Im fünften Monat der Corona

Was sich erst mit Masken zeigt.


Der letzte Tag im Juli 2020, ein Freitag. Meine Fahrkarte prognostizierte 7,02 Stunden Fahrzeit, wenn alles nach Plan lief. Es war ein heißer Tag, ich hatte einiges an Gepäck dabei, dreimal umsteigen – mit Gepäck, mit Hitze, mit Schweiß, mit Verspätungsrennen zum nächsten Bahnsteig; und das Ganze auch noch mit Maske. Zum Schutz des Mundes und der Nase, an deren Bedeckung zu denken wir ja permanent über Lautsprecher aufgefordert werden, als müssten wir uns dafür schämen.

Ich dachte, spätestens bei solchem Wetter wird kaum jemand die Maske noch als einen Schutz erleben, es ist die reine Qual. Aber wir schützen ja den andern vor unsrem üblen Aushauch. Dieser wird jedoch durch die Maske erst richtig übel, denn rund um Mund und Nase fließt der Schweiß, den es ohne Maske in diesem Maße gar nicht gäbe. Und unter dieser Maske, unter der beständigen Resorption des gerade Ausgeatmeten, komme ich innerlich in ein Spannungsfeld von Aggression und Depression, was gar nicht förderlich für Empathie und Mitgefühl mit anderen ist.

Vergegnungen

Zunächst saß ich vier Stunden am Stück im ICE. Nach der Fahrkartenkontrolle nahm ich die Maske ab. (Ich trage sie nur für die anderen.) Ich hatte einen Platz am Fenster, auf dem Stuhl neben mir Gepäck, über den Gang zum nächsten Sitz ca. 1,50 Meter Abstand, und die Menschen hatten sich respektvoll voreinander gut verteilt.

Foto: Adrien Jutard

Das ändert sich in Köln, da wird es rappelvoll. Auf den Sitzen überm Gang nimmt ein Pärchen der Gattung Mensch mit schwarzen Schnabelmasken Platz. Sie klappten sofort die Laptops auf, die Frau desinfizierte ihre großen knochigen Hände aus einer mir riesig erscheinenden Flasche. Ein Gefühl drohenden Unheils kommt auf. Sie klapperten eine Weile auf ihren Laptops vor sich hin. Nach einem Stakkato dreht sich die Frau abrupt zu mir und fragt mit weit aufgerissenen Augen, warum ich keine Maske trage. Ich antworte, dass ich ihr dafür wohl keine Rechenschaft schuldig wäre. O doch, das wäre ich, das sei doch eine ausnahmslos für alle gültige Verordnung: im öffentlichen Verkehr gelte die Maskenpflicht. «Auch für Sie!»

• «Wenn Sie die schlichte Wahrheit wissen wollen: Ich kann mit der Maske nicht atmen und wenn ich in sieben Stunden Zugfahrt keine Luft bekomme, bin ich am Ziel meiner Reise in einem gesundheitlich sehr bedenklichen Zustand, für den die Verordner dieser Maßnahmen keinerlei Haftung übernehmen. Also übernehme ich selbst die Verantwortung, um gar nicht erst in einen solchen Zustand zu kommen, und trage aus Verantwortung für meine Gesundheit keine Maske.» Das sei ja wohl die Höhe, sich hier so rausreden zu wollen.

• «Wenn Sie mit Maske keine Luft bekommen, können Sie eben nicht mit dem Zug fahren.»

• «Ich kann genauso wie Sie mit dem Zug fahren, ich sitze hier ruhig und friedlich und schaue aus dem Fenster. Sie hingegen sind aggressiv und attackieren mich.»

• «Sie sind ja ein Coronaleugner, das geht so nicht, ich melde das jetzt dem Zugführer.»

Gesagt, getan. Aber ohne Erfolg. Man hörte die ihrerseits mit schriller Stimme geführten Verhandlungen noch aus dem anschließenden Wagen, das Zugpersonal jedoch verweigerte den Auftritt zur zwanghaften Durchsetzung der Maskenpflicht. Ihrem Schwarzschnabelpartner meldete sie, dass hier keiner den Arsch in der Hose hätte, gegen ‹solche Leute› vorzugehen.

