Als logische Folge seines ‹biogenetischen Grundgesetzes› erkannte Ernst Haeckel als überzeugter Darwinist (!), dass Neuheiten in der Evolution nicht zufällig entstehen.
Für Ernst Haeckel werden Neuheiten in der Evolution von Lebewesen erworben und über damals noch unbekannte Prozesse an die Nachkommen weitergegeben. Für Rudolf Steiner war die Weitergabe erworbener Eigenschaften ein zentraler Baustein seiner monistischen Weltauffassung. Er argumentierte, dass man ohne diese Vererbungsart die ‹ganze monistische Entwicklungslehre› aufgeben müsste.
Der erbitterte Widerstand vieler Naturwissenschaftler gegen diese Annahme war ideologisch bedingt. Sie bedeutet nämlich, dass Evolution nicht durch reinen Zufall, sondern gerichtet stattfindet. Die Annahme war ein Tabu, obwohl es an plausiblen Begründungen der Weitergabe erworbener Eigenschaften – zum Beispiel durch Conrad Waddington, der sie schon 1944 als epigenetische Vererbung bezeichnete – nicht fehlte. Das änderte sich erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts, als unumstößliche molekularbiologische Nachweise für Epigenetik und epigenetische Vererbung erbracht worden waren. Beide gehören heute zu den größten Forschungsfeldern der modernen Biologie.
Dass die Weitergabe erworbener Eigenschaften zum zentralen Vorgang der menschlichen Kulturentwicklung gehört, ist auch in der Biologie unbestritten. In diesem Sinne ist die epigenetische Vererbung ein erster wichtiger Schritt zur Anerkennung der Humanisierung der außermenschlichen Natur – nicht Zufall, sondern der Wille zur Vervollkommnung ist der Schlüssel der Evolution. Diesen Schluss legte auch schon Johann Wolfgang von Goethe mit seiner Einführung der Typusidee nahe.
Foto Ernst Haeckel (1918): Nicola Perscheid