Kann Meditation helfen?

Im Kontext der ermutigenden Veranstaltung der Goetheanum-Weltkonferenz soll dieser Beitrag eine ergänzende Anregung geben, wie durch ein bewusstes Ergreifen des esoterischen Aspekts hilfreiche Kräfte für die Welt verstärkt werden können.


Ein Krieg in Europa, der Ukraine-Krieg, der wohl alle beschäftigt und gleichzeitig die Ohnmacht spüren lässt. Die Kriegslogik ist klar: bis zum ‹bitteren Ende› aufs Ganze gehen, auf beiden Seiten der Kriegsparteien und ihrer Verbündeten. Wie weit das gehen könnte, ahnen wir und wollen es nicht wahrhaben, obwohl warnende Stimmen vor dem Ausbruch eines erweiterten ‹Weltkrieges› nicht deutlicher sein könnten. Wobei es natürlich auf allen Kontinenten Brandherde, Katastrophen und Krisenherde gibt, abgesehen von gravierenden persönlichen Krisen. Es geht nicht um Panikmache, aber um ein Aufwachen und Realisieren, dass wir an einer ‹apokalyptischen Schwelle› stehen.

Hat hier die Kraft der Meditation eine Bedeutung? Wird diese Komponente heute genügend einbezogen, auch in der anthroposophischen Bewegung? Nicht als Flucht in ‹mystische Bereiche› oder als Flucht vor der heutigen Realität, sondern als ‹Hilfe in der Not›.

Die Bildung von ‹Kraftkreisen›

Ein intensives meditatives Leben, im Stillen durchgeführt, bildet die Grundlage spiritueller Wirksamkeit. Doch um die Kraft so zu steigern, dass sie den Gegenmächten unserer Zeit angemessen ist, braucht es eine bewusste Verstärkung durch eine Gemeinschaft, die sich meditativem Üben widmet. Weiter wird die geistige Wirkenskraft verstärkt, wenn in selbstloser innerer Haltung alle Mitglieder einer Gemeinschaft sich gegenseitig im Bewusstsein tragen, um – an das höhere Ich des andern gewendet – einander Kräfte durch die Meditation zukommen zu lassen. Dies beginnt mit elementaren sozialen Haltungen: durch Interesse und Wertschätzung, wenn andere etwas Positives in der Welt erreichen. Es können sich dann wirkenskräftige geistige Wesen mit solchen Gruppierungen verbinden, wenn ein spirituelles Bewusstsein in solchen Gemeinschaften, Arbeitsteams oder Initiativgruppen lebt.

Dieser Zusammenschluss, fernab von sektiererischem Gehabe oder Esoterikdünkel, kann durch innerliche Verbindung im meditativen Bemühen jedes und jeder Einzelnen entstehen. Es ist insofern ein gemeinsames Bemühen, als sich alle selbstverantwortlich zu regelmäßiger Meditation verpflichten, dies voneinander wissen und diesem Versprechen treu bleiben.

Anregung dazu finden sich in den Aufzeichnungen des sogenannten Jugendkreises, wie sie seit 1998 in der Gesamtausgabe (GA 266/3) zugänglich sind.1 In diesem Beitrag hier geht es weniger um die Frage einer Kreiszugehörigkeit, sondern um den exemplarischen Einsatz einer spirituellen Methodik, wie ihn Rudolf Steiner in der Stiftung dieses Kreises entwickelte, das heisst, engagiert und aktiv für andere zu meditieren. Diese selbstlose empathische Haltung im Meditieren könnte sich noch mehr ausbreiten und dadurch die meditativen Kräfte potenzieren. Wie leicht kann sonst das geistige Streben und sogar die Meditation egoistische Tendenz bekommen.

