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Kunst und Geist — die Rolle der Kunst heute

Die Anthroposophie ist durchdrungen von dem Versuch, die Verbindungen zwischen dem, was uns als getrennt erscheint (Wissenschaft, Spiritualität und Kunst), zu enthüllen … Ein Rückblick auf die Winter-Jahrestagung 2019 der Jugendsektion am Goetheanum.


Die Motivation des Organisationsteams zu diesem Thema war es, die Idee der Kunst auf dem Weg des Wissens als Brücke zwischen Wissenschaft und Geistigkeit zu diskutieren und Fragen zu stellen wie: Warum sucht der Künstler das Wissen über die Realität aus der Beobachtung der Natur und ihrer Offenbarung des Übersinnlichen? Was bedeutet Kunst auf einem spirituellen Weg wie Anthroposophie? Und natürlich: Welche Rolle spielt die Kunst für unsere zeitgenössischen Gesellschaften, die auf neue Weise nach dem Geist suchen und streben? Als das Programm Gestalt annahm und die Mitarbeiter ihre eigenen Impulse einbrachten, verschärften sich diese Fragen und nahmen neue Dimensionen an.

«Aus meiner persönlichen Erfahrung war es beeindruckend, tiefe Fragen zwischen den Teilnehmern aufsteigen zu sehen, wie z. B. die Frage nach dem Streben nach Spiritualität und dem Drang, Kunst in einer materialistischen Kultur zu schaffen, die oft dazu neigt, unser kreatives Denken zu behindern. Es war sehr motivierend, von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und aus verschiedenen Teilen der Welt, die ähnliche Anliegen haben wie ich, zu hören und mit ihnen zu sprechen. Es war erfrischend, zu erkennen, dass Kunst nicht nur ein Werkzeug zur Selbstentwicklung sein, sondern auch in einem größeren Umfang wirken und zu einer großen Transformation einer ganzen Gemeinschaft führen kann», meint Mayumi Matsumiya aus Brasilien.

Die Konferenz begann mit der ‹Goetheanum Experience›, einer Führung durch die im Goetheanum angesiedelten Landschaften, Architekturen und Kunstwerke. Die Leitfrage war: Wo können wir den Geist in der Materie erkennen? Marianne Schubert (Sektion für Bildende Künste, Goetheanum) führte durch eine Beobachtung des Goetheanum und der umliegenden Gebäude und beleuchtete die durchdachten Prozesse, die in Rudolf Steiners Entwürfen enthalten waren. Wir konnten auch Modelle des Ersten Goetheanum betrachten und seine Formen mit dem aktuellen Gebäude vergleichen, sodass sich unsere eigene Denktätigkeit regen konnte und wir uns fragten, warum zwei so unterschiedliche Formen für dieselbe spirituelle Schule entstanden. Dies war ein großartiges Beispiel dafür, wie wahrhaft Geist und Materie nicht voneinander getrennt sind, sondern in einem ständigen kreativen Dialog, der sich gegenseitig befruchtet und uns dabei prägt und beeinflusst.

Benno Otter (Obergärtner, Goetheanum) leitete uns durch eine Erfahrung, die uns die Augen und Herzen für die Gestaltung des Gartens und seiner Wege öffnete. Diese führen zu verschiedenen Ruhe- und Besinnungsplätzen rund um das Hauptgebäude, die alle die Einheit des Campus für die Schule für Geisteswissenschaft bilden. Hier konnte man sich die Harmonie als ein zentrales Element der Landschaftsgestaltung als Kunst vorstellen. Konzepte wie das Gleichgewicht zwischen den Entfernungen und die Einführung von bedeutungsvollen Fremdelementen können dem Besucher der Gärten vor Augen stehen.

