Im Licht sein

Licht und Schauspiel zusammenzuführen, gehört zum Konzept der Inszenierung von ‹King Lear›. Ein Gespräch mit Andrea Pfaehler, Regie, und Klaus Suppan, Co-Regie und Lichtdesign. Die Fragen stellte Wolfgang Held.


Licht und Schauspiel zu verbinden, was heißt das?

Andrea Pfaehler In der ‹Faust›-Inszenierung haben wir begonnen, Licht, Sprache und Bewegung enger zusammen zu denken. Vor allem bei den späteren Szenen ist das auch zu sehen gewesen. Dabei geht es darum, dass das Licht nicht beleuchtet und ausleuchtet, sondern etwas von dem widerspiegelt, was der theatralische Ausdruck auf der Bühne ist. Das ist eine andere Herangehensweise. Ich habe entdeckt, dass wir mit Licht auf viel der Materie verzichten können. Da ist das Licht nicht mehr ein Zusatz, der mich über die Tageszeit aufklärt, sondern wir beginnen, mit dem Licht die Situation, die Figur, den Dialog zu malen.

Klaus Suppan Was mir in der ‹Faust›-Inszenierung aufging, war, dass es parallele Suchbewegungen gibt, im Licht und in der Regie. Wir ringen um das Gleiche. Das, wo es zusammenkommt, nenne ich die dynamische Zeitgestaltung. Was in der Handlung sich als dramatischer Bogen zeigt, das kann ich im Licht unterstützen.

Sprache entfaltet sich im Nacheinander, führt in die Zeit hinein. Licht verräumlicht, zeigt das Nebeneinander und führt aus der Zeit heraus.

Suppan Deshalb geht es mir weniger um Lichträume als vielmehr um Zeiträume durch Licht. Das ist das, was ich immer versuche. Wenn eine Szene in drei Minuten auf den Höhepunkt zuläuft, dann kann ich im Licht diesen Zeitraum mitorchestrieren. Dazu ist das Gespräch mit der Regie und das Verständnis des Stücks die Grundlage.

Neben Lichtdesign hast du die Zeitkünste Eurythmie und Musik studiert. Hilft das, Licht zu verzeitlichen?

Suppan Ich glaube, das war schon immer mein Ringen. Wie komme ich in den Zeitprozess, die Zeitlichkeit der Zeit? Wie komme ich ins Lebendige?

Pfaehler Als Regisseurin gehe ich – auch weil ich Schauspielerin bin – von der Personenführung, von dem, was da innerlich geschieht, aus. Dieses Seelische spiegelt sich äußerlich, hat dort seine Resonanz. Das kann das Licht zeigen. Im Moment, in dem Graf Gloster auf die Klippe steigt, kam Klaus das Bild oder die Imagination, dass wir eben als Zuschauer in den Blick von Sohn Edgar steigen und nicht in Glosters Perspektive.

Das ist vor der eigentlichen Probenzeit. Und in den Schauspielproben selbst?

Suppan Da schaue ich durch die Brille des Lichtdesigners oder des Beleuchters und frage mich: Wenn wir zum Beispiel einen Auftritt etwas früher oder später haben, könnte ich diesen oder jenen Übergang mit dem Licht so und so gestalten. Lichtdesign ist dabei immer ein Spagat zwischen Technik und Kunst. Die Frage ist, wie kann ich diese Technik so durchdringen, verstehen und erlösen, dass sie der Kunst dient.

In der ‹Lear›-Inszenierung schaut das Publikum von drei Seiten auf die Bühne. Was heißt das für das Licht?

Pfaehler Dass es für jede Szene verschiedene Perspektiven gibt und dass ich als Zuschauer, als Zuschauerin die anderen Perspektiven sehen kann, das ist für die Inszenierung wichtig. Da wird greifbar, was ich im Alltagsleben manchmal vergesse, jeder Mensch schaut aus seiner Perspektive.

Die Zuschauenden sind somit Teil des Bühnenbilds.

Andrea Pfaehler und Klaus Suppan im Gespräch mit Wolfgang Held. Foto: Screenshot.

Suppan Ich finde es ein großartiges Konzept, aber manchmal verzweifle ich daran, denn was für den einen Zuschauer Seitenlicht ist, das ist für die Zuschauerin auf der anderen Seite Frontallicht. Es soll aber niemand geblendet werden. Und da ist es schwierig, dass alle die Schauspieler und Schauspielerinnen gut ausgeleuchtet sehen können. Jede Lichtposition verlangt nach einer gewissen Intensität: Ein Frontallicht ist nie so stark wie das Gegenlicht. In diesem Konzept spielt daher die Ausgewogenheit eine wichtige Rolle.

