Im Wasser sich berühren

Wasser und Intimität sind sich ähnlich. Sie bezeugen eine Art, die Welt zu erfahren, in der ich nicht mehr nur Zeugin bin, sondern Teilnehmende. Ein Reise ins Land der Elemente, zum Wasser und zum Innenort unseres Sein.


Wir brauchen sie, die Innigkeit, die Innerlichkeit. Die Welt ist so äußerlich geworden. Im Innern aber findet das Gespräch der Seele mit sich selbst statt, wie Platon es nennt, welches erst ermöglicht, mit anderen zu sprechen. Im Innig-Sein betreten wir einen stillen Ort, in dem das Leben fließt und wir mit ihm. In dem wir schwimmen, uns treiben lassen, wie im Wasser. Und kennen wir nicht alle das Bedürfnis nach ‹Unterwasserstille›, nach der Gedämpftheit, in welcher der eigene Herzschlag wieder hörbar wird? Eine ‹innere› Ahnung weiß, und ein Kieselstein, in den Teich geworfen, möchte dieser Frage nachspüren. Die Kreise auf der Oberfläche fragen auch nach Weichheit, nach Vertrauen und Loslassen. ‹Intimus› ist im Lateinischen der Superlativ von ‹intra›, innen. In mir tief drinnen ist der Strom des Lebens zu fühlen. Wasser ist ein Bild für dieses Leben. Was wäre dann Wasserbewusstsein oder auch Wasservertrauen? Dieses Element und auch die Sphären, in denen uns das Wässrige widerfährt, ein wenig zu erkunden, ist hier versucht. Im Lebensfluss und hinter dem Ufer gibt es kein Richtig oder Falsch, sondern Atmen, Pulsieren, Strömen, Wandeln. Dafür auch meine Recherche-Reise nach Island, dem Land der Elemente. Im Gepäck ein Buch mit dem geheimnisvollen Titel ‹Ins Wasser geschrieben – philosophische Versuche über Intimität›. Der deutsche Philosoph Peter Trawny hat es verfasst. Er sucht darin ‹das Innerste›, die Inniglichkeit in seiner Geschichte, in seiner Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit. Und macht schlussendlich und von Anfang an die Intimität als ein Wasserwesen aus. «Wann bin ich ganz bei mir? Wann ganz bei dir? Bei uns? Wenn ich mich von dem abwende, was mich nicht zu mir kommen lässt, was mich mir entzieht, mich mir entwendet, mich dir raubt. Ich bin bei dir, wenn ich bei mir bin, bei mir, wenn ich bei dir bin.»1

In der ‹Edda› gibt es am Anfang der Welt zwei Reiche: Niflheim, das kalte Land aus Eis und Nebel, noch nicht fließendes Wasser, und Muspellsheim, das Feuerland, zu heiß, um dort zu überleben. Aus diesen beiden gebiert sich der Beginn der Geschichte.

