Was ist leuchtend gelb, isst Hafer als Lieblingsspeise, mag keinen Kaffee, lernt ohne Gehirn – komponiert sogar Musik1, empfindet ohne Nerven, bewegt sich ohne Beine, heilt sich selbst, hat 719 Geschlechtspartner, mit denen es sich paaren kann2, kann sein Wissen mit anderen seiner Art teilen und ist doch weder Pflanze noch Tier und auch kein Pilz? Was dient neuerdings sogar als Kraftquelle für eine Armbanduhr mit Herzrhythmusmesser?3
Darf ich Ihnen den ‹Blob› vorstellen? Dieses Wesen teilt Eigenschaften mit drei großen Reichen des Lebens: Es isst und scheint zu denken wie ein Tier, pflanzt sich fort wie ein Pilz und ist gefärbt wie eine Pflanze. Sein lateinischer Name ist Physarum polycephalum (vielköpfig) und es ist ein sogenannter Schleimpilz. Blobs sind keine normalen Schimmelpilze, die man zu den Pilzen zählen würde, sondern sie bilden eine Welt für sich: Sie werden heute zu den Protisten gezählt, was so viel bedeutet wie ‹nichts von alledem›. Blobs sind zu einem beliebten Gegenstand aktueller wissenschaftlicher Studien geworden, und die Liste ihrer Fähigkeiten wächst schnell. Der Name Blob (Klecks) stammt aus einem Horrorfilm der 50er-Jahre mit Steve McQueen, in dem ein fleischfressender außerirdischer Amöbenschleim monströse Ausmaße annimmt und immer röter wird, während er die Bewohner einer Stadt verschlingt.
Unser Blob beginnt sein Leben als viele einzelne Zellen, jede mit einem einzigen Zellkern. Dann verschmelzen sie zu einem Plasmodium, dem vegetativen Lebensstadium, in dem der einzellig gewordene Organismus sich ernährt und wächst. Wie hat es der Blob geschafft, die Fantasie – und die finanziellen Möglichkeiten! – der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu beflügeln?
Das leistungsstärkste Netzwerk
Im Jahr 2000 nahm der japanische Biologe Toshiyuki Nakagaki4 eine Probe des Blobs, der normalerweise in den feuchten, schattigen Teilen von Wäldern gedeiht. Er setzte das Wesen, das sich im sogenannten Plasmodium-Stadium befand, an das eine Ende eines Irrgartens und stellte seine Lieblingsspeise, Hafer, an das andere. Dann beobachtete er, was geschah. Der Blob breitete sich auf seine typische Weise aus: ein pulsierendes, rhythmisches Ausfließen – eine einzelne Zelle mit vielen Kernen, die in dem fast durchsichtigen dünnen Film der sogenannten Zytoplasmaflüssigkeit schwimmt. Die fließende Bewegung, die als Zytoplasmaströmung bezeichnet wird, ist nicht homogen. Es strecken sich Venen aus – auch Pseudopodien (Füßchen) genannt –, die bald alle Wege des Irrgartens bedecken. Wenn der Blob auf die Nahrungsquelle stößt, verstärkt er genau jene Venenverbindungen, die zu dieser Quelle führen. Dies geschieht durch einen subtilen Rückkopplungsprozess, bei dem die pulsierende Bewegung eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Das Pulsieren dient nicht nur der Ernährung und Fortbewegung, sondern auch der Kommunikation und der Koordination. Es entsteht dann eine Optimierung des Netzwerks: Verbindungen, die nicht mit der Nahrung verknüpft sind, werden kleiner und verschwinden schließlich.
Auf diese Weise gelang es Nakagaki sogar, das japanische Eisenbahnnetz um Tokio herum, eines der am besten durchdachten der Welt, nachzubilden, wobei die Knotenpunkte der Stationen mit Haferstücken unterschiedlicher Größe – je nach Bevölkerung – simuliert wurden. Der Blob hat das Eisenbahnnetz fast genau nachgebildet, mit dem Unterschied, dass die Schleimpilzversion robuster gegen Beschädigungen war, denn wenn eine Verbindung unterbrochen wurde, konnte der Rest des Netzes weiterlaufen. Ein anderes Forschungsteam5 fand heraus, dass der Blob das ‹Problem des Handlungsreisenden› – die Suche nach der kürzesten Route, um eine Reihe von Städten jeweils nur einmal zu besuchen – effizient lösen kann.
Im Land der Fläche
Die pulsierende Strömung scheint das Herzstück der Intelligenz des Blobs zu sein, insbesondere das Geheimnis des Lernens und des Gedächtnisses. In einer neueren Arbeit6 wurde beispielsweise gezeigt, dass diese Schwingungen denen eines Gehirns außerordentlich ähnlich sind, nur dass es sich um ein hydrodynamisches System und nicht um elektrische Signale handelt – vielleicht ähnlich wie die Rhythmen des Liquors, wobei letztere meines Erachtens bisher nicht in dieser Hinsicht untersucht wurden.
Wenn man sich einen der vielen Youtube-Filme über Blobs ansieht, fällt vor allem die dendritische, fließende, expansive Bewegung auf, die mehr oder weniger synchrone Wellen durchziehen, während der Blob mit seinen komplexen Rhythmen pulsiert. Man hat das Gefühl – und wird durch die eingangs erwähnten Klassifizierungsprobleme daran erinnert –, dass die heutigen Kategorien irgendwie nicht passen. Denn der Blob lebt in einer im Wesentlichen zweidimensionalen Welt des ‹Flachlands›, wo oben und unten wenig Bedeutung haben. Eine Welt, die ein Überbleibsel längst vergangener Zeiten sein könnte, das heißt vielleicht einer Zeit, bevor sich Himmel und Erde trennten und keine der beiden Substanzen so existierte wie heute.
