Immer sind es die Menschen

In tiefdunkler Nacht brachte der Lastwagen mich unentdeckt durch das umkämpfte Gebiet. Eingeflogen hatte mich ein Hubschrauber. Ganz tief, um vom Radar nicht entdeckt zu werden – nicht leicht in diesem bergigen, zerklüfteten Land. Zurück ging es ohne Licht, vorbei an ausgebrannten Panzern und zerschossenen Häusern. Die noch standen, waren verdunkelt.


Der kleine, früh schon christlich besiedelte ‹schwarze Garten› Berg Karabach ist schon lange umkämpft. Regierung und Parlament der 1991 (u. a.) mit einer Volksabstimmung geschaffenen, aber rechtlich nicht anerkannten Republik Berg-Karabach hatten mich gebeten, sie in Fragen des (Völker-)Rechts und der Gesetzgebung zu beraten. Ein teilautonomer Status, vergleichbar Südtirol, mit eigenem Parlament und eigener Gesetzgebung innerhalb eines verbindlich geregelten, international garantierten rechtlichen Rahmens schien denkbar. Doch die Welt schaute weg, Europa hatte kein Interesse, Russland verlor an Einfluss, Aserbaidschan (Erdöl, Erdgas) wurde reich und rüstete auf, die Türkei plante die Bildung eines islamisch-turanischen Halbmonds (von Aserbaidschan über Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan) unter ihrem Einfluss. So folgte jetzt der nächste Krieg.

Der 9. November, der Tag der Unterzeichnung dieses Waffenstillstandes, wird in das Gedächtnis beider Völker eingehen. Gelöst ist nichts. Geheilt schon gar nicht. Was die Menschen wollen, wird nicht gefragt. Ungezählte Tote, Verletzte, Vertriebene, Heimatlose und Verzweifelte pflastern den Weg zu nicht mehr als einem neuen, brüchigen Waffenstillstand.

Immer sind es die Menschen, die die Rechnungen der Großen bezahlen. Und doch sind nur sie es, die den Kreis aus Leid und Vorwurf, Nationalismus und Macht, Aggression und Unterwerfung durchbrechen können.


Bild: Das Berggebiet zwischen Latschin und Goris, Jahr 2015. Foto: Natalya

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