Es ist keine Einzelstimme: Eine religionskritische Zeitschrift1 weist auf die Leugnung des Klimawandels in anthroposophischen Kreisen hin und zitiert dabei auch Beiträge aus der Wochenschrift. Um die aktuellen Anstrengungen des Goetheanum zu Fragen des Klimawandels darzustellen, haben wir mit Lin Bautze von der Landwirtschaftlichen Sektion über den Beitrag von Anthroposophie und biodynamischer Landwirtschaft für die Umweltbewegung gesprochen. Die Fragen stellte Charles Cross. Aus dem Englischen übersetzt von Margot M. Saar.
Lin, kannst du etwas über dich und deine Erfahrung mit Klimaaktivismus erzählen?
Danke für die Einladung. Als ich anfing, war ich so etwa 18 Jahre alt, und es wurde mir damals klar, dass ich auf jeden Fall etwas studieren musste, was mit Klimawandel zu tun hat. Das kam aus einem inneren Impuls, dass dieses Thema wichtig ist und eine wichtige Aufgabe in der Zukunft sein wird. Es gab damals bereits wissenschaftliche Studien, und obwohl die Menschen sich bewusst waren, dass internationale Regierungsorganisationen sich mit dem Klimawandel beschäftigten, war dies doch ein Thema, das wenig Interesse hervorrief. Ich erinnere mich an viele Zugreisen, auf denen ich mit Menschen in der ganzen Welt sprach und ihnen von meiner Arbeit erzählte. Sie waren sehr kritisch und sagten: «Warum baust du deine Zukunft auf die Klimakrise? Das ist doch kein Thema, sondern nur etwas für die Medien und die Presse.» Seit dieser Zeit vor etwa 14, 15 Jahren hat sich viel getan. Auch die Landwirtinnen und Landwirte waren früher skeptisch. Aber mittlerweile ist sich die Gesellschaft und die Landwirtschaft des Klimawandels stärker bewusst. Die Menschen haben weniger Zweifel und erleben bereits auch die Folgen des Klimawandels. Viele Menschen sehen bereits, dass extreme Phänomene, wie Dürren oder hohe Niederschläge, zunehmen. Auch wenn es natürlich immer noch kritische oder skeptische Stimmen gibt, sowohl innerhalb als auch außerhalb der anthroposophischen Welt. Aber der Klimawandel wird immer wichtiger und sichtbarer, und das ist auch täglich spürbar. Das erleben besonders die Menschen, die in der Landwirtschaft tätig sind.
Woran liegt dieses Zögern bei manchen Menschen? Welche Überlegungen oder emotionalen Erlebnisse stecken deiner Meinung nach dahinter?
Als ich das erste Mal Leuten begegnete, die den Klimawandel leugneten, konnte ich ihre Gedanken und Einsichten überhaupt nicht verstehen. Es war mir vollkommen unverständlich, wie man den Klimawandel von der Hand weisen will. Wie ein Mensch die wissenschaftlichen Befunde und die Erfahrungen bestreiten kann, die in der Landwirtschaft und von anderen Menschen, die sich den Veränderungen gegenüber sehen, gemacht werden. Aber ich denke, um die Sache gemeinsam angehen zu können, ist es wichtig, keine Mauer aufzurichten und stattdessen in den Dialog zu kommen. Jetzt versuche ich, mehr zuzuhören und verschiedene Stimmen zu hören und die Gründe für ihre Bedenken kennenzulernen.
Ich denke, einer der Gründe für das Abstreiten ist, dass der Klimawandel stark mit Schuldgefühlen und Angst besetzt ist, und das macht es schwierig, sich damit auseinanderzusetzen. Man will sich nicht dafür schuldig fühlen, dass man existiert. Aber man steht doch vor diesem Dilemma und kann schlecht damit umgehen, dass man in der Welt ist und Treibhausgase erzeugt, die für den Tod so vieler Menschen in der ganzen Welt verantwortlich sind.
