-Württemberg, zu einem Gespräch eingeladen.
Blume beobachtete im Zusammenhang mit der Querdenkerbewegung, dass Anthroposophie ins mediale Fadenkreuz der Corona-Berichterstattung geraten ist. Zu jeder Pandemie gehöre, dass man ‹Prügelknaben› suche. Das hätte bei früheren Pandemien zu antisemitischen Reflexen geführt, berichtete Blume. Er empfahl, sich aktiv, digital und dialogisch in die gesellschaftlichen Diskussionen einzubringen. Das geschah dann auch mit Onlinevortragsreihen, die eine differenzierte, mal moderate, mal kritische Haltung zu den Corona-Maßnahmen zeigten. Dieses neue Engagement der Freien Hochschule und von Arbeitszentren wie jenem in Stuttgart konnte nicht verhindern, dass Journalistinnen und Journalisten bei der Suche nach berichtenswerten Corona-Nebenschauplätzen eine anthroposophische Minderheit ins Licht rückten und mit stereotypen Vorwürfen verbanden. So wirft der Autor Christoph Gunkel in der Ausgabe des Magazins ‹Spiegel Geschichte› (3/2021) Rudolf Steiner Antisemitismus vor und zitiert dafür Richard Specht: «Er war ein Fanatiker seiner Ideen.» Rudolf Steiner war in der jüdischen Familie Specht Lehrer. Erfreulich ist dabei zumindest, dass in dem Artikel die Erklärungen gegen Rassismus des Bundes der Waldorfschulen von 2007, 2015 (gegen Reichsbürger) und 2020 erwähnt werden. In der ‹NZZ› erschien am 29. Mai von Birgit Schmid der Artikel ‹Dünger als Philosophie – Wie eine Menschenlehre in der Pandemie unter Verdacht gerät›. Den Pullover eines Arztes der Klinik Arlesheim nennt die Autorin «Uniform der Spirituellen». Damit schlägt sie eine für diese Zeitung ungewöhnlich bissige Tonart an, die sich durch den Artikel zieht. Schmid räumt zwar ein, dass Anthroposophie die Medizin menschlicher gemacht habe, dennoch fordert sie, dass man sich Rudolf Steiner «vorknöpfen» müsse. In ähnlicher Manier schrieben Barbara Achermann, August Modersohn und Christina Pausackl in der ‹Zeit› vom 17. März unter dem Titel ‹Erleuchtete Hügel›. Die Breitseiten dürfen nicht darüber täuschen, dass anthroposophische Gesichtspunkte zur Pandemie zugleich mit großem Interesse aufgenommen wurden. Vielleicht reagieren diese Blätter deshalb so allergisch.
Foto: Sofia Lismont