Homo sapiens und seine Weggefährten

Es kommt selten vor, dass der Nobelpreis für Medizin an jemanden vergeben wird, der nicht an Themen mit klinisch oder therapeutisch relevanten Ergebnissen forscht. Svante Pääbo, ein schwedischer Wissenschaftler und Direktor am MPI in Leipzig, hat es geschafft. Seine Entdeckungen haben Folgen für die anthroposophische Deutung der Entstehung des Menschen.


Er begann bereits während seiner Promotion in den 80er-Jahren heimlich mit der Isolierung und Sequenzierung von DNA aus einer ägyptischen Mumie. Ein 1985 darüber publizierter Artikel löste Begeisterung, aber auch Zweifel aus. Dies nahm Pääbo zum Anlass, sich im Alleingang auf die molekulargenetische Untersuchung von DNA aus fossilen Menschenknochen zu spezialisieren. Kein leichtes Unterfangen, wie er in einem Interview betonte, weil Staubpartikel in der Luft oft mehr Erbmaterial enthalten als die gesamte Probe – sie können zu extremen Verunreinigungen führen. 1997 erregte Pääbo mit seiner Forschungsgruppe weltweites Aufsehen mit der Entschlüsselung des Neandertaler-Genoms. Es stellte sich heraus, dass Menschen aus Europa und Asien zwei bis vier Prozent Gensequenzen dieser Menschenverwandten in ihren Chromosomen tragen und dass, auf die gesamte euroasiatische Bevölkerung verteilt, ca. 50 Prozent ihrer Erbsubstanz im modernen Menschen fortbestehen. Aufregend war auch die Entdeckung einer dritten Menschenart, die wie Homo sapiens für 100 000 Jahre gemeinsam mit dem Neandertaler existierte: des Homo denisova. Es mutet wie ein Sechser im Lotto an, dass anhand des Fingerknochens eines Denisova-Mädchens nachgewiesen werden konnte, dass sein Vater ein Homo sapiens, die Mutter ein Homo neanderthalerensis war.

Pääbo ist nicht nur kreativ und genial, sondern darüber hinaus auch ein begnadeter Teamleiter und Kooperationspartner – das Gegenteil von einem Alphatier. Nicht zuletzt deshalb gelang es, in den schier unüberschaubaren Datenmengen Gene zu entdecken, die nur beim modernen Menschen vorkommen und an der biologischen Fundierung des Sprachvermögens und der Entwicklung eines großen Gehirns beteiligt sind.

Die Forschungsergebnisse zeigen darüber hinaus, dass die drei verschiedenen Unterarten von Homo sich immer wieder verbunden haben. Die Definition von Populationen als Rasse ist – wie Pääbo betont – ein irregeleitetes europäisches Konstrukt!

Die Menschheitsgeschichte neu schreiben – die Vertreibung aus dem Paradies begann vor 50 000 Jahren

Die folgenden Überlegungen können als spekulativ betrachtet werden; doch lassen sie sich auf dem Hintergrund von Rudolf Steiners Darstellungen der Menschheitsentwicklung begründen. Steiner weist darauf hin, dass in der lemurischen Epoche vor dem Austritt des Mondes immer weniger Menschen in der Lage gewesen sind, sich zu verkörpern. Deshalb waren am Ende dieser Epoche nur einige wenige Menschen auf der Erde. So interpretierte er die Geschichte von Adam und Eva.

