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Iran, eine kulturelle Frage

Die Frage ist nicht, ob es zu einem Krieg zwischen dem Iran und den USA kommen wird. Denn dieser Krieg hat schon begonnen, als die amerikanische Regierung 2018 aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) ausgestiegen ist.


In den internationalen Beziehungen wird ständig von wirtschaftlichen Sanktionen gesprochen, als ob dies ein normaler Vorgang wäre. Sanktionen werden gegen andere Länder verhängt. Das klingt zuerst abstrakt. Doch die Wirtschaft hat für die Menschen erhebliche reale Konsequenzen. Wenn Sanktionen gegen Russland oder den Iran entschieden werden, leidet die Bevölkerung, und zwar enorm. Armut ist nicht nur ein zu bedauerndes Phänomen; sie kostet viele Menschen das Leben. Eine Studie des französischen Nationalinstituts für Gesundheit und medizinische Forschung (Inserm) von 2015 zeigt, dass Arbeitslosigkeit das Leben von vielen Menschen gefährdet.(1) «Internationale Studien […] zeigen eine Verdreifachung des Risikos einer Übersterblichkeit, ein Effekt, der mit dem des Rauchens vergleichbar ist», so auch der französische Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat.(1) Dies zeigt, wie konkret das Wirtschaftsleben ist. Es mag sanfter klingen, von ‹wirtschaftlichen Sanktionen› statt von einer ‹Kriegserklärung› zu sprechen, aber die Konsequenzen sind in vieler Hinsicht etwa gleichbedeutend.

Kulturelles Leben

Spannungen und Entspannung auf geopolitischer Ebene haben auch andere politische Konsequenzen. Nur die Moderaten im Iran waren bereit, ein Atomabkommen zu verhandeln. Wenn dieses scheitert, werden die Hardliner in ihrer Skepsis und ihrem Misstrauen dem Westen gegenüber bestärkt, wie es der deutsche Politiker Omid Nouripour beschreibt: Der Austritt der USA «hat den moderateren Kräften im System den Wind aus den Segeln genommen. Und auch die Opposition hat an Kraft verloren».(2) Das hat auch Konsequenzen auf das kulturelle Leben im Land. «Man erzählt mir von einer steigenden Zahl von Kontrollen und Verhaftungen wegen unzüchtiger Kleidung. Auch private Veranstaltungen sollen wieder vermehrt ins Visier der Sittenwächter geraten sein, vor allem wegen Verstößen gegen das strikte Alkoholverbot», so Omid Nouripour.(2)

Aber nicht nur durch die Politik wird die Kultur beeinträchtigt. Wirtschaft bedeutet Austausch: kaufen, verkaufen, zusammenarbeiten. Durch wirtschaftliche Aktivitäten kommen Kulturen in Berührung, ja in realen Austausch. Dies kann gegenseitig befruchtend wirken. Wissenschaftliche Forschung, kulturelle Unterschiede, spirituelle Auffassungen können sich nur dann richtig begegnen und entfalten. Wenn wirtschaftliche Sanktionen eingesetzt werden, entstehen auch geistige Grenzen, wenn nicht gar spirituelle Fronten.

Spirituelle Auseinandersetzungen

Wie der Forscher Mohammad Mohsen Moshefi 2017 in der französischen Tageszeitung ‹Le Monde› beschrieb, behauptet der Iran eine eigene kulturelle Identität gegenüber dem Westen, aber auch gegenüber seinen Nachbarn (3). Moshefi betont, dass wir im Westen sehr wenig über die iranische Kultur wissen. Wenn der US-Präsident die Iraner als Terroristen beschreibt, könnte man so weit gehen, den iranischen Islam mit den Extremisten des Islamischen Staats zu verwechseln, obwohl die beiden eigentlich verfeindet sind. Dabei handelt es sich auch um die uralte Auseinandersetzung zwischen Schiismus und Sunnismus. Im schiitischen Iran wird eine tolerantere Auffassung vom Islam gepflegt, so Moshefi. Seit Jahrhunderten gefährdet dieser Riss zwischen Schiiten und Sunniten die angestrebte Umma, die Einheit des Islam. Dieser geistige Konflikt verdichtet sich unter anderem um den Persischen Golf, über den bei der Straße von Hormus etwa ein Drittel des weltweit gehandelten Erdöls transportiert wird. Ein religiöser Konflikt, in den die Interessen der Weltwirtschaft verwickelt sind, birgt riesige Gefahren.