Der Sitz der Intelligenz
Hilft uns dies alles, Gedächtnis, Lernen und Intelligenz, gar Weisheit der Natur, besser zu verstehen? Der Prozess beim Finden eines Wegs durch den Irrgarten besteht darin, zunächst eine Totalität zu suchen und sich dann vom Ganzen über den Kontext zum individuellen Problem, von der Peripherie zum Zentrum zu bewegen: Die Geste, wie wir sie momentan verstehen, hat etwas Ganzheitliches.
Blobs gehören zu den ältesten und einfachsten Lebensformen überhaupt, die mit Intelligenz ausgestattet sind. Eine Intelligenz ohne Gehirn. Mit Pflanzen ist es ja ähnlich bestellt: Intelligenz – vielleicht mit Sitz in den Wurzelspitzen – ohne Gehirn. Aber im Fall des Blobs sticht es ins Auge und stellt sich die Frage ganz eklatant: Liegt der Sitz unserer Intelligenz wirklich nur im Gehirn, so wie wir es heute noch weitgehend verstehen, oder liegt ihr Ursprung viel tiefer, ausgebreiteter, als wir bisher angenommen haben?
Titelbild Blob in der Natur Foto: Björn S, CC 2.0
Footnotes
- S. Venkatesh, E. Braund & E. R. Miranda, Composing Music with Bio-Technology: An Intelligent Algorithmic Composition System Using Physarum polycephalum-based Memristors. In: Unconventional Computing, Arts, Philosophy vol. Volume 2, S. 535–555. World Scientific, 2022.
- The ‹blob›: Paris zoo unveils unusual organism which can heal itself and has 720 sexes.
- J. Lu & P. Lopes, Integrating Living Organisms in Devices to Implement Care-based Interactions. In: Proceedings of the 35th Annual ACM Symposium on User Interface Software and Technology 1–13. Association for Computing Machinery, 2022. doi:10.1145/3526113.3545629.
- T. Nakagaki, H. Yamada & A. Tóth, Maze-solving by an amoeboid organism. Nature 407, S. 470–470. 2000.
- F. MacDonald, An Amoeba Just Found an Entirely New Way to Solve a Classic Computing Problem. ScienceAlert, 2018.
- A. Boussard et al., Adaptive behaviour and learning in slime moulds: the role of oscillations. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences 376, 20190757. 2021.
Bei den Bienen ist es so:
Pollen und Honig für die ArbeiterInnen,
Gelée royale für die KönigIn.
Homer ist das Gelée royale bei den Menschen:
Goethe für die Arbeiter,
Homer für die Könige.
Bei Homer gibt es „Seelenorgane“, also das Herz oder den Thymus oder das Zwerchfell und auch noch ganz andere „Seelenorgane“. Das Gehirn ist kein „Seelenorgan“ bei Homer.
Mehr dazu kann man auch bei Hippokrates und Galenos lesen. Deren Bücher kann man kaufen und lesen (also mit Geld als Buch in physischer Form kaufen und dann mit den eigenen Augen in Übersetzung lesen). Falls einen das interessiert.
Also, ganz so scheint es mir bei den Bienen nicht zu sein – am Bienenvolk kann man feststellen: Pollen für den Aufbau der Körperlichkeit, die für das Handeln und Wirken im Physischen erforderlich ist, und dann Honig dafür, daß sich die Körperlichkeit im Physischen halten und dort wirken kann.
Eine der folgenden Erscheinungen (im Innern) ist ein Drüsensekret aus der Physiologie der Arbeiterinnen (nicht „Binnen-I“), das sogenannte „Gelée royale“ (auch Weiselfuttersaft genannt), mit dem die Königin überwiegend ernährt wird.
Dieses Sekret ist aber auch Grundlage für das Werden (die Hervorbringung) der Körperlichkeit. Es dient zur Versorgung (Ernährung) der Maden, die aus den Eiern schlüpfen, die die Königin „stiftet“ (in die Zellen legt). Der Lebensstrom des in die Erscheinungen kommenden Bienenvolks geht von der Königin aus – der Substanzstrom, der sich aus der Begegnung des BIEN mit der Welt wiederum in das Bienenvolk hineinergießt, zielt wieder auf die Königin, von der alles ausgeht.
Bei Angelus Silesius klingt das so:
„Die Gottheit ist ein Bronn,
Von ihr kommt alles her,
Und geht auch wieder hin,
drum ist sie auch ein Meer!“
Wie sich das nun allerdings wieder für die Menschen verhält, und was für die Menschen analog zu den physiologischen Prozessen im Bienenvolk ähnlich gesetzt werden kann, das ist hier die Frage!
So, wie hier geschildert, kommt der Blob dadurch zustande, daß sich mehrere oder viele Zellen zusammenfinden und dann in der Gemeinsamkeit aufgehen (mehr erschließt sich mir aus der Schilderung nicht). Das wäre dann das, was bei den Insektenkundlern für sogenannte staatenbildende Insekten (zumeist aus der Gruppe der Hautflügler) „Superorganismus“ genannt wird; das impliziert gewissermaßen „wie von außen zusammengefunden oder zusammengesetzt“.
Das ist aber bei den Völkern der Honigbiene nicht der Fall – diese bilden sich immer von innen her und bringen sich in dieser Weise hervor. Es gibt einen Bildeimpuls der von Innen her den Organismus bildet und diesen in ein Verhältnis zur Welt setzt. Diesem Verhältnis wiederum entspricht und dient die Körperlichkeit.
Michael Weiler
http://www.Der-Bienenfreund.de
siehe auch meinen Beitrag „Individualität im Zusammenspiel“ in „Das Goetheanum“ 07.04.2022 https://dasgoetheanum.com/individualitaet-im-zusammenspiel/