Im Sternenreich der Ideen

Christiane Haid und Wolfgang Tomaschitz erkundeten am dritten Vormittag der Weltkonferenz phänomenologisch und im tastenden Dialog den menschlichen Kopf als Ort des Denkens.


Zu Beginn des Gesprächs lenkte Christiane Haid die Aufmerksamkeit auf eine Eigenschaft, die dem Bereich des Kopfes eigen ist: die Ruhe. Der Kopf ist in der Tat der am wenigsten bewegte Teil des menschlichen Organismus, diese Ruhe kann auch im Bewusstsein, im Innenleben, eben im Gedankenleben, gefunden werden.

Kälte des Bewusstseins

Wolfgang Tomaschitz sprach dann über die ‹Kälte› dieses Bewusstseinspols. «Die Bewusstseinsseele ist diese Instanz in uns, die sich ihrer selbst vergewissern kann, die auf Klarheit und Wachheit besteht. Sie ist in ihren Anfängen kühl, kalt. Kälte bedeutet hier, dass man in die Beobachterposition geht, dass man ein Ideal der Objektivität etabliert. Und das ist unheimlich wertvoll.» Dennoch ließe diese Objektivität, in ihrer Kälte, in ihrer Abstraktheit, die Seele erfrieren und verhungern. Deshalb müsse hier Wärme gefunden werden. Da fragte Christiane Haid, wie man sich diesem kalten, ruhigen Raum widmen könne, um aus der Abstraktion herauszukommen und in ein Erlebnis, eine innere Wahrnehmung einzutreten? Wie können Sensibilität und Wille hier wirksam werden?

«Erkenntnispraxis ist, glaube ich, die Antwort», so Tomaschitz. Es geht aber nicht darum, sich mit großen, komplexen Konzepten zu beschäftigen, sondern zunächst geht es einmal darum, sich selbst zu beobachten: «Was weiß ich denn überhaupt über meine ganz einfachen Erkenntnismanöver? Wie bilde ich einen Begriff? Wie führe ich einen Gedanken?» Und woher kommt der Zustand des Wachseins? Was erzeugt ihn? Den Philosophen Dieter Henrich zitierend, meint Tomaschitz, dass wir vielleicht nicht die Produzenten dieses Wachheitszustands sind, sondern im Gegenteil: «Wachheit ist eher etwas, das zu uns Zugang hat.»

Meditative Wärme

Um dem Leben der Gedanken näherzukommen, fragte Christiane Haid: «Was ist Gedankenruhe? Sind es ruhende Gedanken? Ruht das Denken? Kommt das Denken in einen Kontext, in dem Ruhe entsteht? Oder muss ich mich in eine Verfassung bringen, die innerlich so ruhig ist, dass eine andere Seite des Denkens aufscheinen kann?» Es geht darum, Momente der Ruhe zu schaffen, in denen das Denken seine Aufmerksamkeit auf einen Begriff richtet, sich ganz auf bestimmte Worte, bestimmte Ideen konzentriert, wie zum Beispiel auf das Doppelwort ‹Ewigkeitsgründe›. ‹Ewigkeit› und ‹Gründe›: Nun kann man innerlich «auf einem Wort ruhen, erst auf dem einen, dann auf dem anderen, dann auf dem Zusammenklang. Es geht darum, längere Zeit mit seinem Denken darauf zu ruhen. Ich werde dabei innerlich still und bewege das Wort, sodass es anfangen kann, sich in mir auszusprechen. Man bemerkt, dass man sich innerlich in einem Raum bewegt, der sehr anders ist als der, den man sonst handhabt.» So beschrieb Christiane Haid eine meditative Qualität, die sich im Denkprozess abspielen und entwickeln kann.

«Das Denken und die Gedanken sind uns bereits erschlossen. Es ist fundamental», fuhr Tomaschitz fort. In der Beobachtung dessen, was sich hier abspielt, ist es nicht unbedingt notwendig, nach höheren Welten zu suchen, die uns übersteigen würden, sondern etwas zu entdecken, das uns sehr nahe ist: «Etwas Ursprüngliches, etwas, das den Erkenntnismanövern des Alltagsbewusstseins zugrunde liegt.» Eine intime Erfahrung, die unbedeutend erscheinen mag, aber eine große Bedeutung hat. Laut Tomaschitz zeigt uns diese Erfahrung auch den Unterschied zwischen unserer menschlichen Erfahrung des Denkens, seinem Potenzial, und dem, was wir in der künstlichen Intelligenz finden. An diesem Punkt machte Christiane Haid darauf aufmerksam, dass die neuen ‹intelligenten› Maschinen auf akute Weise die Frage aufwerfen, was wir als ‹Menschen› wirklich sind.

Der Ruf der Welt

Während sich die Diskussion rund um die Begriffe von Freiheit und Würde bewegte, wurde allmählich ein Paradoxon unserer Zeit deutlich: Die Ideale, die im Zentrum unserer Zivilisation stehen, lassen sich begrifflich nicht so leicht erfassen. «Woher wissen wir, dass alle Menschen im Hinblick auf ihre Würde gleich sind? Aus der Empirie können wir es nicht ablesen», stellte Tomaschitz fest. «Die Substanz der Begriffe ist mit der heutigen Intellektualität kaum zu fassen. So müsse heute ‹Die Philosophie der Freiheit› neu geschrieben werden angesichts dieser Fragestellung, die die Denker, die zeitgenössischen Philosophinnen und Sozialphilosophen, die wach sind, sehen. Doch gerade hier liegt eine riesige Schwierigkeit vor, weil wir an den inneren Gehalt unserer Verfassungstexte denkend und erkenntnismäßig nicht mehr wirklich herankommen. Das ist prekär.»

Diese tastende und dialogische Erkundung hat deutlich gemacht, wie sehr uns die zeitgenössische Zivilisation herausfordert: Die Ideale, auf die wir uns zu stützen glauben, sind in Wirklichkeit nicht so robust. Ideale und Werte brauchen, um wirklich Fuß fassen zu können, eine Intensivierung der Denktätigkeit, eine Kultur der kontemplativen Qualität im Denken, um über die Abstraktion hinaus in eine Welt zu gelangen, in der die Ideen erlebt und wahrgenommen werden: ein schauendes und erlebendes Denken im Sternenreich der Ideen.


Titelbild Weltkonferenz 2023 am Goetheanum, Foto: Xue Li

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