Darüber hinaus besteht seit Jahrzehnten eine Feindschaft zwischen Israel und dem Iran, nicht nur aus politischen und geopolitischen Gründen, sondern auch mit religiösem Hintergrund. Damit stehen sich zwei monotheistische Religionen gegenüber. Weniger bekannt ist aber, dass auch manche konservative amerikanische evangelikale Christen, die einen nicht geringen Einfluss auf den US-Präsidenten haben, dem Iran gegenüber feindlich gesinnt sind. Mit ihrem besonderen religiösen Verständnis unterstützen diese Evangelikalen Israel bedingungslos gegen den Iran. Damit befinden wir uns mitten in einem Konflikt, in den die drei monotheistischen Religionen hineinspielen.

“Vielleicht hat Europa die besten Voraussetzungen, um zeigen zu können, wie sich Wirtschaft in Brüderlichkeit entfalten und Nationalismus kein Zukunftsprinzip für die Politik sein kann.”

Europa als geistige Versöhnung?

Als die USA ihren Austritt aus den JCPOA beschlossen, verkündete die EU ihren Willen, das Atomabkommen zu retten. Die technologische und wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von den USA ließ aber kaum einen Spielraum, um diesen Willen zu realisieren. Ohnmächtig ist Europa bis jetzt in der Rolle des Zuschauers gefangen. «Vor allem von den Europäern hatte man sich mehr erhofft» (2), schreibt Omid Nouripour. Aber was kann Europa?

Müsste man nicht zuerst klarer einsehen, dass nationalistische politische Bestrebungen, gekoppelt mit einem auf einem einseitigen Konkurrenzprinzip beruhenden Verständnis von Wirtschaft, zu ausgesprochen gefährlichen Situationen führen, wodurch auch alte Religionskriege geschürt werden?

Vielleicht hat Europa die besten Voraussetzungen, um zeigen zu können, wie sich Wirtschaft in Brüderlichkeit entfalten und Nationalismus kein Zukunftsprinzip für die Politik sein kann. Wenn nationalistische Interessen unter Einsatz wirtschaftlicher Macht verfolgt werden, dann entstehen reale Kriege, selbst wenn sie noch nicht mit physischen Waffen geführt werden und man sie nicht so nennt.

Ein weiteres Prinzip müsste eingesehen werden: Wirtschaftliche Werte entstehen nicht aus der Wirtschaft selbst, sondern aus dem kulturell-geistigen Leben. Kreativität und spirituelle Identitäten, die sich begegnen und gegenseitig befruchten, sind der Boden, auf dem reale Werte entstehen. Dafür hat Europa mit seiner starke Multikulturalität ebenfalls gute Voraussetzungen. Das klingt mit einer der Urintentionen der Anthroposophie zusammen: einer Erkenntnis, die sich die Friedensaufgabe stellt, alle Religionen und Kulturen verstehen und schätzen zu können.


(1) Meneton, P., Kesse-Guyot, E., Méjean, C. et al. Int Arch Occup Environ Health 2015, S. 88: 707.
(2) Omid Nouripour, Die Nerven liegen blank, in: ‹Die Zeit›, 26. Juni 2019.
(3) Mohammad Mohsen Moshefi, «Les Iraniens revendiquent une distinction culturelle et identitaire nette avec leurs voisins», in ‹Le Monde›, 18. Mai 2017.

Bild: Mohsen khorrampour, Mosche, Isefhan, Iran.

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