Thomas Stöckli

Neben freien Gruppen oder Berufsgruppen sind es anthroposophische Arbeitsgruppen und Forschungsgemeinschaften, die durch esoterisches Leben in der heutigen Zeitlage ihre Wirksamkeit verstärken können. Solche Gemeinschaften haben die Möglichkeit, besonders kulturwirksam zu sein, weil in ihnen eine überberufliche, allgemeinmenschliche Qualität im Mittelpunkt steht. Wenn wir uns fragen, wie anthroposophische Gruppen und Zweige belebt werden können, dann könnte eine intensive, vertiefte Meditationskultur die Antwort sein. Das Gleiche gilt für die innere Kräftigung der anthroposophischen Einrichtungen und Institutionen. Durch soziale meditative Gemeinschaftsarbeit kann auch eine entsprechende Esoterik in der ‹Ersten Klasse der Hochschularbeit› aufgebaut und neu belebt werden, wie dies Johannes Kiersch darlegt.2

Keine Geheimnistuerei, sondern offen für die Nöte der Menschen

Ernsthaft arbeitende esoterische Kreise, von denen aus das Leben befruchtet wird, bauen auf dem innerlichen Ernst und der individuellen Geistesarbeit auf – und nicht auf unzeitgemäßer Geheimnistuerei. Die meditative Arbeit ist dabei kein Selbstzweck, sondern stellt sich in den Dienst der Lebenserfordernisse und Nöte unserer Zeit. Durch die meditative Arbeit kann eine solche Gruppe von der geistigen Welt wahrgenommen, anerkannt und gestärkt werden, damit die dadurch gewonnene Kraft bis in die äußere Zivilisationsentwicklung hineinwirken kann.

Es ist dies ein im tiefsten Kern meditativ-christliches Wirken, eine zeitgemäße Art, die notwendigen helfenden Wesen aus der geistigen Welt heranzurufen, um dann verwandelte, individualisierte Geisteskräfte wiederum in «dunkle Zonen der heutigen Welt» hineinzuopfern. Es geht also nicht – wie bei vielen ‹esoterischen› Modeströmungen heute – um eigene ‹geistige Erlebnisse› oder um eine Flucht vor der ‹harten Realität des Lebens›. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem heutigen Leben treten ja die Wirkungen des Meditierens auf – nach den eigenen Ohnmachtserlebnissen und geheimnisvollen Umwandlungsprozessen oft an unerwarteten Orten auftauchend.

Wenn diese meditative Gesinnung nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern aus Herzensbedürfnis hervorgeht, dann findet dadurch auch Lebensfreude und innere Erfüllung ihren Platz.

Esoterische Gruppenprozesse sind inklusiv: Der Geist weht, wo er will

Es kann sich nicht darum handeln, eine ‹ideale Gruppe› zu finden; es sind in jeder Gemeinschaft innere Schritte möglich, in Ehegemeinschaften, in Partnerschaften, in Arbeitsteams, in anthroposophischen Arbeitsgruppen und Institutionen bis zu Wirkenszusammenhängen der ‹Ersten Klasse der Hochschule› oder in freien Forschungsgemeinschaften. Es wird ein höchst bewegliches und vor allem geistesgegenwärtiges spirituelles Agieren Möglichkeiten finden, in den verschiedensten Gemeinschaften und sozialen Zusammenhängen eine solche sozial-esoterisch-meditative Arbeit aufbauen zu helfen oder neu zu stiften. Denn: «Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen» (Matthäus 18,20).

Diese Art von sozialer Meditationskultur hängt zusam­men mit dem spirituellen Ereignis unserer Zeit: mit dem Wirken des Christus im Ätherischen.3 Dies kann alle geistige Arbeit heute neu beleben oder erst ermöglichen.

Eine Frage zu Michaeli

Können wir als esoterisch strebende Zeitgenossen und -genossinnen in zeitgemäßer Form Meditationsgemeinschaften finden oder neu bilden? Sind wir bereit, uns dabei gegenseitig zu helfen, die Schwellensituation zu ertragen, hindurchzugehen und vor allem: Können wir zu Meditationsgemeinschaften werden, die tatsächlich für die Welt eine Bedeutung haben, statt sich selbst genug zu sein mit einer ‹eigenen Esoterik›? Finden wir zu spirituellen Taten, um in der Notlage unzähliger Menschen überall auf der Welt Hilfe zu sein? Der Versuch ist es wert.


Foto Dave/Unsplash

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Footnotes

  1. Rudolf Steiner, Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band 3. GA 266/3, 3.Teil, Dornach 1998.
  2. Johannes Kiersch, Vom Land aufs Meer – Steiners Esoterik in verändertem Umfeld. Stuttgart 2008.
  3. Rudolf Steiner, Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt. GA 118, Rudolf Steiner Verlag, Dornach.
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