Tanzend

Vom Wasser erzählen, bedeutet, mich selbst zu Wasser zu machen. Und soweit mir das möglich ist, kann diese Geschichte objektiv sein, für jetzt. Wasser lässt sich nicht gern in Formen pressen. Es gehört Kreisläufen an. Im Wasser hinterlässt man auch keine sichtbaren Spuren. Der erste Schritt ins Wasser: Tanzen hat mit Wasser zu tun. In der Nebelnähe, im Dunstversteck wagt der Körper sich ins Spiel mit der Beweglichkeit seiner Seele und Muskeln. Noch ein wenig der Schwerkraft zugeneigt, spürt man doch schon seinen ‹Wasserkörper›: geschmeidig und hingegeben an jenes, was sein wird. Die harte Grenze der steifen Hüfte wird weichgezeichnet. Die unteren Ströme werden heraufgespült. Unser ‹Wasserkörper›, zu dem auch die Seele gehört, beginnt in der Bewegung. Die Seele löst ihre festen Gesten und Reaktionsmuster allmählich auf. Etwas löst sich, fließt ab und verbindet sich wieder. Das Tor zur Intimität, zu dem, was ich selbst fühle in und an mir, ist geöffnet. «Es ist ein inniges Wohlsein im Wasser, eine Wollust in der Wasserberührung.»2 Im Wasser verschwimmen innen und außen. Im Sommersee spüre ich das Wasser zugleich an mir und auch in mir. Ich fühle es als eine inwendige Berührung, so wie sich beim Tanzen außen (Körper) und innen (Seele mit Musik) ergreifen und beeindrucken, sich beständig miteinander wandeln. Ich bin Teil vom kichernden Dahinfließen eines Baches oder vom Treiben eines breiten Stromes. Schmiegsamkeit und Weichheit offenbaren sich durchs Wasser. Ein Eintasten, noch irgendwie körperlich. Berührbar, aber anders als in der ‹Erdenhaptik›. Auch anders als in ‹Himmelsbegegnungen›. Über der Welt schweben geht in dieser Weichheit nicht. Denn um Wolken zu erzeugen, muss man berühren, begreifen, anpacken wollen. Wobei Weichheit nicht die Klarheit ausschließt. Das isländische Wort ‹auðmjúk› meint ‹rich in softness› und gleichzeitig Bescheidenheit und Demut. Wie ein weicher, klarer, tastender Blick.

Seelische Weichheit, die Innenseite der ‹Wasserkörper›-Erfahrung, hat mit Loslassen zu tun. Man braucht nicht mehr kontrollieren. Dinge können offen bleiben. ‹Agi› (sprich Aye) meint auf Isländisch so etwas wie Disziplin, nur nicht in der Strenge, die im Deutschen damit verbunden ist. ‹Agi› nähert sich eigentlich dem Rhythmischen an. Die ‹Vorschriften›, die man disziplinarisch einzuhalten hat, sind hier eher natürlich. Man ‹folgt› ihnen aus dem Empfinden für die Richtigkeit ihres Rhythmus. Und wenn zwei Menschen miteinander schlafen, eine zutiefst intime Angelegenheit, benutzt man in Island nicht das Verb ‹schlafen›, sondern ‹leben›. Zwei Menschen ‹leben› miteinander in der körperlichen Zweisamkeit. In welchen Strömen bewegen wir uns, wenn wir leben, allein oder auch miteinander? Übergeben wir uns dem Wässrigen, wie der Musik, wie dem Tanz, vertrauensvoll, sind wir getragen und bewegt. Und doch ist man auch ein Bewegendes. Vielleicht gilt es fürs Erste, in den Bewegungen des Lebens den eigenen Rhythmus zu finden.

In warmen Quellen

«Die Intimität entwirft in und mit der Welt eine Einheit, ein Eins-Sein, in der und in dem die Unterschiede sich stets verflüssigen.»3 Diesen Zustand teilen wir mit Tieren, so der französische Philosoph George Bataille.4 Das Tier sei in der Welt wie Wasser in Wasser. Können wir uns das vorstellen? Oder kennen wir das aus Erfahrung? Und was bedeutet das für unser Bewusstsein? In Islands heißen Quellen kann man dieser Empfindung näher kommen. Wenn man jeden Tag mindestens zwei Stunden in 40 Grad warmem Wasser verbringt, entspannt sich alles. Warmweich gespült in der eisigen Klarheit der Luft, wird Langsamkeit wieder natürlich, und Lauschen. Die Ohren unter Wasser treibe ich dahin, sinke etwas ab, gebe Eigenbewegung hinzu, tauche wieder unter, gleite und komme mir wie ein Teichdelfin vor. Ich höre das Gleiche, was ich auch als Kind hörte, wenn mir jemand eine Muschel ans Ohr hielt. Ich höre mein Blut, mein Wasser rauschen. Nur im Becken zu sitzen, fällt mir schwer. Zumindest ein Körperteil bewegt sich immer, wippt mit den Wellen. Die Handflächen modellieren im sanften Widerstand des Wassers hin und her, wirbeln, streichen, durchdringen, aber ohne ‹sezierende Erkenntnisgewalt›. Eher wie ein Durchfühlen ist es. Die Stigmata, unsere Handinnenflächen kommen mir wie Intimitätsorgane vor, auch wenn sie Luft oder Stein tasten. In meinen Händen steckt das Einschmiegungsvermögen des Wassers.

