Welche unterschiedlichen Anteile dessen, zu dem ich ‹Ich› sage, sind beteiligt, wenn ich handle? Was sind die Hintergründe meines Handelns? Eine lebensfrohe und zugängliche Aufbereitung der ‹Theosophie›.
Neulich war ich im Ladenlokal einer großen deutschen Buchhandelskette. Gleich am Eingang schrien mich gefühlt eine Million Lebensverbesserungsratgeber, Self-Made-Woman-Optimizer und ‹Spiegel›-Bestseller im Stil von ‹Tu, was du schon immer tun wolltest!›, ‹Perfektioniere deine Work-Life-Balance!› an.
So laut, dass mir übel wurde und ich diesen neonbeleuchteten Ort fluchtartig verlassen musste.
Ganz automatisch tat ich das, ohne großes Nachdenken. Fast so, als hätte ich eine interne App, die mir sagte: «Hau ab hier!» Bewusst steuern konnte ich meine Reaktionen jedenfalls nicht. Erst später gelang mir eine bewusste Vergegenwärtigung. Warum hatte ich so heftig reagiert? Warum begann mein Körper, Übelkeit zu signalisieren, und veranlasste meine Beine, wegzugehen? Ich hatte doch gar keine Anweisungen dazu gegeben. Warum tat er das? Warum tat ich das? Was hat mich dazu inspiriert?
Von diesen Fragen ausgehend, arbeitet der Psychotherapeut und Karmaforscher Jaap van de Weg seit fast dreißig Jahren mit den Erkenntnissen aus seinem Lieblingsbuch, der ‹Theosophie› Rudolf Steiners.
In seinem 2016 erschienenen Buch ‹Waarom doe ik wat ik doe? Menskunde in de praktijk›, das seit 2019 in einer Übersetzung ins Deutsche vorliegt, stellt er die Erfahrungen seiner Praxis zur Verfügung.
Er stellt sie – angelehnt an die Kapitel- und Inhaltsfolge der ‹Theosophie› – lebensfroh in den Dienst der menschenkundlichen Untersuchungen Rudolf Steiners und unternimmt damit den Versuch einer Übersetzung der ‹Theosophie› in eine allgemein verständliche Sprache. Denn er geht davon aus, dass die Sprache Steiners von einer Vielzahl von Menschen als unzugänglich erlebt wird – und damit den Erkenntnisgewinn erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht.
Bildhaft stellt er Leiber, Seelenschichten, Lebensphasen, die Aura, die Chakren, Reinkarnation und Karma wie die Angehörigen einer großen Familie vor, beschreibt, welche Beziehungen sie miteinander eingehen und welche Abhängigkeiten unter ihnen herrschen. Auf überraschend einfache Weise wird deutlich, wie untrennbar all diese Aspekte miteinander verwoben sind, vor welchen Aufgaben wir Menschen in unserer Kulturepoche stehen, was durch vergangene Kulturen bereits entwickelt wurde und was aus der Zukunft bereits einströmt.
Er bleibt dabei konsequent an den Ausführungen Steiners, unterstützt deren Verständnis durch Beispiele aus dem Alltag. Ich beginne zu ahnen, warum ich aus dem Bücherkaufhaus davonlaufen musste.
Mithilfe von Übungsvorschlägen, Fragen und dem Teilen seiner Erfahrungen aus Forschungsgruppen, Seminaren und psychotherapeutischer Praxis gelingt es Jaap van de Weg, den Blick des Lesenden von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten auf das Hier und Jetzt zu lenken und ihn mit Neugierde und Interesse auf sich selbst und die Menschen zu weiten.
Zum Beispiel, indem man im Alltag eine Weile mit der Frage lebt: ‹Was sehe und erlebe ich am Ätherleib?› Oder indem man in jeder Menschenbegegnung der karmischen Zusammenhänge gewahr wird: ‹Wie sieht dieser Mensch, diese Situation aus der Perspektive der wiederholten Erdenleben aus?›
In diesem Sinne ist es also auch ein Handbuch zur Selbsterkundung. Nach der Lektüre lese ich nun zum wiederholten Mal die ‹Theosophie›. Etwas ist anders als vorher: Ich vertiefe mich mit etwas mehr Leichtigkeit in die denkwürdige Sprache Rudolf Steiners.
Titelbild: Wassily Kandinsky, Gegengewichte, 1926