Pfaehler Mehr noch: Wir wollen mit der Inszenierung dazu einladen, die oft so leicht zu fällende Kennzeichnung in Gut und Böse zurückzuhalten. Wenn ich mir klarmache, ich sehe die Figur jetzt so, weil ich hier sitze und diesen Blick habe, und zugleich den Blick der anderen Zuschauenden erfahre, dann hilft das, wie wir meinen, anzufangen, mit dem eigenem Standpunkt zu spielen und sich nicht mehr auf den Richterstuhl zu setzen.

Wenn die Zuschauenden zur Szene gehören, sind sie auch im Licht?

Suppan Sie sind am Anfang und am Ende des Stückes im Licht. Das bedeutet, wir führen mit dem Publikum in das Geschehen und gehen mit dem Publikum wieder hinaus. Die Zuschauer und Zuschauerinnen verwandeln sich in die Bühne hinein und verwandeln sich aus der Bühne neu heraus.

Die heutige Welt ist hell und wir blicken beim Handy und PC auf beleuchtete Flächen. Wo bleibt das innere Licht?

Suppan Es ist tatsächlich so, dass in unserer Arbeitswelt wir die meiste Zeit von hintergrundbeleuchteten Displays umgeben sind – wir schauen ins Licht. Das macht das Auge träge. Wenn ich in einen seelischen Innenraum führen möchte, dann mache ich das durch eine geführte Dunkelheit und nicht durch Helligkeit. Es ist schwierig, das Auge des Publikums aus der Helligkeit abzuholen und in die Dunkelheit zu führen, ohne dass es einschläft. Es geht darum, die Seele in die Zeitlichkeit zu führen und sie so auch im Dämmerlicht wach und präsent zu halten.

Pfaehler Ich glaube, dass es einfacher ist, in der Schreinerei die Zuschauenden in die Dunkelheit reinzuführen als im Großen Saal, weil sie nahe am Geschehen sind, nah an der Dunkelheit. Wenn ich sie von Weitem erlebe, dann trenne ich mich. Bei ‹Lear› zählt auch, dass es ein Winterstück ist. Die Figuren tragen viel Kleidung, es ist nass, feucht. Die Schreinerei holt diese Stimmung ab durch das Holz, das runde Dach. Gleichzeitig spielen wir verkleinert. Die Heide ist klein zum Spielen. Das Schloss ist nur ein Raum. Alles Übrige ist der Imagination überlassen. Das ist nach dem ‹Faust› auf der Großen Bühne eine Umstellung, weil die Größe dieses Stückes, die Gewalt der Texte Größe verlangt. Es ist kein Kammerstück. Wir zeigen die Innenseite, und die erlaubt, ja verlangt diese reduzierte Dimension.

Wäre es ein nächster Schritt, gleich mit Bühnenlicht zu proben?

Pfaehler Es gehört zum Theater, dass wir im nüchternen Arbeitslicht die Szenen entwickeln, um dann die Beleuchtung als Geschenk zu erleben, wodurch sich die Seelenstimmung steigert. Wir arbeiten und arbeiten und dann kommt das Licht und das ist ein Fest. Das ist natürlich auch die alte Form des Bühnendenkens, denn es geht uns ja nicht mehr um diesen Effekt des Lichtes, sondern dass das Spiel mit dem Licht verschmilzt, dass wir nicht mehr darauf achten, ‹im Licht zu stehen›, sondern ‹Licht zu sein›. Deshalb wäre konsequent, im Bühnenlicht zu proben.

Suppan Wenn die Beleuchtung so etwas ist wie die Bescherung zum Fest, dann sollten wir vielleicht wie bei den Adventssonntagen immer wieder einen Durchgang im fertigen Licht spielen, um dann wieder zum Arbeitslicht zu wechseln.

‹Faust I›, Kerkerszene, da ergießt sich über Gretchen ein Meer von Licht. Wie kam es dazu?

Suppan Gretchen geht für mich durchs Licht und nicht durch die Dunkelheit. «Sie ist gerettet» ist das letzte Wort und das verstehe ich als eine Überhelligkeit. Ich denke, darüber sollten wir uns immer verständigen bei jeder Figur, wie wir sie dem Publikum vermitteln – und da kann jemand wie Gretchen zwar alleine sein, aber zugleich in Licht aufgehen.

Pfaehler Das Licht zeigt uns wie sonst nur die Musik, dass die Seele mit dem Leib nicht endet, sondern zugleich in der Umgebung zu Hause ist. Das ist die seelische Atmosphäre, die Stimmung. So erzählt das Licht fortwährend, was eine Figur fühlt, denkt und will. Hier gehen wir – Licht und Regie – zusammen auf die Suche.

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