Lehrerkurs ins Chinesische übersetzt

Nach über zehn Jahren konnte die dreiteilige Vortragsreihe des Lehrerkurses zur Begründung der Freien Waldorfschule 1919 im Dezember 2022 in der chinesischen Rudolf-Steiner-Ausgabe vollständig abgeschlossen und gedruckt werden.


Begleitet von einer Online-Veranstaltung für China, Taiwan, Hongkong, Malaysia und Singapur wurde der Zyklus den chinesischen Leserinnen und Lesern übergeben. Die Übersetzungsarbeit begann 2008 mit weitsichtiger Unterstützung von Nana Goebel von den Freunden der Erziehungskunst. Ein Übersetzungsduo und chinesische Lektoren nahmen sich die Übersetzung von zwölf Grundwerken vor – solide, wissenschaftlich haltbar und mit kongruenter Terminologie.

Der Duktus der Sprache Rudolf Steiners wurde weitgehend beibehalten, um im Chinesischen ein Leseerlebnis zu ermöglichen, das auch deutsche Lesende damit haben können: Nichts ist daran gewöhnlich, und was man nur flüchtig liest, bleibt einem eigentlich verschlossen. Viele größere Zusammenhänge werden erst deutlich, wenn der betrachtete Gegenstand von unterschiedlichen Standpunkten aus charakterisiert wurde. Daher ist es so wichtig, die Fachterminologie klar und nachvollziehbar durch alle Bände der Übersetzungen hinweg beizubehalten. Was wäre, wenn ‹Empfindung› und ‹Wahrnehmung› plötzlich in den unterschiedlichen Bänden unterschiedlich übersetzt oder gar ausgetauscht würden? Die gesamte erkenntnistheoretische Grundlage der Anthroposophie würde in diesem lang gereiften Werk nicht deutlich hervortreten. Die Menschenkunde, auf deren theosophisch-anthroposophischer Grundlage die Werke begründet sind, würde mit ihren Beschreibungen über die Entwicklung der Wesensglieder in den Jahren der Kindheit und Jugend nicht die Differenzierungen hervorbringen können, die auf die feinen Nuancen der seelisch-geistigen Wirklichkeit resonieren.

Es ist eindrucksvoll zu konstatieren, dass sich die uralte Weisheitswelt Ostasiens aus ihrem atlantischen Erbe heraus in der chinesischen Sprache die Bedingungen geschaffen hatte, sich auch auf eine andere, von Weisheit geprägte Sprache einlassen zu können: die Sprache der Wissenschaft vom Geistigen. Eine große Ausdrucksvielfalt und eine gewisse grammatikalische Beweglichkeit, die auf eine am Umkreis orientierte Bewusstseinsverfassung schließen lassen, sind kennzeichnend für dieses «grandiose Denkmal von der Mitte der atlantischen Kultur»1, als das Rudolf Steiner die chinesische Sprache charakterisierte. Die beweglichen, oft unkonventionellen sprachlichen Wendungen Rudolf Steiners können daher im Chinesischen sehr gut wiedergegeben werden.

In diesem Sinne trifft auf Rudolf Steiner zu, was Ernst Bloch über den von Steiner konsequent zu Ende gedachten Ansatz von Hegel sagte: «Hegels Sprache bricht die übliche Grammatik nur deshalb, weil sie Unerhörtes zu sagen hat, zu dem die bisherige Grammatik keine Handhabe bietet.» Und Steiner führt dies konsequent und methodisch einwandfrei weiter, hinein in das Gebiet der übersinnlichen Wirklichkeiten.

«Wenn die Sprache nicht zutrifft, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist», heißt es bei Konfuzius. In diesem Sinne ist eine Übersetzung immer eine Gratwanderung. Über die Jahre hat die Übersetzungsgruppe seit der Veröffentlichung der ‹Theosophie› 2011 weitere Bände erstellt (GA 4, 13, 34, 317). GA 293 erschien schon 2014, GA 294 und 295 dann im Jahr 2022. Zurzeit geht die Arbeit an GA 10 und GA 302a weiter.

Die Orientierung bleibt der sprachliche Stil Rudolf Steiners selber, denn eine Vereinfachung oder gar eine Anpassung an das klassische oder moderne Chinesisch würde Rudolf Steiners Anliegen unkenntlich machen und sogar entstellen. Er war kein alter Chinese! Zu diesem dürfen wir ihn nicht durch sprachliche Anpassungen machen! Wie sollte ein echter Chinese, der seiner alten ostasiatischen Weisheit noch intuitiv verbunden ist, Rudolf Steiner ernst nehmen können, wenn dieser nichts Neues zur Kenntnis über das Geistige beitragen würde?

Wir stellen in jedem Buch umfangreiche Fußnoten, ein Glossar häufiger Begriffe in der Anthroposophie, eine biografische Übersicht mit Kennzeichnung entscheidender Werke sowie eine sinologische Darstellung zur Genese der verwendeten chinesischen Schriftzeichen für die Trichotomie von Leib, Seele und Geist zur Verfügung. So können sich chinesische Lesende ein eigenständiges Urteil bilden und die Texte im Selbststudium unabhängig von den Meinungen reisender Dozenten oder von äußeren Vorgaben fortsetzen und vertiefen.


Zur Bestellung der Bücher Mail an: berlin@freunde-waldorf.de

Foto: Astrid Schröter

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Footnotes

  1. Rudolf Steiner, Die Welträtsel und die Anthroposophie. GA 54, Vortrag vom 9.11.1905.

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