In Intimität bin ich sowohl an einem Ort als auch in einem Tun. Es ist ein Raum, «in dem es Grenze nur im Übergang zu Entgrenzung, Endlichkeit nur am Rande zur Unendlichkeit, Differenz nur in der Indifferenz gibt. Denn Wasser im Wasser ist ein In-Sein, das von einer unmöglichen Grenze bestimmt wird.»5 Als würden sich meine ‹wässrige› Intimität und die von anderen Wesen gerade durch das Wasser erfahren können. Wir sind in einem, ohne uns selbst zu verlieren, und können uns als gemeinsame Einzelne wahrnehmen – diese Tatsache ist eher gefühlt als gewusst. «Wir fühlen, solange wir leben, aber fühlen wir das Leben?»6

Nach zehn Tagen in Hotpots, Thermalbädern oder warmen Bergflüssen sind meine Muskeln so durchwärmt, dass alles zur Ruhe gekommen ist. Kein Drama, nur elementares Sein und Sehen, was mein inneres Wahrnehmen geworden ist. In meinem Selbst findet sich etwas, das mir wie ‹weibliches Weben› vorkommt. Ich bin umspült (worden). Wir alle haben das schon ‹erfahren› in der warmen Hülle unserer Mütter. Fruchtwasser hat 37,5 Grad und lässt unser Erdenleben damit beginnen, dass wir schweben als eins in einem anderen. Darin ist «[…] Selbsterkenntnis kein Wissen, vielmehr ist es ein Vollzug des Selbst, eine Erfahrung der Intimität»7. Wenn das Feuer seine Kraft entfaltet und das Eis von Niflheim schmelzen lässt, kann sich im warmen Wasser etwas entwickeln. Unser Inneres ist auch aus diesen Urkräften gemacht. Im Fluss des Werdens gibt es kein Vergehen: Ich bringe etwas hervor, aber wie es gehen, wachsen, sein wird, ist nicht mehr allein meine Angelegenheit. Darin kann ich nur vertrauen. So wie (ich) mir vertraut wurde (habe), als ich begann, mich ins Wasser zu verkörpern.

