Kunsttherapie als Erkenntnisprozess

Durch vertiefte Sinnestätigkeit erfährt der Mensch die Kräfte hinter den äußerlichen Erscheinungen, die Freude und Lebenssinn schenken. Da ist die Kunst ein Weg zur Selbsterkenntnis. Ein kleiner Einblick in die Kunsttherapie, um die Lesenden zur Selbsterfahrung zu ermutigen.


Derzeit erleben wir eine starke Zunahme von Einsamkeitsgefühlen bei Menschen. Hilfsorganisationen berichten von einem großen Zustrom, vor allem junger Menschen, die mit psychischer Gesundheit zu kämpfen haben und Kontakt suchen. Aufgrund des Lockdowns gab und gibt es über längere Zeit Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben. Die Kommunikation findet weitgehend online statt, sowohl für Schülerinnen und Schüler als auch für Erwachsene im Homeoffice. Offensichtlich kann moderne Technologie echte menschliche Begegnungen nicht ersetzen.

Bildende Kunst und Kreativität

Es gibt viele Bereiche im Leben, die uns bereichern und helfen können, Aktivitäten, die Seele und Geist nähren; und uns Sinn im Leben geben. Wir können viel für uns selbst tun, um besser für die alltäglichen Herausforderungen gerüstet zu sein. Eine Hilfe ist die bildende Kunst – insbesondere die therapeutische Kunst.

Fotos: In Lillian Torjussons Werkstatt, z. V. g.

Viele Menschen haben die Möglichkeit, einen Malkasten und Papier zu erwerben, sich ein wenig zurückzuziehen und die Welt der Farben zu erkunden. Es fühlt sich natürlich an, zu zeichnen und zu malen. Das Spielen mit Farben und Formen kann der Fantasie Raum geben, aber auch zu mehr Präsenz erziehen.

Das Gemälde hat viele interessante Auswirkungen auf den Menschen. Empfindliche und zarte Menschentypen werden mutiger, temperamentvolle und unachtsame Typen sensibilisiert. Darüber hinaus bewirkt es, dass intuitive Eigenschaften entwickelt werden.

Aus therapeutischer Sicht greifen vor allem Kinder auf Farbstifte zurück, um emotional schwierige Erfahrungen zu verarbeiten. Auch viele Erwachsene erleben, dass das Experimentieren mit Farben in verschiedenen Maltechniken wohltuend und erfrischend wirkt. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum es so viel Hobbymalerei gibt.

In Urzeit Tagen
Trat zum Geist des Himmels
Der Geist des Erdenseins.
Bittend sprach er:
Ich weiß zu reden
Mit dem Menschengeist;
Doch um jene Sprache auch
Flehe ich,
Durch die zu reden weiß
Das Weltenherz zum Menschenherzen.
Da schenkte der güt’ge Himmelsgeist
Dem bittenden Erdengeist:
Die Kunst.

Rudolf Steiner, Wahrspruchworte

Harmonisierende Kunsttherapie

Anthroposophische Kunsttherapie wird in Kliniken, Privatpraxen sowie in heilpädagogischen Einrichtungen eingesetzt. In ihr wird vor allem Aquarellmalerei verwendet, aber auch Zeichnen und Modellieren sind Teil der Therapieform. Es gibt viele allgemeine Harmonisierungsübungen, aber in einer Therapiesitzung werden die Übungen individuell angepasst. Eine Farbe oder ein Farbklang können für eine bestimmte Störung oder Krankheit eingesetzt werden. Das Malen wirkt insbesondere auf Seele und Ich des Menschen. Charakteristisch für diese Therapieart ist, dass sie phänomenologisch ist. Das heißt, es sind die Farben und Formen, die während der Therapie entstehen, auf die besonders fokussiert wird. Es geht um eine Transformation disharmonischer Farben- und Formensprache. In einem solchen Prozess werden die positiven Verwandlungen auf den ganzen Menschen zurückwirken.