 


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Mit Caroline Chanter (Wagner-Malschule) beobachteten und skizzierten die Teilnehmer die Holzskulptur des ‹Repräsentanten der Menschheit› und diskutierten intensiv über die im Kunstwerk vertretenen Wesen, ihre Qualitäten und möglichen Aufgaben: Was können wir über die ahrimanischen und luziferischen Kräfte und den menschlichen Archetypen lernen, die alle in jedem von uns leben, indem wir uns die detaillierte Arbeit der Künstler ansehen? Eine letzte Gruppe arbeitete mit Christian Hitsch zusammen, der für das große Mal- und Umbauprojekt des Großen Saals verantwortlich war. Er lenkte die ganze Aufmerksamkeit auf die bemalte Decke, die Glasfenster und die geformten Säulen, die die Hauptbühne am Goetheanum umgeben. Zwei Stunden reichten einfach nicht aus, um alle Fragen über die unglaublichen Details und Erzählungen zu beantworten, die darauf warten, in jeder Ecke dieses ‹Herzens des Goetheanum› entdeckt zu werden.

Walter Kugler, einer unserer Gastdozenten, ergänzte diese Erfahrung mit einem Vortrag über den künstlerischen Impuls von Rudolf Steiner. Besonders beeindruckend waren die frühen Zeichnungen eines jungen Steiner, der eindeutig ein natürliches Talent zum Zeichnen und Malen besaß. Ein Kernpunkt ist aufgetreten: Die Anthroposophie ist durchdrungen von dem Versuch, die Verbindungen zwischen dem, was uns als getrennt erscheint (Wissenschaft, Spiritualität und Kunst), zu enthüllen, und wahres Wissen ist aus der bewussten Betrachtung der Teile zu gewinnen, die das Ganze ausmachen.

Im Laufe der Zusammenkunft haben wir uns nicht nur mit der Unermesslichkeit der von Steiner geschaffenen künstlerischen Arbeit beschäftigt, sondern auch mit der anderer, die, inspiriert von seinen Ideen, die kulturellen und künstlerischen Szenen des 20. Jahrhunderts beeinflusst haben. Luciana Pinheiro, Autorin von ‹As cores da Alma› (2018), einer der neuesten Biografien der Malerin Hilma af Klimt, erfreute uns mit einem bewegenden Vortrag über das Werk der Künstlerin und ihre Verbindung zur Anthroposophie. Es war rührend, durch ihre Biografie den Vorläufer der abstrakten Malerei kennenzulernen und zu erfahren, wie sie selbst als junger Mensch mit Fragen rang, nach deren Beantwortung wir auch heute suchen, und wie sie durch diese zu Verbindungen und Freundschaften fand, die ihre ganze Künstlerkarriere im frühen 20. Jahrhundert prägten.

Die Konferenz gipfelte in einer gedankenanregenden Vorlesung von Zvi Szir (Neue Kunstschule Basel). Als Publikum wurden wir gefragt: Was ist wirklich Kunst? Ist Kunst ein Werkzeug für etwas anderes oder kann Kunst nur zum reinen Selbstzweck gemacht werden? Einer der vielleicht stärksten Gedanken hierin war der Konflikt zwischen künstlerischem Tun als Teil eines Wegs zur Selbsterkenntnis und der Rolle des Künstlers, die nach Szir nicht miteinander verwechselt werden sollten. Dies ließ uns eindeutig nicht gleichgültig und eröffnete Tausende neue Fragen, die wir hoffentlich an kommenden Treffen der Jugendsektion weiter erörtern werden.

Der Wissensreichtum in den Vorlesungen wurde vervollständigt durch künstlerische Angebote in Malerei, Sprache, Theater, Eurythmie und Humor, die uns halfen, Ideen und neu Gelerntes in die Praxis umzusetzen. Am Abend wurden wir beglückt durch die Aufführungen junger Künstler. Klassische und traditionelle irische Musik hob unsere Geister und Füße vom Boden ab; herz­erwärmende Einweihungsgeschichten brachten uns zu Orten, die wir nie zuvor in unserer Vorstellung sehen konnten, und mit den Farben und Formen der Eurythmie wurden wir in das See-Land von Oscar Wildes ‹Der Fischer und seine Seele› gebracht.

Das Thema der künftigen Konferenz wird aus den Vorschlägen, die in dieser Versammlung eingingen, ausgewählt werden; darunter waren Fragen über Schicksal, Biografie und Identität. Alle, die mitwirken wollen, können sich an die Jugendsektion wenden.


Mehr Information: www.youthsection.org, mail@youthsection.org

Fotos: Macarena Barreiro

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