Ich komme vom Boden

Ein roter Mantel mit Rosenblüten am Ärmel, dazu ein karminroter Schal mit roten Fäden am Ende – so sitzt mir Katharina Serafimova gegenüber. Einen Blick auf den roten Faden oder das Mobile der vielen roten Fäden ihres Lebens zu erhaschen, habe ich mir hier zur Aufgabe gemacht.


Aufgewachsen in Portugal, hat Katharina in Brasilien, Deutschland und der Schweiz gelebt und engagiert sich in zahlreichen ökologischen Projekten. Dennoch sagt sie über sich: «Ich komme vom Boden.» Passenderweise lebt sie zurzeit am Bodensee im schweizerischen Thurgau mit Tochter und Partner, mit direktem Zugang zum See. Ihre erste Heimat war jedoch der Boden Südportugals, wo sie mit den Gezeiten am Meer lebte: «Dort durfte ich mit den Elementarwesen sprechen.» Später in Brasilien schälte sich ihr Einsatz für ökologische Themen mehr heraus. Als Jugendliche absolvierte Katharina dort ein Austauschjahr und wurde auf dem Weg zu einem Cello-Festival in einem Bus nach Curitiba ausgeraubt. Bis auf das Cello wurde alles weggenommen. Nachdem sie schließlich auf dem Festival gestrandet war, nahm sie eine freundliche Familie von Stadtplanerinnen und -planern auf. Deren Gedanken über Stadtentwicklung, Umwelt, Grund und Boden machten einen derart tiefen Eindruck auf sie, dass sie innerlich wusste, dass sie auch etwas in dieser Richtung machen wollte; nur noch mehr ins Menschlich-Lebendige gewandelt, also dorthin, wo die Kreativität der menschlichen Formung auf Landschaft und Ökologie trifft. Einen Zugriff zu diesen Themen sah sie damals durch ein naturwissenschaftliches Studium gegeben, für das es sie erstmals in die Schweiz zog. Ihre Suche nach den Ursachen für unnachhaltige Weltzustände führte sie schließlich zum Thema Geld. «Geld hatte ich nicht verstanden. Wie fließt denn das Geld und wer steckt dahinter?», fragte sie sich, was in eine Tätigkeit im Nachhaltigkeitsbereich einer Schweizer Privatbank mündete und für den WWF vertieft wurde. Es ging ihr darum, immer mächtigere Menschen zu erreichen, die die Hebel der Gesellschaft für positive Veränderungen nutzen könnten. «Ich habe mit der Zeit aber gemerkt, dass dieses Feld mehr Einfluss auf mich hat als ich auf das Feld», resümiert sie heute diese Zeit. Den Entschluss, die Lobbyarbeit im grünen Finanzbereich zu beenden, fasste sie auf einem Flug über den Atlantik: «Ich flog über meinen geliebten Atlantik, um in den USA mit einer Bank über die Dekarbonisierung ihres Portfolios zu sprechen, obwohl sie das wahrscheinlich sowieso nicht machen würde.» Ihr wurde klar: Wirkliche Veränderung konnte nicht nur durch das Darüberreden geschehen, sondern musste selbst in die Hand genommen werden.

Dem Boden dienen

So wurde sie zur Unternehmerin und gründete mit zwei portugiesischen Frauen die Organisation Terra Sintrópica, in der es um die Förderung einer regenerativen Art von Landwirtschaft geht – wieder der Boden als Thema, dieses Mal als Einstieg in die unternehmerische Welt. Seitdem schmiedet sie «ungewöhnliche Allianzen, um Wirtschaft und Landwirtschaft wieder zusammenzubringen». Dabei ist ein Redesign des Geldsystems ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, denn Geld ist für Katharina eigentlich «das spirituelle Element der Wirtschaft». «Wenn wir alle direkt aus Quellen trinken und aus dem Wald Gesammeltes essen, brauchen wir vielleicht kein Geld, aber in dem Moment, wo das Gestaltende des Menschen hinzukommt, entsteht die Notwendigkeit von so etwas wie Geld.» Das Problem sei, dass wir über die Jahrhunderte ein Geldwesen geschaffen hätten, das auf Schuld basiere, was dazu führe, dass wir immer mehr Ressourcen aus uns selbst und aus der Erde extrahieren. Dem möchte Katharina ein anderes dezentrales und lebendiges Geldwesen entgegensetzen, «das uns wieder miteinander verbindet». Das Geld-Thema spielt auch für den Boden und die ökologische Landwirtschaft eine wichtige Rolle, «denn selbst wenn viele Erzeuger und Erzeugerinnen regional und ökologisch produzieren, kann es passieren, dass große Lebensmittelketten die Produkte in ihr Sortiment aufnehmen und die kleinen Läden und Betriebe keine Chance mehr haben». Neben dem Terra-Sintrópica-Projekt für ökologische Landwirtschaft in lokalen, semiariden Gegenden Portugals sind wohl Regenerate und Shareitt die wichtigsten Wirkungsbereiche, durch die Katharinas Engagement einen fruchtbaren Boden bekommt. Shareitt ist ein Mensch-zu-Mensch-Marktplatz, eine App, wo bisher 76 000 Nutzer und Nutzerinnen weltweit ohne Geld gemeinsam wirtschaften können – «eine Good-Karma-App», wie Katharina es ausdrückt. Regenerate setzt sich für regenerative Bäuerinnen und Bauern ein, es geht darum, «den Fluss der Ressourcen und guten Beziehungen neu zu entwickeln», in Katharinas Fall mit besonderem Fokus auf die Bodenseeregion.

