Die Menschheit hat in den letzten Jahrhunderten ihr moralisches Bewusstsein stetig weiterentwickelt. Solidarität, Achtung des anderen, Menschenwürde, Gleichheit, Umweltschutz, Pazifismus … Es scheint jedoch, dass zwischen diesen moralischen Idealen und der Weltwirklichkeit noch immer ein gewaltiger Abgrund klafft. Eine Wirklichkeit, die immer noch von Spaltung, Ausgrenzung, Elend, Umweltzerstörung, Unterdrückung und Krieg geprägt ist …
Wie können wir diesen Abgrund überwinden? Diese Frage verweist uns auf die Kräfte, die der Mensch einsetzt, um die Welt zu gestalten. Seit dem Beginn der Moderne schöpfen die Menschen ihre wesentlichsten Ressourcen, um ihre Umwelt zu verändern, aus rationalem Denken. Dieses Denken hat sich als atemberaubend effizient erwiesen und unvergleichliche Fortschritte ermöglicht. Es beruht auf einem mechanischen Verständnis der Wirklichkeit: dem Gesetz von Ursache und Wirkung, das in der Außenwelt gefunden wird. Aber reicht dieses Denken aus, um den Abgrund zu überwinden?
Es scheint, dass eine neue Art des Denkens notwendig ist. Eine Form der Erkenntnis, die nicht nur eine getreue Reproduktion der äußeren Vorgänge darstellt, sondern auch in der Lage ist, ihnen etwas hinzuzufügen. Ein kreatives Wissen, das in der Lage ist, die unerbittliche Mechanik der Realität zu überwinden und Neues entstehen zu lassen. Eine Erkenntnis, die auch praktisch ist, aber deren Praxis nicht nur mit Mechanik, sondern auch mit Kunst zu tun hat. Zu einem solchen kreativen Bewusstsein, zu solch kreativer Technik lädt die Anthroposophie ein. Eine lebendige Wissenschaft, die die Welt auf menschliche, aber auch effiziente Weise verändern kann.
Bild Wasser am weben, Gabriela Karpuch, 2021