Ist Diplomatie auf Augenhöhe möglich?

Im Osten Europas sind Stiefelgeräusche zu hören. Müssen wir uns vor einem Krieg fürchten? Wie ist die Situation zu verstehen? Bernhard Steiner spricht über die Ukraine-Krise mit dem ehemaligen UN-Diplomaten Hans-Christof von Sponeck.


Es ist wieder die Rede von einem Krieg in Europa, gleichzeitig gibt es viele diplomatische Bemühungen zur Deeskalation. Wie schätzen Sie die Situation ein?

von Sponeck In diesem langen Prozess der Konfrontation ist ja deutlich zu sehen, wie es rauf- und runtergeht mit den Erwartungen und Meinungen, welche die Zivilbevölkerung hat, man springt hin und her zwischen Hoffnung und Angst. Im Augenblick würde ich sagen, gibt es verschiedene Anzeichen dafür, dass eine gewisse Beruhigung sich entwickelt, trotz – ich kann es nicht anders sagen – der westlichen Hysterie von Politik und Medien und der Tatsache, dass besonders die US-Amerikaner und Briten versuchen, ein Gerüst aufzubauen, das nicht geeignet ist, um eine Krise zu lösen.

Gleichzeitig aber, und das ist für mich ein Zeichen der Ermutigung, haben der französische Staatspräsident Macron und der deutsche Bundeskanzler Scholz gezeigt, dass sie einen eigenen, einen europäischen Weg gehen wollen. Ich hoffe, dass Kanzler Scholz, ähnlich wie sein französischer Kollege, aus Moskau zurückkommen wird mit dem Hinweis, dass eine dauerhafte Deeskalation in der Ukraine-Krise nicht durch weitere Aufrüstung in Grenzregionen, sondern durch Diplomatie auf gleicher Augenhöhe und eine Bereitschaft für Kompromisse möglich ist.

Ich glaube – wenn es stimmt, was heute früh in den Nachrichten zu hören war, dass Präsident Putin angeordnet hat, dass Teile der russischen Truppen von der ukrainischen Grenze abgezogen werden –, dies wäre ein erster wichtiger Schritt für Entspannung. Es wird auch berichtet, dass Macron und Scholz mit Putin über eine Wiederaufnahme der Minsk-II-Gespräche zwischen Russland, der Ukraine, Frankreich und Deutschland gesprochen haben. Sollten diese stattfinden, wäre dies ein weiterer Schritt weg von der Kriegsgefahr.

Wo liegen die Ursachen der Krise?

Ich habe da eine Meinung, die von vielen meiner politischen Freunde nicht geteilt wird. Erinnern wir uns an die Sternstunde Europas, als 1990 West- und Osteuropa die Charta von Paris, auch Freiheitscharta genannt, unterschrieben. Beide Seiten versprachen sich, dass sie ein geeintes und friedliches Europa wollen. Es dauerte nicht lange, bevor erneut ernsthafte Konfrontationen auftraten. Der Warschauer Pakt war aufgelöst, aber die NATO, geschaffen als ein Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion, blieb nicht nur bestehen, sondern wurde ausgebaut. Ich gehöre zu denen, die sagen: Die NATO als Verteidigungsbündnis hatte nach 1990 ihre Existenzberechtigung verloren, hätte daher auch aufgelöst werden müssen. Die NATO-Osterweiterung förderte tiefes Misstrauen aufseiten des neuen russischen Staates über westliche, besonders amerikanische Absichten. Dies hat nun über die Jahre dazu geführt, dass die russische Führung unter Präsident Putin demonstrieren wollte, dass sie Macht hat, sich gegen eine solche Entwicklung zu wehren. Natürlich spielten dabei auch historische Gründe eine Rolle, die man in einer Bestandsaufnahme berücksichtigen muss.

