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Joseph Beuys und Echnaton, ein wechselseitiges Verhältnis im Zeitenstrom

Dem Werk von Joseph Beuys (1921–1986) liegt ein zweifacher Zeitenstrom zugrunde, der zwischen dem Denken (Vergangenheit) und dem Willen (Zukunft) das Herz als den Ort der Auferstehung berührt. Ein Vergleich von Beuys mit Pharao Echnaton (Regierungszeit 1364–1347 v. Chr.) macht deutlich, in welche Richtung der Auferstehungsimpuls 33 Jahre nach dem Tod des Künstlers zu denken ist.


Das Pharaonentum hat im Alten, Mittleren und Neuen Reich die Erkenntnisstufen Intuition, Inspiration, Imagination durchlaufen und mit Echnaton das denkende Bewusstsein erreicht. Der Pharao hat die mythologische Sicht der Schöpfung auf den Begriff gebracht: die strahlende Lichtsubstanz (Aton) und das Ich (Ach), von dem sich der Name des Königs ableitet. Durch den Rückstau der höheren Erkenntnis hat sich in Echnaton ein Bewusstseinskanal gebildet, durch den er die Wahrnehmung mit dem Begriff verbinden konnte. «So war der König Echnaton kraft seines Namens jener, der den Gott Aton erstrahlen ließ.» (1)

Der Sonnengott, von dem alles Leben ausgeht, wurde in der mythologischen Anschauung der alten Ägypter in vier Lichtqualitäten verehrt: Als Horus-Chepri am Morgen, Re-Harachte am Mittag, Autum am Abend und Osiris in der Nacht. In dem zeitlichen Ablauf drückt sich bildlich der Entwicklungsgedanke aus, der beim Menschen von der Geburt zum Tod und darüber hinaus zur Transformation des Seelenlebens, vom Willen ins Denken führt. (2) Der Gott Amun, als Bringer der menschlichen Intelligenz, war im ägyptischen Weltbild der ‹Verborgene› (3). Sein Name stand im Neuen Reich für den Sonnenlauf (4). Durch seine Auslöschung hat Echnaton das mythologische Weltbild zum Einsturz gebracht, was dazu führte, dass der in den Mysterien der Nacht verborgene Gott in seiner begrifflichen Form als Aton zutage trat (5). Der Ägyptologe Kurt Lange (1898–1959) sieht in der Ausmeißelung des Namens Amun die «Frucht einer theologischen Denkarbeit von zwingender Schärfe» (6). Aton ist ohne Amun ebenso wenig zu denken wie der Materialismus ohne den Christus (7). Wir haben es hier mit einem wechselseitigen Verhältnis zu tun, das sich im ‹Informationsmodell› von Beuys wie der ‹Sender› zum ‹Empfänger› verhält (8). Daraus ergibt sich ein doppelter Zeitenstrom aus Vergangenheit und Zukunft, der den mythologischen Kreis und seinen Mittelpunkt mit dem modernen Bewusstsein ins Verhältnis setzt. Während am Ende des mythologischen Zeitalters das Bild vom ‹Sonnenlauf› in sich zusammenstürzt und das Denken freisetzt, tritt im 20. Jahrhundert die abstrakte Intelligenz in der Vorstellung auf. Von ihr ausgehend muss der freie Wille den toten Gedanken in den Umkreis erweitern. Dabei kommt es, wie die Beuys-Arbeit ‹Richtkräfte› (1974) zeigt, auf das vom Willen bewegte Denken an, in dessen Zentrum der Begriff der ‹Wahrheit› (Truth) steht (9)

 


Vergrößerter Ausschnitt der ‹Zeichnung mit Pharao› von Joseph Beuys, die in der Kammer mit dem Strahlenaton ausgestellt wurde.

Vergrößerter Ausschnitt der ‹Zeichnung mit Pharao› von Joseph Beuys, die in der Kammer mit dem Strahlenaton ausgestellt wurde.

 

Der erweiterte Kunstbegriff hat mit der Amarnakunst zur Zeit Echnatons eines gemeinsam: die Bewegung! Beuys führt das Element der Bewegung auf den Christus zurück. Für ihn ist die ‹bewegte Form› das neue Christusbild (10). In den ägyptischen Mysterien von Heliopolis war der Logos für die eingeweihten Volksführer in Gestalt eines Engels vorhanden. In Memphis wurde er als Ptah verehrt, der die Welt gedacht und ausgesprochen hat. Seine Verehrung als Dreiheit Amun-Re-Ptah ist eine Folge der Amarnazeit (11).Was sich in der emotional-provokativen Ausdrucksweise der Kunst zur Zeit Echnatons geltend macht, ist das Ereignis einer individuellen Christuserfahrung, das sich bei Beuys aus der spirituellen Welt in den persönlichen Willen verlagert. Damit ist nicht das Mysterium von Golgatha gemeint. «Denn diesmal geht es nicht mehr so, dass ein Gott dem Menschen hilft, wie das durch das Mysterium von Golgatha war, sondern diesmal muss diese Auferstehung durch den Menschen selbst stattfinden.» (120 Wie ist das zu verstehen?

Zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert wurde von der geistigen Welt die Imagination, die Inspiration und die Intuition zurückbehalten, damit sich auf der Erde der Materialismus entwickeln konnte. Gleichzeitig wurde durch die zurückgestaute Substanz der höheren Erkenntnis unter der Leitung des Erzengels Gabriel im Gehirn der Menschen das ‹Zentralorgan› gebildet, durch das er bewusst den Weg zurück ins Geistige finden kann (13). Dieses Bewusstseinsorgan steht – ähnlich wie bei Echnaton – mit der kosmischen Intelligenz in einer Verbindung, die der Ägypter als Maat bezeichnet hat. Was im Weiteren sich in der spirituellen Welt ereignet hat, darüber hat Rudolf Steiner (1861–1925) am 2. Mai 1913 in London gesprochen. Demnach wurde der Träger des Christusbewusstseins aus der Hierarchie der Engel von materialistischen Seelen in der an die Erde angrenzenden spirituellen Welt gekreuzigt. Dadurch ist das Bewusstsein des Christus um eine Stufe tiefer in den Willen der Menschen gesenkt worden (14).

 


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Für Beuys ist das die Wärmesubstanz der Evolution, die mit der Idee der Dreigliederung als dem Beginn einer neuen kosmischen Ordnung im Zusammenhang steht. In seiner Ansprache zur ‹documenta 6› (‹Honigpumpe am Arbeitsplatz-FIU›, 1977) spricht er deshalb vom Erzeuger «des sakralen, die Menschen verbindenden Wärmewesens im Arbeitsfeld», das wahrgenommen werden kann «durch die Liebe zur Tat» (15).

Wenn Beuys im Zusammenhang mit dem ‹erweiterten Kunstbegriff› vom Christus spricht, dann bezieht er sich auf das Ereignis der persönlichen Auferstehung, für die im ‹Evolutionsdiagramm› (1974) in der Mitte das Wort ‹Christuskreuz› steht (16). Es bezieht sich die Idee auf die leere Gedankenform, deren neu zu erschaffender Inhalt anstelle des Mythos im Mittelpunkt der Wahrheitssuche steht. Dadurch kann sich das Ich in der Bewusstseinsseele mit dem Geistselbst verbinden.

Im ägyptischen Totengericht war Osiris der Richter über die Wahrheit, die im Herzen der Menschen lebt. Durch die Rechtfertigung der Seele (Ba) konnte sich der Verstorbene im Nachtodlichen in einen ‹Ach› (17) aus strahlender Lichtsubstanz entfalten (18).

Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass die Rosenkreuzer auf die Mysterien von Heliopolis zurückgehen, von denen das Pharaonentum und Echnaton ihren Ausgang genommen haben (19).

Das Zusammenschauen der beiden Impulse, die von Ägypten und Joseph Beuys ausgehen, kann dazu anregen, den Willen im Denken zu beleben. Dabei steht 33 Jahre nach Beuys Tod das Christusbewusstsein im Mittelpunkt der Betrachtung.


Titelbild: 3 Arbeiten von K.-H. Tritschler auf einer Fehlfläche im Strahlenfeld des Sonnenaton.

Alle Bilder wurden im Dezember 2018 im Königsgrab von Amarna (von Joachim Eckl) aufgenommen.

(1) Christian Jacq, Nofretete und Echnaton, Hamburg, 3. Auflage, August 2009, S. 83
(2) Rudolf Steiner, Allgemeine Menschenkunde, GA 293, Dornach 1992, zweiter Vortrag, 22. August 1919
(3) Erik Hornung, Der Eine und die Vielen, Darmstadt 1963, S. 271
(4) Frank Teichmann, Der Mensch und sein Tempel, Ägypten, Stuttgart 1978, S. 51
(5) K.-H. Tritschler, Was wollte Echnaton, in: Das Goetheanum Nr. 4, 26. Januar 2013
(6) Kurt Lange, König Echnaton und die Amarna-Zeit, München 1951, S. 48
(7) Joseph Beuys, Christus Denken – Thinking Christ, Stuttgart 1996, S. 39 (Christus und der Materialismus)
(8) Letter from London, Joseph Beuys im Gespräch mit Willi Bongard, in: Joseph Beuys die Multiples, 7. Auflage, München 1992, S. 555 ff.
(9) K.-H. Tritschler, Richtkräfte der Erkenntnis, in: Das Goetheanum 20/2011
(10) Wie 7, S. 69 ff.
(11) Erik Hornung, Echnaton. Die Religion des Lichts, Düsseldorf, Zürich 2000, S. 101 f.
(12) Wie 7, S. 41
(13) Rudolf Steiner, Vorstufen zum Mysterium von Golgatha, GA 152, Dornach 1964, Stuttgart, erster Vortrag 18. Mai 1913
(14) Wie 13, S. 44
(15) Joseph Beuys, Eintritt in ein Lebewesen, in: Soziale Plastik – Materialien zu Joseph Beuys, Achberg 1984, S. 123 ff.
(16) Wie 13, S. 140
(17) Ach altägypt., dt. Geist, Ahnengesit, Geistseele
(18) Claudia Törpel, Man denkt nur mit dem Herzen gut, Basel, 2. Auflage 2007, S. 70 ff.
(19) Judith von Halle, Der Weihnachtsgedanke der Isis-Horus-Mythe, Dornach 2009, S. 90 ff.; K.-H. Tritschler, Joseph Beuys und die Rosenkreuzer, in: Das Goetheanum Nr. 33/34, 2008

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