Ich denke, es fehlt auch an Vertrauen in die Wissenschaft, weil Klimawandel etwas ist, was an Zukunftsmodellen festgemacht wird. Diese Modelle sind komplex und nicht leicht nachzuvollziehen, weil sie in der Zukunft liegen. Es ist also auch eine kulturelle Frage, ob jemand ganz in der Gegenwart lebt oder für die zukünftigen Generationen und Menschen. Ob man meint, dass die Zukunft wichtig ist und man an die nachfolgenden Generationen denkt oder ob man sein eigenes Leben einfach voll ausschöpfen will.
Es hat auch mit Kommunikation zu tun, denn Klimawandel wird meistens negativ und drastisch dargestellt, und wenn man die Auswirkungen nicht unmittelbar spürt, sind sie einfach schwer nachzuvollziehen. Landwirtinnen und Landwirte haben da meiner Meinung nach einen großen Vorteil, obwohl sie andererseits besonders betroffen sind, weil sie mit den Auswirkungen des Klimawandels direkt konfrontiert sind: Sie sehen sie auf den Feldern, sie sehen es, wenn sie das Getreide ernten, sie sehen es, wenn sie miterleben, wie Hitzewellen ihre Tiere strapazieren, usw. Sie sind den Auswirkungen des Klimawandels unmittelbar ausgesetzt.
Ein weiterer Aspekt ist die Bereitschaft von Menschen, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen und nicht ihr ganzes Vertrauen in die Politik zu setzen. Ich höre oft Aussagen wie: «Ja, ich kann nichts gegen den Klimawandel tun. Das muss die Politik entscheiden.» Die Menschen fühlen sich gleichzeitig ohnmächtig und unter Druck, weil ihnen klar ist, dass die eigenen Handlungen und Entscheidungen, auch wenn man nur ein einzelner Mensch ist, doch für die ganze Welt relevant sind. Das macht Angst und je nachdem, was für ein Typ man ist, fühlt man sich überwältigt oder frustriert.
Partnerschaft mit der Erde
Ich kann viele der Bedenken der Politik gegenüber aus eigener Erfahrung gut nachvollziehen. Ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen in den letzten Jahren vermehrt gegen das wehren, was sie als staatliche Bevormundung oder Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit erleben. Mir scheint, dass die Anthroposophie bestens aufgestellt ist, Menschen zu der Art von Freiheit zu ermutigen, die Verantwortung für das Ganze mit einschließt, oder die sich in Beziehung mit der Gemeinschaft und mit der Erde sieht. Das bringt uns zu der spirituellen Seite dieses Themas. Welchen Beitrag kann die Anthroposophie hier deiner Meinung nach leisten?
Ich meine, dass man unterschiedliche Phasen durchmacht, wenn man 15 Jahre lang an der Debatte um den Klimawandel teilnimmt. Ich kann nicht davon ausgehen, dass für mich alles feststeht, dass ich niemals meine Haltung ändern werde. Aber ich habe auch das Gefühl, Corona zwingt uns zu hinterfragen, welche Rolle uns als Menschheit auf der Erde zukommt. Was ist die Rolle der Natur, oder wie wirken Mensch und Natur zusammen? Was ich in diesen Jahren gelernt habe, in denen ich die Natur beobachtet und auf sie hingehört habe, ist, dass alles, was ist, eine Rolle spielt – nichts ist ohne Sinn, sondern alles ist eingebunden in unsere große und komplexe Erde. Jahrhundertelang haben wir Menschen die Rolle der Eroberer, Pioniere, Zerstörer und Erschaffer einer Trennung zwischen uns und der Natur angenommen. Und wir haben diese Freiheit ausgelebt. Wir hatten das Gefühl, uns irgendwie von der Natur emanzipiert zu haben, und ich glaube, dass der Klimawandel uns bewusst macht, dass das nicht länger möglich ist. Eine vollständige Trennung ist weder für die Erde noch für uns als Gesellschaft gesund.