Bild: Hans-Christof Graf von Sponeck; Bildquelle: Arrêt sur Info

Sie erinnern mich daran, dass das NATO-Manöver 2018 Anakonda hieß, eine Schlangenart, die ihre Opfer erwürgt. Ich kann Russland verstehen, dass es befürchtet, von der NATO eingekreist zu werden.

Es gab in der Tat kein formelles Abkommen zwischen Russland und dem Westen, das besagte, dass eine NATO-Osterweiterung nicht stattfinden könnte. Bezogen auf die akute gegenwärtige Ukraine-Krise möchte ich behaupten, dass diese durch die amerikanische Hegemonialpolitik und eine unentschiedene EU gefördert worden ist. Hinzu kommt eine Welle von Falschinformationen auf allen Seiten, die die Krisenentwicklung immer wieder beeinflusst haben. Das, was wir jetzt in den westlichen Medien sehen, hat mit Hysterie und versuchter Gehirnwäsche zu tun. Tag für Tag werden dieselben Bilder und Zahlen russischer Soldaten an der ukrainischen Grenze gezeigt und interpretiert. Wie die Propaganda auf russischer Seite aussieht, kann ich nicht beurteilen.

In unserem letzten Gespräch sagten Sie: «Die Welt von morgen wird keine westliche Welt sein.»

Ja, die Zeichen dazu werden immer sichtbarer. Die geopolitische Dynamik in dieser Zeit hat weitgehend mit der neuen Großmacht China und den globalen Konsequenzen zu tun. Es gehört aber immer noch politischer Mut dazu, der absteigenden Großmacht USA zu bedeuten, dass Europa nicht unbedingt länger bereit ist, sich die amerikanische Agenda kompromisslos zu eigen zu machen. Zwei Beispiele dieser Tage: die Entscheidung der Regierung in Washington, eingefrorene afghanische Gelder (7,5 Milliarden Dollar) freizugeben, mit der Auflage, dass die Hälfte dem hungernden Afghanistan und die andere Hälfte den Opfern des Angriffs vom 11. September 2001 in New York zugute kommen soll. Unter den Tätern gibt es nicht einen einzigen Afghanen. Die europäische Reaktion spricht daher von Diebstahl und wendet sich entschieden gegen diese Entscheidung. Ähnliches gilt in der Diskussion über Nordstream II, die neue zweite Gasleitung von Russland nach Deutschland. Dieses Projekt ist ein europäisches Projekt, mit dem Amerika nichts zu tun hat. Kanzler Scholz hat daher der Behauptung Präsident Bidens nicht zugestimmt, dass im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine Nordstream II nicht stattfinden wird.

Ich kenne Biden in seinen Ansätzen aus meiner Irak-Zeit. Er hat vergessen, dass er den Krieg von 2003 gegen den Irak unterstützt hat. Als Präsident hat er überzeugend sein Mitgefühl für Menschen, besonders amerikanische Bürgerinnen und Bürger, immer wieder dargelegt. Dies ist eine wertvolle Fähigkeit. Gleichzeitig führt er aber eine unnötig harte konfrontative Politik gegenüber China und Russland, die den globalen Unfrieden fördert. Die amerikanische Regierung unter seiner Führung scheint nicht in der Lage zu sein, ein geopolitisches Konzept zu entwickeln, durch das die USA ihren Weg in das multilaterale Lager finden würden.


Das Gespräch fand am 15.2.2022 statt.

Hans-Christof Graf von Sponeck war 32 Jahre als Diplomat in den Diensten der UNO in führenden Positionen in verschiedenen Ländern tätig. Als Mitarbeiter von Kofi Annan trug er die Verantwortung für das UN-Hilfsprogramm ‹Öl für Nahrungsmittel› im Irak. Im Februar 2000 trat er zurück, weil er die Sanktionspolitik des un-Sicherheitsrats nicht mittragen wollte. In seinem Buch ‹Ein anderer Krieg› schildert er die verheerenden Folgen der Sanktionen für die irakische Zivilbevölkerung.

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