Aus Herzquellen

Hört man mit einem Stethoskop jemandes Herz, gibt es vorher den Moment der Stille. Es ist wie ein Einlauschen, als würde man erst einmal nach unten bis an die Quelle heran gelangen müssen. Und dann erhorcht man sie wie zum erstes Mal. Tief drinnen pulsiert sie, verborgen. Sie klingt bei jedem Menschen anders. Manche klein und schnell, fast nervös, andere wie große Trucks. Manche scheinen Gewölbe zu bilden, in die man eintreten könnte. Aber allen gemeinsam ist das Rauschen der Unterwassertiefe. Es ist wie das Tosen des Wasserfalls, welches das Diktiergerät nicht aufnehmen kann, weil wir es eigentlich mit dem Körper hören, nicht mehr nur mit den Ohren. Der Herzschlag des Wasserfalls ist ein dunkles Grummeln. Eine Mächtigkeit spiegelt sich darin wider, die die Wirklichkeit durchkreuzen und vernichten kann. Im Herzschlag, im Quellgrund lebt eine Fähigkeit, eine Stärke, die gestaltet. Alle Elemente können auch zerstören, denn sie bauen und gestalten Welt. Und die Wassermassen, die in den dunklen Schlund stürzen, führen mir diese ursprüngliche Schaffenskraft vor Augen. Es gibt sie auch im Menschen, sanfter, abgemildert. Sie kommt aus der Herzquelle. An und in meiner ureigenen Quelle träume ich auch. «Es gibt immer einen Ort, an dem ich frei bin. Das ist der Anfang der Intimität.»8 Sie knüpft das Band zu mir selbst, zu meiner Selbstverantwortung. Dogmen und Ansprüche können ihr nichts anhaben. Ihre Verwandtschaft mit dem Wasser verbietet genau das. Denn im Wasser gibt es keine festen Formen. Sogar der Gletscher, ein Kind des Wassers, ist geronnene Bewegung, die niemals für immer stillstehen kann. An seinen Ränder bricht das Eis, treibt schweigend auf einem See, wie Wolken auf dem Wasser, als Wasser im Wasser, und wird zu Wassertropfen, kristallene Töne in der Einsamkeit der Geröllhalde. Es ist die Geburt in die Zeitlichkeit, in den Kreislauf, die Geburt von Transformation. Sie liegt ‹beyond passion›: eine auflösende und schaffende Urkraft, die an den Gliedern reißt und jegliche Emotion lächerlich erscheinen lässt. Ist Intimität auch eine solche Kraft, eine Urgewalt, die als Stofftrieb den Formtrieb noch in sich birgt? Der ‹Lebensarchitekt› hat gerade erst angefangen zu spielen. Liegen dort Wesen und Materie noch zusammen? Trawnys These: Der Mensch erschien erst, als die Intimität erschien.

Ich realisiere langsam, im Leben gibt es keinen Ankommensmoment, den es zu erreichen gilt. Es gibt Transformation. Ich selbst werde in den Kreislauf hinein geboren und durchwandle mich und die Welt. Die eine, die ich werden muss, existiert nicht. Ich bin viele und vieles. Die Narrative, die wir über uns selbst schreiben und geschrieben haben, werden durch die Herzquelle immer wieder neu verspült. Aber eine Grotte mit warmem Wasser gefüllt, oder eine Quelle im Talgrund sind ein Lauschorgan, eine Empfangsstation für Ideen, die aus der Erde selbst stammen. Das alles ist sehr kryptisch und doch ganz real. Wasserbewusstsein, «Intimität ist kryptisch […], sie ist dort mitzuteilen, wo sie geteilt wird »9.

Wasser im Spiel

Die Wasserschleier im Reykjadalur, im ‹dampfenden Tal›, vor dem Berghang vom Abendlicht beschienen, sind so zart in der gewaltigen Landschaft. Sie sehen aus, als würden sie Eurythmie machen. Hüllende Gesten spielen mit dem Wind und verblassen an ihren Rändern zu einzelnen Tröpfchen. Das Wasser tanzt auf der Wärme der Erde entlang. Am Geysir balgen sich die beiden, atmen miteinander und alle paar Minuten vollzieht sich eine Entladung in Wasserausbrüchen. Die Erde ist ein Lebewesen. Durch das Zusammenspiel mit den anderen Elementen entfalten sie je ihre Kräfte und Schönheiten. Schönheit, die von sich selbst nichts weiß, die sich selbst nicht beredet. Unbenannt, ganz im Vollzug kreiert sich das Leben. Formen werden geboren und Elemente durchformt. Wenn Regen eine Farbe hätte, so die des Mooses auf den Lavafeldern von Island. Das Goldhaargras ich weiß nicht welcher Göttin hat sich auf die Ebene gebreitet und bereitet damit ein erstes Lager. In den Eispfützen der Hochebenen spiegelt sich das Blau des Himmels. An der Schwelle zur Farbigkeit ein Stahlgrau mit violetten Streifen am Steinhang. Noch nicht getrennt zwischen Wesen und Farbe. Farben aus dem Feuer, dem Inneren und Farben aus dem Licht, der Luft. Wasser aber ermöglicht in der isländischen Landschaft ein Zeitempfinden, denn es bewegt sich in dieser stillen Wüstenweite. In Bächen, Wasserfällen, Flüssen, Dämpfen. Im Spiel mit dem Feuer, dem Wind und dem Stein ein Geschehen, ein Ereignis. Trittsteine können helfen, nicht unterzugehen im Fluss der Zeit. Und doch brauche ich einen ‹Wasserkörper›, um im Fluss des Lebens zu schwimmen. (Wie ich einen Erdenkörper brauche, um auf dem Planeten zu leben. Wie ich eine ‹Lichthaut› habe, die mich vor zu viel Schatten schützt.)