Selbst wenn sich die aktuelle Debatte immer noch sehr auf den Kampf gegen den Klimawandel und gegen extreme Wetterverhältnisse usw. konzentriert, glaube ich, dass es darum geht, eine Balance zu finden. Was ich anstrebe, ist ein Gleichgewicht mit der Natur, das mir erlaubt, mit der Natur ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, was wir als Einzelne tun können. Das ist nicht einfach. Es ist wie eine Partnerschaft. Im Gespräch mit der Natur erlebt man, dass man sich manchmal im Interesse dieses Gegenübers etwas zurückhalten muss. Dann erlebt man aber auch, dass einem dieses Gegenüber viel schenkt. Es ist ein Geben und Nehmen. Ich frage mich, ob der Klimawandel es uns ermöglicht, wirklich in ein Miteinander und eine Partnerschaft mit der Erde zu kommen, die gleichzeitig eine Partnerschaft unter Menschen, in der Gesellschaft ist, weil wir durch die Atmosphäre grundsätzlich miteinander verbunden sind. Es geschieht nicht oft, dass unsere individuellen Handlungen sich auf anderen Kontinenten, in anderen Ländern oder Regionen in der Welt so auswirken, wie das beim Klimawandel der Fall ist. Das hilft uns, aufeinander zuzugehen und wirkliche Empathie zu entwickeln. Ich finde es wenig hilfreich, den Klimawandel einzig als etwas Destruktives zu betrachten. Wir sollten ihn eher als etwas betrachten, das uns helfen kann, uns als Menschheit auf gesündere und ausgewogenere Art einzubringen.
Mir gefällt die Beschreibung von Klimawandel als eine Art Initiation zu einer neuen und reiferen Stufe von Menschsein.
Für mich heißt das nicht, dass Klimawandel nicht ein Problem darstellt. Ich möchte das auf keinen Fall unterbewerten oder verharmlosen. Wir wissen schließlich, dass täglich Menschen durch die Auswirkungen extremer Wetterverhältnisse ums Leben kommen, und wir wissen, dass die Ernten durch zunehmende Trockenheit gefährdet sind. Und wir wissen auch, dass sich die Situation in Zukunft weiter verschlimmern wird. Dennoch denke ich, dass diese Situation uns helfen kann, unseren Umgang, unser Geben und Nehmen mit der Natur neu zu denken. Natürlich gilt es, schnell und vielleicht auch durchgreifend zu handeln, aber das muss ganzheitlich geschehen, denn wir müssen wirklich das ganze System umstellen, um nicht weiter Raubbau mit den Ressourcen der Erde zu treiben.
«Was ich anstrebe, ist ein Gleichgewicht mit der Natur, das mir erlaubt, mit der Natur ins Gespräch zu kommen und zu verstehen, was wir als Einzelne tun können.»
Ein gemeinsames Streben
Der Titel des Buches, das die Sektion demnächst herausgeben wird, lautet ‹Atmen mit der Klimakrise›. Das war auch das Thema einer Tagung, die eure Sektion letztes Jahr zusammen mit der Jugendsektion veranstaltete. Kannst du etwas mehr über den geistigen Ansatz sagen, um den es da geht?
Im Grunde wollen wir die anthroposophischen und biodynamischen Impulse in eine moderne und verständliche Sprache ‹übersetzen› und aufzeigen, wie sie dabei helfen können, mit dem Klimawandel zu arbeiten, anstatt ihn zu bekämpfen. Da geht es zum Beispiel um den Begriff des Organismus, den Rudolf Steiner für viele Bereiche betonte. In der biodynamischen Landwirtschaft wird ein Hof als Organismus gesehen, in dem unterschiedliche Elemente zusammenspielen, sodass man statt Monokulturen einen selbständigen, differenzierten Hof hat. Die Bäuerinnen und Bauern, die einen Hof auf Grundlage dieses Organismusprinzipes bewirtschaften, entwickeln oft eine ganz andere Beziehung zu der umgebenden Landschaft und Natur. Anders als bei konventionellen und auch biologischen Höfen, finden biodynamische Betriebe oft ganzheitliche Lösungen für ökologische, aber auch für wirtschaftliche, soziale und spirituelle Probleme. Und das Gute an diesem Prinzip ist, dass es überall verwirklicht werden kann, von jeder Landwirtin und jedem Landwirt, in jeder Region. Man passt das System an die Bedürfnisse vor Ort an. Es ist also nicht bloß ein Konzept, sondern kann eine Lösung für den Klimawandel werden. Diese Idee des Organismus kann man auch im eigenen Garten umsetzen, oder in der Küche, im Supermarkt, denn sie hilft uns, uns mit der Erde als einem Lebewesen zu verbinden, das heißt: Es gibt keine Trennung mehr zwischen Natur und Mensch, sondern ein gemeinsames Bestreben.
