Ich will

Wollend ist die Seele ein Feuer. Sie wird zur Welt, die Welt wird zu ihr.


Mit unserem gewöhnlichen Bewusstsein leben wir in einer Welt von Formen. Wir versuchen, unsere Umwelt in klar definierten Konturen zu erfassen, in möglichst eingegrenzten Darstellungen. Durch diese Formen verorten wir uns, fühlen wir die Schwelle zwischen uns und der Welt. Durch die Konturen wird unser Selbstbewusstsein geweckt. Je definierter die Form ist, desto klarer das Bewusstsein.

In der Moderne hat sich dieses Formbewusstsein so weit entwickelt, dass alles, was keine klar definierte, berechenbare oder messbare Form hat, den Status von Realität verloren hat. Die Form regiert. Buchhaltung, Verträge, Gesetze, Verwaltung, Protokolle, Mechanik ermöglichen es, alles zu umreißen. Auf einer imaginativen Ebene erscheint diese Formalisierung der Welt wie eine Einfrierung. Was verschwommen und beweglich war, erstarrt in einer Form. In dieser Beziehung zur Welt fühle ich mich in ein gefrorenes Universum versetzt.

Reine Aktivität

Doch die Welt ist in Bewegung, sie entwickelt und verwandelt sich. Wenn wir den Ursprung dieser Bewegung und Transformationen finden wollen, müssen wir zugeben, dass es vor der Form etwas anderes gibt. Vor der Form ist keine Form. Die Urknalltheorie versucht, von einem bestimmten Standpunkt aus, dieses ‹Etwas› zu beschreiben, das am Anfang war. Hier befindet sich die ‹reine Aktivität›: etwas, das keine Form hat, sondern ein unbestimmtes und unendliches Potenzial wie auch Energie, Kraft, einen Impuls zur Tat und Offenbarung in sich birgt.

Werfen wir einen Blick in die Natur, sehen wir reges Leben, Bewegung, immerwährende Aktivität. All diese Prozesse sind nur möglich, weil es eine Energiequelle gibt, die ihr seit den Anfängen vorausgeht und sie ständig durchströmt. Diese Quelle wird für uns ständig durch den Stern aktualisiert, der das Zentrum unseres kosmischen Systems bildet: die Sonne. Die Sonne ist jenseits der Form; sie ist pure, vibrierende Energie.

Diese reine und gigantische Aktivität durchdringt das Universum und damit die gesamte Materie, die Natur und die Körper. Für das formale Bewusstsein erscheinen diese Realitäten unendlich weit entfernt, fremd und sogar bedrohlich. Innerhalb der Mauern meines formalen Bewusstseins kann ich jedoch feststellen, dass die universelle Energie, die am Ursprung der Welt steht und den Kosmos durchdringt, nicht nur außerhalb von mir ist. Der Mensch steht nicht unbeweglich und starr in der Welt. Er verändert sich selbst ständig. Er kann sich bewegen, aufstehen, gehen, rennen, winken, schieben, ziehen, heben, Geräusche machen und die Welt um ihn herum verändern. Ein Teil dieser ursprünglichen Kraft, dieser großen kosmischen Energie, ist auch in mir und steht mir zur Verfügung.

Diese Urkraft ist ein Verbrennen, die reine Aktivität eines originären Feuers. Sie kommt besonders in den himmlischen Feuern, den Sternen, zum Ausdruck, aber auch überall, wo Bewegung, Transformation, Aktion ist; wie eine Hitze, die im Weltkörper selbst bis hin zum Menschen glüht. Als wäre der Urknall immer noch in jedem Menschen vorhanden. Jeder Mensch ist wie ein individualisiertes Stück des Urfeuers.

Reise in die Formlosigkeit

Das Urfeuer weckt Vorsicht und Ehrfurcht. Um es in sich selbst oder in den uns umgebenden Wesen zu entdecken, muss das Bewusstsein sich entwickeln und die Formwelt verlassen. Es muss sich mutig in den Bereich der Wechselwirkungen begeben. Es ist ein bewegtes Land, in dem Farben, Klänge und Gerüche nicht mehr an Formen gebunden sind, sondern sich frei durchdringen. Diese Welt ähnelt den alten Kosmogonien und Mythologien. Hier führt der Weg über die Formen hinaus zur ursprünglichen Kraft. Hier durchdringen und befruchten sich die Dinge gegenseitig, tauschen ständig ihre Qualitäten aus, manchmal harmonisch-symphonisch, manchmal chaotisch-alptraumartig. Das Bewusstsein, das sich hierhin wagt, ahnt, dass diese Welt nicht weniger real, sondern vielmehr substanzieller ist und näher am Ursprung liegt.

Wir sind noch nicht in der Welt der reinen Aktivität angekommen. Wir müssen alle Spuren der sichtbaren Welt verlassen und vollständig eintauchen. Wo die Urenergie ist, ist alles Verschmelzung, Vernichtung der Form, reine Aktivität. In reiner Aktivität, reiner Präsenz verschmelze ich mit den Dingen und kann sie, da ich in ihnen bin, umwandeln und auf sie einwirken. Ich schlafe in den Dingen ein durch einen äußerst aktiven Schlaf. Ich sehe nichts mehr, denn ich bin in den Dingen.

Im Land der Drachen

Mit jeder Handlung, jeder Geste, ob äußerlich, ob innerlich, ist der Mensch in gewisser Weise eins mit der Welt. Durch sein Wollen, absichtlich oder nicht, verschmilzt, verbrennt und lebt er im Inneren der Welt. Durch das Wollen erfüllt sich der Mensch oder verliert sich. Denn in einer formlosen Welt des Urchaos gibt es genügend Gefahren. Das Chaos ist für Erneuerung, Schöpfung und Freiheit notwendig. Dort wird alles wieder zu reiner Energie. In jeder Seele befindet sich dieser Ort des Weltanfangs. Dieses innere Feuer muss sich nähren, will verbrennen, essen, sich vereinigen, die Welt aufnehmen, durchdringen und umwandeln.

Drachen sind die Sinnbilder dieses ursprünglichen Feuers. Einige Drachen schlummern in der Dunkelheit der Tiefe, bedeckt mit harten, dunklen Schuppen und auf ihren Schatz gebettet. Andere Drachen können viel luftiger, leichter und farbenfroher sein, von denen wir Bilder aus Asien kennen. Der Blick des Drachens ist kein menschlicher Blick, er ist vormenschlich. Sein langer, mächtiger und flammender Körper drückt die reine Aktivität des Kosmos aus, ein kosmisches Wollen. Drachen sind nicht von Natur aus böse, aber sie können sich verhärten und alles zerstören. Der dunkle Drache ist ein Drache, der durch die selbstsüchtigen Kräfte der Formenwelt gefallen ist. Wenn das menschliche Bewusstsein sich auf die Formenwelt beschränkt, bleibt es distanziert, äußerlich, in sich geschlossen und von der Urkraft abgeschnitten. Dann bleibt auch das Feuer des Wollens in sich selbst gefangen.

Das Schicksal der Drachen hängt von der Fähigkeit des menschlichen Bewusstseins ab, sich von der formalen Welt zu emanzipieren, in dem es wach eintaucht. Dann wird das Bewusstsein zu einer Öffnung, durch die alle Energien aus der Natur und dem Kosmos strömen. Das Urfeuer, das von überall auf uns zukommt, vereint sich mit unserem eigenen Wollen. Die Wesen beginnen sich zu durchdringen, zu vereinen, gegenseitig zu verdauen. Von kosmischen Kräften genährt, verwandelt sich der Drache. Jede Welle, die von der Welt zu ihm kommt, wird zu seinem Schatz, seiner Nahrung, seiner Kommunion. Er findet die ursprüngliche kreative Potenz wieder. Er wird wieder zu einem schönen, leichten und farbenfrohen Drachen, der mit seiner Umgebung flammt und vibriert, ein feuriger Helfer für die größten Schöpfungen. – Auf der Stirn der Menschen, deren Denken von dieser kreativen Potenz beflügelt wird, deren Bewusstsein die Schwelle der formalen Welt überschreitet, erscheint wie eine Flamme, wie ein kleiner flammender Drache, eine Feuerzunge, die ihre Kraft aus dem Weltenursprung schöpft.


Illustration Grafikteam der Wochenschrift

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