Die äußeren und inneren Seelenräume der Farben

Die Farben, wie wir sie in der Natur erleben, sind Ausdruck der Weltenseele. Sie haben kosmische Ursprünge, und ihre Eigenschaften spiegeln sich in unserem Seelenleben wider. In der äußeren Welt können wir den erhöhten blauen Himmel und den enormen Farbreichtum der Natur bewundern. Wir finden hier auch eine besondere Erscheinung, den Regenbogen. Er wird in Mythen und Geschichten als Bindeglied zwischen Himmel und Erde beschrieben. Es ist sehr wohltuend, den Regenbogen zu betrachten und in ihn einzutauchen. Die Farben sind klar, glänzend und transparent, in perfekter Harmonie. Jede Farbe drückt ihre Sprache, ihre Eigenschaften aus. Diese Eigenschaften finden sich auch in der Seele des Menschen. Blau drückt unter anderem Sehnsucht und Hingabe aus. Therapeutisch wirkt Blau zusammenziehend und kühlend.

Die Aquarellmalerei ähnelt den Qualitäten der Regenbogen: Flüssige Farbe schafft Bewegung und ‹atmet›. Warum nicht auf eigene Entdeckungsreise gehen und versuchen, die innere Sprache der Farben zu erforschen?

Over the rainbow

Zwei Malübungen können helfen. Die erste ist eine Vorübung zu der eigentlichen Aufgabe, den Regenbogen zu malen. Man kann mit mehreren Bildern gleichzeitig arbeiten, da das Trocknen des Bildes einige Zeit in Anspruch nimmt.

Man braucht ein oder zwei Aquarellblöcke, einen Aquarellpinsel, die sieben Regenbogenfarben: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett, ein Glas mit Wasser, ein wenig Probepapier. Zuerst werden die Farben mit Wasser verdünnt. Alle Farben sollten den gleichen hellen Farbton haben.

Wählen Sie drei Farben, die Ihnen gefallen. Ich wählte Violett, Gelb und Blau. Beginnen Sie mit einer Farbe und malen Sie einen breiten Bogen. Wenden Sie die nächste Farbe an. Nachdem die Farben aufgetragen sind, muss das Papier trocknen. Machen Sie sich eine Tasse Tee und stellen Sie das Bild in die Sonne. Oder benutzen Sie einen Haartrockner und blasen sanft auf das Papier. Fahren Sie mit mehreren Farbschichten fort. Sehen Sie, was passiert, wenn eine Farbe über eine andere Farbe gemalt wird? Dies ist eine freie Übung, in der Sie Ihren eigenen Regenbogen erstellen, um die Technik und die Farben kennenzulernen. Haben Sie keine Angst vor Brauntönen, denn obwohl Braun nicht zum Regenbogen gehört, werden Brauntöne die anderen Farben akzentuieren.

Der eigene Regenbogen

Während ein Bild trocknet, können Sie mit dem nächsten beginnen. Jetzt also den richtigen Regenbogen. Er ist eine klassische Malübung in der Kunsttherapie. Hier werden die sieben Farben in der Reihenfolge des Regenbogens verwendet, aber wir beginnen am entgegengesetzten Ende: Wir beginnen mit der roten Farbe, da Rot ein Gefühl von Präsenz gibt. So folgt Orange, Gelb, Grün etc. Berechnen Sie, dass Grün in der Mitte des Blattes kommen sollte. Lassen Sie die Farben ineinandergleiten und versuchen Sie, weiche Übergänge hinzukriegen. Beenden Sie mit Violett.

Wenn Sie nicht zufrieden waren, können Sie zum Beispiel die Pastellkreide holen und ein wenig über das trockne Bild zeichnen.

In der Zwischenzeit seien Sie geduldig mit sich selbst und denken Sie daran, dass Sie immer auf einem sauberen Blatt neu beginnen können.

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