Die Intimität entfaltet sich in diesem Ganzen «wie mein eigenstes Element um mich herum. […] Das Wasser ist nicht in einer Landschaft lokalisiertes Element, sondern der Lebensstrom selbst, der nur im Innersten fließt. Wasser – Element einer inneren Topographie.»10

Intimer Blick

Das Blicken in die isländische Weite ist schweifend. Es ertastet alle Peripherie und pendelt zwischen Innen und Außen, wie die Intimität. Es bleibt in Bewegung, wie Wasser oder spürende Handflächen eben. Es bringt das Ganze zusammen und zum Klingen. Sicherlich ist das hier leichter, denn der Blick ist nicht von üppiger Flora verstellt und so ins Kleinteilige verwiesen. Und auch wenn Snaefellsjökyll, der Eingang zum Mittelpunkt der Erde, heute wolkenverhangen ist, fühlt es sich an, als sei Lava eigentlich die geistige Flüssigkeit, aus der die Welt gebaut wird. Während Wasser dieser ‹Urmaterie Geist› eine Wohnstatt bietet und sie sanft zu gestalten beginnt. Etymologisch entstammt ‹Materie› den lateinischen Worten ‹mater› (Mutter) und ‹matrix› (Gebärmutter). Was sich daraus an Gedankenbewegungen ergibt, ist für mich vorerst noch nur fühlbar, aber nicht mehr in Worte zu fassen. Es erinnert mich an ein sprechendes Zitat aus Rudolf Steiners Autobiografie: «Ich suchte […] darzulegen, dass nicht hinter der Sinneswelt ein Unbekanntes liegt, sondern in ihr die geistige Welt. Und von der menschlichen Ideenwelt suchte ich zu zeigen, dass sie in dieser geistigen Welt ihren Bestand hat. Es ist also dem menschlichen Bewusstsein das Wesenhafte der Sinneswelt nur so lange verborgen, als die Seele nur durch die Sinne wahrnimmt. Wenn zu den Sinneswahrnehmungen die Ideen hinzuerlebt werden, dann wird die Sinneswelt in ihrer objektiven Wesenhaftigkeit von dem Bewusstsein erlebt. Erkennen ist nicht ein Abbilden eines Wesenhaften, sondern ein Sich-hinein-Leben der Seele in dieses Wesenhafte. Innerhalb des Bewusstseins vollzieht sich das Fortschreiten von der noch unwesenhaften Sinnenwelt zu dem Wesenhaften derselben. So ist die Sinnenwelt nur so lange Erscheinung (Phänomen), als das Bewusstsein mit ihr noch nicht fertig geworden ist. In Wahrheit ist die Sinneswelt also geistige Welt; und mit dieser erkannten geistigen Welt lebt die Seele zusammen, indem sie das Bewusstsein über sie ausdehnt. Das Ziel des Erkenntnisvorganges ist das bewusste Erleben der geistigen Welt, vor deren Anblick sich alles in Geist auflöst.»11 Das Empfinden findet sich ins Wesenhafte ein. Die Seele lebt im Wesenhaften. Sie tastet, sie berührt, sie bewegt und begreift. Das ist fühlendes Erkennen. Intimität ist Seelenleben, das zu Wahrnehmungen kommt. Es ist wie ein poetisches Leben, welches zwischen Konkretheit und Geistwelt stattfindet, in liebevoll gefühlter Betrachtung – Ausdruck des Gefühls, das sich wahrnimmt und durch sich selbst sieht und erlebt. Es will nicht mit dem vordergründigen Wollen der Persönlichkeit des Hier und Jetzt. Sondern bewegt sich im Zwischenraum: aufgelöste, gelockerte Grenzen meines ‹Selbst›, hin zu meinem schwimmend-ätherischen Sein, das sich im Menschen auch als Geist selbst wahrnimmt.

