Im Spannungsfeld von Weltenkräften

Wie sich im Zeitalter der Bewusstseinsseele der Menschheitsrepräsentant als Bild der Zukunft erweist.


Am letzten Septemberwochenende fand die Michaelitagung zur Gestalt des Menschheitsrepräsentanten statt. Anlass war auch das gerade erschienene Buch Im Spannungsfeld von Weltenkräften. Der Menschheitsrepräsentant in Rudolf Steiners Skulptur, Malerei und Glasradierung›. Ein produktives Spannungsfeld war deutlich zu erleben.

Bild: Rudolf Steiner, Felsenwesen, 1916–1917, 1:1-Modell der Gruppe. Foto: Mirela Faldey, entnommen aus dem erwähnten Buch.

Es begann mit dem Wetter, das gerade mit einem heftigen Temperatursturz umgeschlagen war und so signalisierte: Der Sommer ist nun vorbei! Auch das vorgestellte Buch machte seinem Titel alle Ehre: Sein geistiges Anliegen wurde in verschiedenen Beiträgen von Autoren und Autorinnen (Mirela Faldey, David Hornemann, Justus Wittich, Kurt Remund, Roland Halfen) sehr lebendig. Seine viereinhalb Kilo auf der Waage konnte man getrost nach Hause tragen. Zudem wurde auch offen über den schwierigen und langwierigen Prozess vom Abschluss der eigentlichen Forschungsarbeit im Jahre 2013 bis hin zur jetzt erfolgten Veröffentlichung berichtet. Und es war dies die erste Tagung, die von der neuen Leitung der Allgemeinen Anthroposophischen Sektion am Goetheanum gemeinsam verantwortet wurde – drei Menschen, die mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten zum Gelingen des Unternehmens beitrugen: Constanza Kaliks durch erfrischend klar entwickelte Gedanken, Peter Selg mit atmosphärisch dichten Hinweisen auf bedeutsame Zusammenhänge, Claus-Peter Röh mit seiner seelischen Präsenz ein pulsierendes Zentrum des Geschehens bildend.

Umkreisen

Auch methodisch und inhaltlich bewegte sich das Tagungsgeschehen immer wieder in dem Spannungsfeld, in dem sich der Menschheitsrepräsentant zeigt: Anschauend und erkennend ging es um das Bemerken von Wendepunkten in der geschichtlichen Entwicklung wie in der eigenen Seele, um den Atmungsvorgang der Erde und des Bewusstseins im Jahreslauf im Zeichen von Corona, um Besonnenheit und die Anschauung eines Vorgangs oder Kunstwerks von den verschiedenen Seiten her, um die Ohnmacht, aus der etwas Neues entstehen kann, und um die Geistesgegenwart, die die Tendenzen zur Illusion wie zur Erstarrung im Auge behält. Vergangenheit und Zukunft waren immer dabei.

Die Gestalt des Menschheitsrepräsen­t­anten wurde so auf verschiedene Weise umkreist. Dazu gehörte die Betrachtung der in Beton gegossenen Außengestalt des zweiten Goetheanumbaus – wie sich diese aus dem dramatischen Zusammenspiel von Gerade und Krumme ergibt – ebenso wie die stille Vergegenwärtigung des geistigen und sozialen Geschehens in Rudolf Steiners aus rohen Brettern zusammengezimmertem Atelier während der Jahre von 1915 bis 1925. Auch die anderen, auf je eigene Weise mit Raum und Zeit umgehenden Künste waren durch Vorführungen, Übungen und Betrachtungen anwesend – von der Musik über Eurythmie und Schauspiel bis zur Gestaltung des Mittelmotivs durch Steiner in Malerei, Glasradierung und Skulptur.

Constanza Kaliks entwickelte das Motiv der gegensätzlichen Weltenkräfte im Zeitalter der Bewusstseinsseele, der Pico della Mirandola 1496 einen höchst ambivalenten Satz mit auf den Weg gegeben hat, der Hoffnung wie Grauen bedeuten kann: «Wir sind unter der Bedingung geboren, dass wir das sind, was wir sein wollen.»1 Die Ohnmachts- und Abgrunderfahrung auf dem Weg in das bewusste Erleben geistiger Wirklichkeit hat Peter Selg an verschiedenen Beispielen anschaulich gemacht – an der Krisenerfahrung des Jesus selbst auf dem Weg zur Jordantaufe 2 bis hin zu Hans Scholls Satz von November 1941: «Wer das Licht sieht, muss erst arm werden, um im Lichte zu sein, das die Hungrigen seit zwei Jahrtausenden erleuchtet.»3 Aus dieser Stimmung heraus habe Rudolf Steiner bei der Grundsteinlegung zum Johannesbau das ‹makrokosmische Vaterunser› gesprochen, in dem von den ‹Zeugen sich lösender Ichheit› die Rede ist.

Claus-Peter Röh sprach einleitend über die ‹Werdung des Menschheitsrepräsentanten› als Mitte zwischen zwei antagonistisch im und um den Menschen wirkenden Kräften und wie dieses Thema bis heute mehr und mehr hereinwächst in das Menschheitsgeschehen. Dies zeige sich gerade in den angesichts von Corona auftretenden Polarisierungen zwischen Haltungen und Handlungsansätzen. Nun komme es auf eine Umwendung zurück zum Menschen an, auf ein besonnenes Erkennen. Nur aus dem Erfahren von Ohnmacht wachsen die weiterführenden Fragen, an denen sich die polar in Erscheinung tretenden Kräfte selbst brechen können.

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Footnotes

  1. Pico della Mirandola, Über die Würde des Menschen. Meiner-Verlag, Hamburg 1990.
  2. Rudolf Steiner, Aus der Akasha-Forschung. Das fünfte Evangelium. GA 148, Basel 2014. Rudolf Steiner bezeichnet das ‹fünfte Evangelium› auch als das ‹Evangelium der Erkenntnis›
  3. In: Über die Armut. Erschienen in der Zeitschrift ‹Windlicht› im November 1941.

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