Andere Aspekte, die in diesem Buch zur Sprache kommen, sind schwieriger zu übertragen. Grundsätzlich wird betont, dass wir als Menschen keine destruktive Rolle spielen müssen, sondern dabei helfen können, eine gesunde Umwelt zu schaffen. Man kann sagen: ‹Lokal handeln, global denken›. Das heißt, auch wenn man nur ein kleines Stück Land bewirtschaftet, so sieht man die Erde doch als einen Gesamtorganismus und man schaut auf die Konsequenzen, die das eigene Tun in der Welt haben wird. Dadurch verbindet man sich global, mit der globalen Atmosphäre. Und das ist etwas, was sich für unsere Arbeit als äußerst segensreich erwiesen hat.
Das kann auch helfen, wenn der Klimawandel für den einzelnen Menschen als zu überwältigend erlebt wird. Wenn wir diese kleinen Schritte in unser wie auch immer geartetes Netzwerk von Beziehungen aufnehmen, so wird sich das nach außen auswirken.
Das Gute an der Landwirtschaft ist, dass man die Auswirkungen sehen kann. Es dauert vielleicht eine Weile, aber verglichen mit anderen Bereichen sieht man die Auswirkungen des eigenen landwirtschaftlichen Tuns. Und ich denke, dass das etwas ist, was sie für andere attraktiver und zugänglicher macht, weil sie sich leichter damit verbinden können. Wir freuen uns darauf, unser Buch bei der internationalen Klimakonferenz COP 27 in Ägypten vorzustellen und zu sehen, wie die politische Welt darauf reagiert.
Die Welt scheint sich wirklich auf Kohlendioxid und Treibhausgase als den einen großen, bösen Feind festgelegt zu haben. Es wird irgendwie abstrakt mathematisch kalkuliert. Aber wir müssen die Sache dennoch holistisch angehen. Wir können quantitativ und kognitiv ein Problem konstatieren, aber wir können es auch so angehen, dass wir unser Augenmerk mehr auf das Ganze richten, auf unsere Beziehungen und auf kleine individuelle Handlungen.
Das Interessante an Kohlendioxid ist, dass es bei zu hoher Emission schädlich sein kann, aber dass es super ist, wenn es im Boden oder im Agroforstsystem, in Hecken und Bäumen, gebunden ist. Das ist eine Frage der Kommunikation, ob man etwas als extrem schädlich darstellt oder einen fruchtbaren Umgang damit aufzeigt. Ich habe kein Problem mit Kohlendioxid. Wenn es im Boden und in Bäumen gebunden ist, ist es eine gute Sache. Es ist ein anderer Ansatz: Man sieht eine Gelegenheit, denn da ist eine reiche Ressource, die zwar aus dem Gleichgewicht geraten kann, mit schlimmen Folgen, die aber auch positiv genutzt werden kann. Etwas, das uns in der Welt helfen kann, eine Sprache zu sprechen und uns miteinander zu verbinden.
Wow! Gibt es noch etwas, das du gern über die Arbeit der Sektion sagen würdest? Oder etwas, das dich begeistert und das du zu guter Letzt noch erwähnen möchtest?
Wir haben darüber gesprochen, wie frustriert man darüber sein kann, dass man sich innerlich schuldig oder ohnmächtig fühlt. Ueli Hurter, Co-Leiter der Sektion für Landwirtschaft, hat etwas gesagt, das mir oft in den Sinn kommt: «Die Erde wartet auf meinen Fußabdruck. Ich will auf der Erde gehen und meinen Beitrag zu unserer gemeinsamen Zukunft leisten.» Und das ist, was wir meiner Meinung nach in der Sektion erreichen möchten: zu sehen, dass ein Fußabdruck, dass unsere Existenz und unser Atmen, unser Sein auf dieser Erde nicht nur destruktiv sind, sondern dass sie auch die Grundlage für positive Entwicklungen und gute Handlungen sein können. Ich würde mich persönlich für das Positive entscheiden, wenn es auch manchmal schwierig ist und größere Anstrengungen von mir verlangt. Was zählt, ist, dass wir Menschen uns nicht ablenken lassen und uns für den positiven Fußabdruck entscheiden.