Homers ‹Odyssee›

Die Junge Bühne spielt in ihrem zehnten Jahr die ‹Odyssee› von Homer. Wer könnte besser den Mythos aus der Jugend der Menschheit zeigen als Jugendliche?


Gibt es eine größere Geschichte als die der Heimfahrt? Kein Wunder, dass dieser Mythos in Griechenland zum ersten Mal erzählt wird, denn im antiken Griechenland ging die ganze Menschheit auf diese Reise. Große Momente erinnern daran: wenn der Feldherr Miltiades gegen alle militärische Tradition mit seinen Athener Hopliden auf die persische Übermacht losstürmt und sie so bezwingt. Zehn Jahre später, als Persien zum zweiten Schlag ausholt, raten selbst die Götter im delphischen Orakel, zu fliehen, und wieder siegt der menschliche Wille eines Einzelnen, diesmal ist es der Stratege Thukydides, der die persische Flotte bezwingt. Olympia wird zur Weihestätte des Menschen, der sich auf seinen eigenen Weg macht, sich auf sein eigenes Denken beruft und sich von den Göttern lossagt. Im eigenen Leib findet er dabei seinen Tempel und Olympia war das Heiligtum, um diese Ankunft im Leib zu feiern. Wer hier in Olympia am weitesten sprang, den riefen die Läufer landesweit aus und machten so den Unbekannten zur Persönlichkeit. An der Wiege der freien Persönlichkeit steht die ‹Odyssee›. Anders als in der ‹Ilias›, dem zweiten Homer’schen Epos, wo Götter für und gegen die Menschen Partei nehmen und zu den eigentlichen Figuren werden, ist es hier Odysseus, der Mensch, der die Geschicke bestimmt. Ihm stellen sich nicht Götter, sondern Naturgewalten in den Weg. Wie jeder Mythos ist auch die ‹Odyssee› eine Erzählung, die nie stattgefunden hat, die sich aber fortwährend ereignet. Wenn der Philosoph Martin Heidegger schreibt, dass man ins Leben hineingeworfen sei, um aus dieser Lage dann einen Grund zu finden, dann ist das nichts anderes als eine Odyssee. Ein Bild ist die Geburt: Man lässt die Plazenta, diese kosmisch-mütterliche Hülle, zurück, um das ganze Leben diese Hülle wiederherzustellen.

Welch ein Moment, wenn man als Elf- oder Zwölfjähriger die Macht einer Lüge erlebt. Es ist möglich, das Weltbild anderer Menschen zu manipulieren. Es mag einem heiß und kalt werden, zugleich ist es die Erfahrung von Freiheit. Vielleicht verdreht deshalb Odysseus fortwährend die Dinge. Als es nach Troja gehen soll, mimt er einen Schwachsinnigen, und als er endlich wieder seiner Frau begegnet, gibt er einen anderen Namen vor.

Eine der vielen Homer’schen Botschaften: Wer nur kämpft, wird nicht frei, wer nur erduldet, auch nicht.

Vom trojanischen Krieg geht die Reise ins heimatliche Ithaka, doch Homer lässt sie bei den Phäaken beginnen, einem freundlichen Volk, wo nach Schiller immer Sonntag sei. Dort rührt den gebeutelten Odysseus die Erzählung eines Barden, sodass er zu seiner Geschichte anhebt. Wer traumatisiert ist, sollte erzählen, und so beginnt Odysseus zu erzählen. Insofern ist die ‹Odyssee› die Erzählung einer Erzählung. Sie lässt den Helden pendeln zwischen der Gefahr der Vernichtung und der Gefahr der Verführung, die ahrimanische und die luziferische Verlockung. Zwölf Stationen entfaltet Homer. So verschlägt es Odysseus zuerst zu den Lotosessern, einem nordafrikanischen Volk unter Drogen. Das ist die erste Stufe der Verführung, die ihn von seinem Ziel zu entfremden droht. Hier kämpft er, später muss er ertragen und erdulden. Eine der vielen Homer’schen Botschaften: Wer nur kämpft, wird nicht frei, wer nur erduldet, auch nicht. – Darauf strandet er mit den Seinen beim Zyklopen. Hier droht Vernichtung, der die Griechen entgehen, indem sie dessen Auge blenden. Es folgt eine der drei Zwischenwelten (Wind, Unterwelt, Sonne), als bedeute eine Irrfahrt, durch Himmel und Hölle zu ziehen. Nun folgt die nächste Verführung mit Kirke, die die Gefährten in Schweine verwandelt. Dabei fällt auf, dass es beinahe in jeder der zwölf Stationen um das Essen geht – essen und gefressen werden – Aneignung der Welt, sich in die Welt verlieren. Mit den Sirenen droht wieder Vernichtung, die sich nur noch erdulden lässt. Es wird kosmischer! Beim Gang in die Unterwelt erklingt einer der geheimnisvollsten Sätze der Antike aus dem Mund des Herakles: «Lieber ein Bettler auf Erden als ein König im Reich der Schatten.» Was heißt das? Das Leben ist im griechischen Glauben ein solches Fest, solch eine Erfüllung, dass das nachfolgende Schattendasein ohne Erlösung keine Furcht auslöst. Odysseus verliert auf seiner Reise alle alten Kameraden, die alte Seele fällt ab auf dem Weg zum Selbst. Zu Hause wartet Penelope, seine Frau, die in Ablehnung der buhlenden Freier bald männlicher scheint als der Heimkehrende selbst. Was für ein Bild, dass er zuerst auf seinen Sohn Telemachos trifft, die Figur, die sich am meisten entwickelt. Man könnte weiter erzählen – oder einladen, der von Andrea Pfaehler auf einen Abend verdichteten Bühnenfassung zu folgen, die nun 18 Jugendliche auf die Bühne am Goetheanum bringen.


Aufführungen Fr, 27. und Sa, 28. Aug., 19.30 Uhr, So, 30. Aug., 16 Uhr, Fr, 3. und Sa, 4. Sept., 19.30 Uhr, So, 5. Sept., 16 Uhr, Fr, 10. und Sa, 11. Sept., 19.30 Uhr und So, 12. Sept., 16 Uhr.

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