Menschen im Wasser

In den Lebensfluss zu vertrauen, könnte auch heißen, ‹im Wasser bleiben›. Die Alltagserledigungen behaupten, dass es keinen ‹Wasserkörper› gibt. Da zählt eher Takt denn Rhythmus. Auch der Apparat der Repräsentationen macht uns weiß, dass wir uns über Scheinschönheit, Wissen, Produktion von Werken, Titel, Fähigkeiten, Können identifizieren sollten. Ja, das ist wohl eine Ebene des Seins. Und doch gibt es mehr. Wir spüren das alle. Am deutlichsten, wenn es schmerzt. Ein Inneres zu veräußern, bedeutet, sich verletzlich zu machen. Der Mensch selbst ist die Verletzlichkeit der Welt. Meine Weichheit zu realisieren, sie nicht als etwas Schlechtes zu nehmen, als etwas Unbrauchbares, etwas Kleines, ist die Umstülpung eines Narrativs und ein neuer Möglichkeitsraum. «Um zu fühlen, müssen wir für den Schmerz offen sein. Diese Schmerzoffenheit ist zugleich auch die Möglichkeit zur Intimität.»12 In der westlichen Welt heute ist das vielleicht noch nicht so gefragt, aber mir scheint, in unserer Zukunft könnten wir es gut gebrauchen: sich wesenhaft nahe kommen, ‹haptisch› werden miteinander. In allem, was zum Berühren geeignet ist, einander wirklich zu kennen (nicht zu wissen). Wenn ich intim Wasser im Wasser bin, kann ich nicht verloren gehen, auch nicht in dir. Es heißt nur, mir in dem, was mich bisher konstituiert hat, von dem ich bis jetzt glaubte, es identifiziere mich, loszulassen. Also auch von diesem hier gemachten Versuch, über das Wasser zu schreiben. Morgen bin ich schon wieder jemand anderes, würde anderes schreiben. Für heute halte ich das für wahr. Und auch nur als ein Steinchen in den Teich geworfen, dessen Kreise sich mit anderen ergänzen wollen, so wie viele Regentropfen auf der Oberfläche ein Zusammenspiel erzeugen.

Das Epitaph des jung verstorbenen Dichters John Keats heißt: «Here lies One Whose Name was writ in Water»13. Aber dieser Satz ist nicht ins Wasser, sondern in den Stein geschrieben. Am Stein bricht sich das Wasser! Oder auch: Tun können wir es nur hier auf der Erde.


Fotos Gilda Bartel, Komposition: Fabian Roschka

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Footnotes

  1. Peter Trawny, Ins Wasser geschrieben – philosophische Versuche über Intimität. Matthes & Seitz, Berlin 2013, S. 7.
  2. Ebenda, Novalis zitierend, S. 14.
  3. Ebenda, S. 31.
  4. George Bataille, Theorie der Religion. Hrg: Gerd Bergfleth, Matthes & Seitz, Müchen 1997.
  5. Trawny, S. 31.
  6. Ebenda, S. 102.
  7. Ebenda, S. 138.
  8. Ebenda, S.26.
  9. Ebenda, S. 83.
  10. Ebenda, S. 58, S. 86.
  11. Rudolf Steiner, Mein Lebensgang. GA 28, S. 263.
  12. Trawny, S. 138.
  13. Ebenda, S. 142.

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