Foto Svante Pääbo, CC BY-SA 4.0

Die Arbeitsgruppe von Pääbo hat aus den Genomdaten errechnet, dass die drei Homo-Arten während ca. 100 000 Jahren zusammen oder nebeneinander gelebt haben. Unbestritten blieb vor 50 000 Jahren Homo sapiens als einzige Art zurück; die Gründe dafür sind unbekannt. Ich möchte diesen Zeitpunkt als Geburt der modernen Menschheit bezeichnen, weil zum ersten Mal Verstorbene mit Grabbeigaben bestattet wurden. Begräbnisrituale lassen auf ein Bewusstsein schließen, das über das Erdenzeitliche hinaus ein Empfinden vom nachtodlichen Dasein erkennen lässt. Die Rituale markieren die Geburtsstunde der Religion, die vorher, als die physische Welt noch von Gottheiten und Geistern bevölkert war, nicht gebraucht wurde. Sie steht an der Wiege des modernen Menschen. Hans Jonas sieht hier ein Bewusstsein, dem das Leben eine Selbstverständlichkeit, der Tod aber ein Rätsel war. Das Verschwinden der beiden Weggefährten, Neandertaler und Denisova-Mensch, sehe ich so, dass sie als ‹Geburtshelfer› des modernen Menschen ihre Aufgabe erfüllt und sich zurückgezogen haben. Die weiteren Schritte auf dem Weg seiner Erdenmission unternahm der Homo sapiens in der Gemeinschaft mit seinesgleichen. Vor ca. 35 000 Jahren entstand die Kunst, die mit Höhlenmalereien und ersten Musikinstrumenten gut dokumentiert ist. Und erst mit der Aufklärung – so meine Hypothese – entsteht die dritte, jüngste Schwester, die Wissenschaft.

Pääbo ist nicht nur kreativ und genial, sondern darüber hinaus auch ein begnadeter Teamleiter und Kooperationspartner – das Gegenteil von einem Alphatier.

Körperliche oder seelische Eigenschaften?

Lässt man diese Grobskizze gelten, so müssen einige Vorstellungen revidiert werden, die auf Aussagen Rudolf Steiners zurückgehen. So liegt der Ursprung des modernen Menschen lange vor der atlantischen Zeit, die vor ca. 12 000 bis 14 000 Jahren begonnen hat. Es ist meines Erachtens darüber hinaus zu bezweifeln, dass die Trennung der Geschlechter und die beschriebenen Kopf- oder Gliedmaßen-Menschen anatomisch gedeutet werden können. Aus der einigermaßen gut dokumentierten Evolution zum Menschen ist nicht ersichtlich, dass menschenähnliche Geschöpfe mit großen Köpfen, einem breit entwickelten Atem-Herz-System oder besonders ausgeprägten Gliedmaßen existierten – sicher nicht in den letzten 14 000 Jahren. Näher liegt die Annahme, dass die seelischen Entsprechungen Denken, Fühlen und Wollen in verschiedenen Gemeinschaften unterschiedlich ausgeprägt waren; ein Faktum, das wir heute immer noch bemerken und erleben können. Gegen die biologische Geschlechtertrennung spricht, dass sie bei allen Säugetieren bereits ausgebildet war, aus denen der Mensch – auch nach Auffassung Rudolf Steiners – hervorgegangen sein muss. Auch hier handelt es sich eher um ein ‹Bewusstsein› von der Geschlechtlichkeit (Adam erkannte Eva).

Damit schließt sich der Kreis wieder zu Svante Pääbo. Ein gut entwickeltes Gefühlsleben, ein gutes Denkvermögen und ein beiden entsprechendes Willensleben müssen eine biologische Grundlage haben. Sind die exklusiven Gene des Homo sapiens, die die Sprachfähigkeit und einen großen Cortex des Gehirns ermöglichen und die er mit keinen Menschenverwandten und Primaten teilt, die Grundlage für die Fähigkeiten, die wir bis heute nur in der menschlichen Gemeinschaft selbst erwerben können? Pääbo leistet mit einer guten Wissenschaft der Anthroposophie wertvolle Dienste, die zu einer wirklichkeitsnäheren Geisteswissenschaft führen.


Bild Schädel von Homo Sapiens (links) und Homo Neanderhal (rechts) aus Cleveland Museum of Natural History. Foto: Dr. Mike Baxter (CC BY-SA)

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