Bild: Katharina Serafimova

Wirkung entfaltet sich durch Wirklichkeit

Kraftvolle Visionen eines anderen Lebens für die Regionen, in denen sie tätig ist, säumen ihren Weg: Ihr Ziel ist, in fünf Jahren durchweg gesunde Biolebensmittel in Schulkantinen, Krankenhäusern und Altenheimen in der Bodenseeregion vorzufinden. Woher kommen die Impulse, sich so vielfältig einzusetzen? «Neue Impulse kommen in mein Leben dadurch, dass ich gefragt werde. Es geht darum, nicht von mir aus voranzustürmen, sondern wahrzunehmen, wo die eigentliche Frage, wo der Bedarf, die Einladung ist.» Die Einladung zum Wirken komme nicht nur von Menschen, auch vom Boden im weitesten Sinne. Dieses Wechselspiel zwischen dem Boden vor Ort und dem Parkett der kosmopolitischen Welt und Öffentlichkeit zieht sich wie ein Mobile von roten Fäden durch Katharinas Leben. «Ich lebe hier im Thurgau an der Peripherie, gewissermaßen in meiner Höhle, und doch katapultiert es mich immer wieder in das Wirken und Agieren mit Menschen, die am Puls der Zeit sind.» Eine Einsiedlerin, die in der Öffentlichkeit wirkt, so ließe sich Katharinas Lebensform im Bild beschreiben. Im Spüren für das, was gerade ansteht, findet Katharina auf eine sensible Weise ihre Wirkungsfelder, immer mit einem Zug zur Tat: «Es braucht ganz viele Michaelskräfte. Und Michael fragt nicht so sehr: Was findest du schön oder was ist deine Intention? Sondern er fragt: Was machst du? Was entsteht wirklich durch deine Werke? Welchen Menschen geht es konkret besser?»

Vor ihrem jetzigen Wirkungsort am Bodensee lebte Katharina glücklich in Portugal und dachte, sie würde für immer dort bleiben, doch dann kam die Corona-Zeit. «Während der Zeit im Lockdown ist mir ganz vieles klar geworden. Die Schulsituation meiner Tochter in Portugal war nicht mehr ideal, mein Leadership bei Terra Sintrópica verhinderte ein wirkliches Empowerment der lokalen Akteurinnen und Akteure und wie durch eine Fügung tauchte der Bodensee als neuer Lebens- und Wirkungsort auf.» Im Thurgau lebt sie am See, kocht für ihre Tochter und manchmal für die Kinder des Dorfes und verbindet sich mit den Menschen der lokalen Landwirtschaft. «Wenn ich hier lebe, kann ich nicht nichts tun für den Bodensee. Was ich hier tue, ist eigentlich, dem Bodensee zu dienen. Denn was wir hier tun, beeinflusst wiederum das Trinkwasser in ganz Europa.» Wie der Kreislauf zwischen Wasser und Boden, von Bodensee und Boden rund um den See, wirkt Katharinas Leben wie eine Ein- und Ausatembewegung zwischen Innehalten, Verinnerlichen und systemische Wirkung im Außen entfalten. Wie diese Wirkungsfäden zusammentreffen, bleibt eine lebendige Aufgabe, deren Früchte man vielleicht beim Bioessen in einer Schul-Cafeteria im Bodenseeraum oder beim Tauschen auf der Plattform Shareitt Schweiz kosten kann.

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare