Justus Wittich, Vorstand am Goetheanum und Sprecher der Goetheanumleitung, gab an der Versammlung der Mitarbeitenden einen Vorblick auf die kommende Generalversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft.
Wegen der ‹Parsifal›-Aufführungen wurde die GV auf das Wochenende von 26. bis 28. April verschoben. Justus Wittich fasste die Überlegungen zur rechtlichen Konstitution der Anthroposophischen Gesellschaft in der Frage zusammen, wie Menschen an einem Ort oder an einer gemeinsamen Idee miteinander umgehen. Wir haben versucht, die schwelenden Konflikte im Gespräch zu behandeln: in Mitgliederforen und zusätzlichen Gesprächen. Dadurch habe sich der Ton im Miteinander verbessert. Gleichwohl gibt es nach 2023 mit 24 Anträgen auch diesmal 17 Anträge für die Versammlung. Am 16. März fand ein Gespräch mit den Antragstellenden statt. Justus Wittichs Eindruck: Man will für die Gesellschaft etwas Besseres und jeder hat seinen ‹Ausschnitt›. Dabei ging es um die Anträge, dass die Sektionsleitenden durch die Generalversammlung per Abstimmung bestätigt werden sollen. Der Antrag beinhaltet auch, dass sie regelmässig Rechenschaft ablegen sollen und dann erneut bestätigt werden sollen – das berührt die Autonomie der Hochschule. Die Goetheanum-Leitung wird als Machtzentrum wahrgenommen, von innen klar dargestellt, von außen so nicht wahrgenommen. Auch zur Bestätigung der Ernennung von Stefan Hasler für den Vorstand gab es Rückfragen. Die Art, wie ein Vorstandsmitglied vorgeschlagen wird, wird als veraltet angesehen. Die Bestätigung von Stefan Hasler solle gemäß eines Antrags mit einem späteren Verfahren stattfinden. Im Fall einer Annahme des Antrags wäre der Vorstand mit dem Austritt von Matthias Girke nur noch zu dritt besetzt. Die Fülle der Anträge bedeutet, dass es von Freitag, 9 Uhr, bis Sonntagmittag ununterbrochen um deren Behandlung und Abstimmung geht. Es gebe noch weitere Anträge, so Justus Wittich, wie zum Beispiel den Wunsch nach einem Sprachgestalter, der ‹Anthroposophie weltweit› wöchentlich digital vorliest. Ueli Hurter ergänzte, dass es an der GV auch darum gehe, Schnittstellen (Begegnungszonen) zu schaffen. Dort, wo uns auch mal ein Defizit vorgehalten wird (ohne sich verletzt zu fühlen), wo aber auch etwas hineindemokratisiert wird, wo es nichts zu suchen hat. Hurter betonte, dass sich nicht alle Fragen für eine demokratische Abstimmung eignen. Vor allem der Wille, über ein Mitgliedervotum in die Hochschule hineinzuregieren, sei fragwürdig. Außerdem solle man nicht nur auf die Anträge schauen. Es ist, so schloss er, die erste Tagung nach dem 100-jährigen Jubiläum.
Foto Xue Li
Man kann die Anzahl der Anträge aber auch sehen als ein Bedürfnis der Mitgliedschaft, Mitverantwor-tung zu übernehmen.
Es entspricht allerdings nicht den Tatsachen, wenn behauptet wird, dass die Sektionsleitenden durch die Generalversammlung bestätigt werden sollen, davon ist in dem Antrag keine Rede. Es geht um die Goetheanum-Leitung, der auch Aufgaben bzgl. der Leitung der Gesellschaft übertragen wurden und somit auch für die Gesellschaft Verantwortung tragen, jedoch von der Mitgliedschaft nicht legitimiert sind und für ihr diesbezügliches Handeln keine Rechenschaft ablegen. Seit fünf Jahren wurde dies immer wieder angesprochen und gefordert.
Verantwortung für die Gesellschaft bedarf einer Legitimation und auch der Rechenschaft über das Handeln. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein, auch in der AAG.
Das Vorstandsbestellungsverfahren ist nicht nur veraltet, sondern auf fragwürdigen Wegen im Jahr 1935 eingeführt worden mit der unwahren Behauptung, dies entspräche dem Vorgehen Rudolf Steiners an der Weihnachtstagung. Tatsächlich hatte dieser jedoch dieses Vorgehen im Zusammenhang mit dem Stuttgarter System als „Inzucht“ bezeichnet. Und genau dies wird seit Jahrzehnten praktiziert: Den Ausschluss von Ita Wegman und Elisabeth Vreede (1935) sowie das Herausdrängen Marie Steiners aus dem Vorstand (1945-1948) kann man durchaus als Säuberung bezeichnen – seitdem sind die Vorstandsaufgaben in den Händen einer kleinen Gruppe, die sich ausschliesslich aus sich selbst erwei-tert hat – und dies nun fortsetzten möchte.
Angesichts der existierenden Erneuerungsabsichten der Gesellschaftsverfassung erscheint jetzt ein „einfach weiter so“ nicht angemessen. Hätte man in der Leitung nicht selber auf die Idee kommen können, zunächst einmal auf die weitere Kooption zu verzichten? Das wäre gewiss eine vertrauensbil-dende Massnahme gewesen, auf die nun leider verzichtet wurde.
Ich bin ein wenig irritiert über Herrn Hecks Kommentar, „es entspricht allerdings nicht den Tatsachen, wenn behauptet wird, dass die Sektionsleitenden durch die Generalversammlung bestätigt werden sollen, davon ist in dem Antrag keine Rede.“
In Antrag 8 (veröffentlicht in Anthroposophie weltweit Nr.4/24 S.6) heißt es: „Mitglieder der Goetheanumleitung sind die Vorstandmitglieder sowie die von der Generalversammlung bestätigten Sektionsleiter der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft.“
Da kann man nicht mal argumentieren, dass das „zwei verschiedene Hüte sind“ oder so – das ist eindeutig.
Zum Bericht über die Generalversammlung: Solange in der Leitung der Anthroposophischen Gesellschaft die Wörter Demokratie und demokratisch wie heiße Kartoffeln angefasst werden, bzw. eine eigene, der allgemeinen Definition nicht entsprechende Verwendung finden, solange wird es in der Gesellschaft brodeln. Schon Rudolf Steiner hatte mit demokratischen Verfahrensweisen seine Probleme. Bekanntlich hat er bei der Weihnachtstagung gedroht, sich zurückzuziehen, wenn die Versammlung ihn nicht als Vorsitzenden bestätigen sollten. Das Wort „hineindemokratisieren“ und die Bemerkung, dass nicht alles demokratisch gelöst werden könne, ist bezeichnet. Die Frage bleibt, wer bestimmt, was demokratisch gelöst werden kann.
Die Demokratie bedeutet Macht durch die Meinung der Mehrheit. Da diese mathematisch wie sozialpolitisch dem tiefsten gemeinsamen Nenner entspricht, bringt die Demokratie niemals geniale oder wirklich intelligente Lösungen zur Anwendung, sondern -wenn´s gut kommt – lediglich die am Wenigsten dummen. (siehe auch: Winston Churchill, Willy Brandt, Hannah Arendt, George Bernard Shaw et al über Demokratie).
In der Beziehung zwischen AAG und Goetheanum treffen eine Körperschaft aus dem horizontalen/sozialen Bereich der Gleichheit (Sozial- oder Rechtsleben) und eine aus dem vertikal-inspirierten Bereich der Freiheit (Kulturleben) aufeinander. Die AAG bereitet einen Teil des rechtlichen und finanziellen Bodens zur Sicherung des Kulturschaffens am Goetheanum, nicht mehr, nicht weniger. Einflussnahme im Kulturleben durch die Geldgeber – seine es Stiftungen, Steuerzahler, Firmen, Mitglieder, etc – beeinträchtigt IMMER den Freiraum der Kultur. Damit anerkennen wir natürlich auch, dass dies auch schwierige Diskussionen um die Grundfragen der Beziehungen zwischen Freiheitsbereich, Gleichheitsbereich und auch „Brüderlichkeitsbereich“ (kooperatives Wirtschaften) mit einschliesst. Diese finden aber in der Wissenschaft, also im Kulturraum, statt, und dürfen niemals den unvermeidbar politischen, meinungsbehafteten Kräften von Mehrheit und Minderheit unterworfen werden. Sonst käme dabei eben nur Dummer heraus, was sich ja seit Jahrhunderten immer wieder bewahrheitet.
Wenn ich einen Kulturimpuls materiell wirklich modern unterstütze, dann sind keinerlei Einschränkungen oder Konditionen daran gebunden. Ich beschneide jedoch diese Freiheit, sobald ich irgendwelche Konditionen daran knüpfe. Zeitgemäss ist also immer nur „NO STRINGS ATTACHED“. Alles andere, z.B. Zweckbindung, Gebäudewidmung zugunsten der Spender und ähnliche narzistische Selbstdarstellungen, Forschungsauftrag mit Publikations-Vorrecht usw. gefährden den Freiraum, manchmal mehr und offensichtlich, manchmal sachte und verdeckt. Auch jede andere Einflussnahme in die Arbeit der Kulturschaffenden, die die tatsächlichen Verantwortlichkeiten der Sponsoren (Hier: Spendenfluss, Aktien und Liegenschaften) NICHT direkt beeinträchtigen, müssen ausgeschlossen bleiben.
Michael Braun, Zürich