• «Solche Leute wie Sie müssten ordentlich Strafe zahlen, aber richtig, 1000 Euro, dann würde Ihnen schon die Aufmüpfigkeit vergehen», kam es jetzt auch aus seinem Schnabel zu mir herüber gekeift.

• «Wenn ich das richtig sehe, haben wir 1,50 Meter zwischen uns», sagte ich. «Mir wäre ein größerer Abstand zu Ihnen auch sehr willkommen, aber beruhigen wir uns doch, der Mindestabstand ist gewahrt, Ihnen wird von mir weiter nichts passieren.»

• «Setzen Sie gefälligst eine Maske auf!»

Begegnungen

Ich wende mich ab und sie hauen weiter auf ihre Laptops ein. Ihr Beitrag zur Errichtung des Totalitarismus, wo keiner mehr aus der Spur springen darf, ist harte, freudlose Arbeit. Sie taten mir leid.

Die nächste Station nach Köln ist anderthalb Stunden später Frankfurt Flughafen. Ich hatte aus dem Fenster geschaut, den Vorfall bedacht, die Aufregung beruhigt und im Oberstübchen fast schon vergessen.

Da kam die ‹Zweite Welle› über mich. Jetzt war der Gang voller Leute, die aussteigen wollten. Eine Frau mit wirren schwarzen Zwirbellocken, gelber Maske und scharfer Brille zischte: «Ah, Sie sind das, die hier meint, keine Maske tragen zu müssen, das finden wir gar nicht gut, gar nicht gut finden wir das!»

Schließlich stieg die Meute aus. Die Schwarzschnäbel allerdings nicht. Wir standen noch mit dem Zug, da kam eine junge Frau zurück, die ich vorher nicht gesehen hatte.

Sie stützte sich mit dem linken Ellbogen auf dem Sesselrand schräg vor mir ab und schlenkerte zu diesen Worten ihre Hand mit langen roten Fingernägeln, als wollte sie die schon mal gegen mich in Schwung bringen. Ich schaute in die Gesichter – was die Maske davon übrig ließ – der hinter ihr stehenden Frauen, schaute allen in die Augen: harte Augen voll Unverständnis, Missbilligung und Hass schauten auf mich herab. Ich musste mir in den Arm kneifen, aber ich träumte nicht. Das war wohl bereits die neue soziale Wirklichkeit.

• «Wegen Leuten wie Ihnen fahren jetzt ganz viele Leute nicht mehr mit dem Zug, weil sie Angst haben müssen, sich anzustecken», keifte es von den Schwarzschnäbeln.

• «Ich würde eher wegen Leuten wie Ihnen nicht mehr besonders gern im Zug sitzen», entgegnete ich, und ich kann mir vorstellen, dass ich nicht die Einzige bin.

• «Ja, gute Idee, bleiben Sie bloß zu Hause!», der männliche Schwarzschnabel.

Schließlich stieg die Meute aus. Die Schwarzschnäbel allerdings nicht. Wir standen noch mit dem Zug, da kam eine junge Frau zurück, die ich vorher nicht gesehen hatte. Sie wandte sich zu mir und sagte mit klarer Stimme: «Übrigens, ich wollte Ihnen sagen, dass ich ganz Ihrer Meinung bin.» Und mit einem herzlichen Lächeln: «Bleiben Sie gesund!», und mit einer kaum merklichen Wendung zu den Schwarzschnäbeln: «Die andern hier werden da wohl kaum eine Chance haben.»

Dann stieg sie aus. Ich glaube, es war eine Schaffnerin, die Feierabend hatte. In der Erinnerung sehe ich ihr Gesicht als Ganzes vor mir, obwohl sie eine Maske trug. Eine beherzte Zeitgenossin, die mitschafft an der sozialen Wirklichkeit, die im Entstehen begriffen ist. Die Schwarzschnäbel mucksten sich danach nicht mehr.

Ich würde mich gern auch an ihr menschliches Gesicht erinnern.

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