Sie habe ja nichts zu verlieren, das sagen der Arzt und der Ehemann von Molly Sweeney, als sie der blinden Molly das Augenlicht schenken wollen, das sie mit zehn Monaten verloren hat.
Der Dramatiker Brian Frihl hat diese Geschichte für die Bühne geschrieben. Molly, eigentlich eine glückliche junge Frau, willigt ein und wird operiert. Jetzt kann sie sehen. Doch das Licht schenkt ihr kein Glück, keine neue Welt, im Gegenteil. Es schleudert sie aus der Welt des Hörens und Tastens in die Welt des Sehens. Ihre alte Welt war eine taktile, zu erlauschende Welt, prozessual in der Aneignung, es war ein Weg in und zu dieser Welt. Das Licht präsentiert mit einem Schlag die ganze Szene, ohne Weg und ohne Prozess. Durch das Augenlicht hat sich, so die Botschaft des preisgekrönten Theaterstücks, die Welt der vormals blinden ‹Sehenden› verdunkelt. Daran verzweifelt Molly und flüchtet in ihre Innenwelt.
Mit den Mitteln der Kunst zeigt Brian Frihl, dass das Versprechen des Lichts zweischneidig ist. Es schenkt Weite und Übersicht, ist Methapher für Idee und Sinn und kann zugleich verdunkeln. So wie Musik und Sprache, weil Ton und Silbe aufeinanderfolgen, in die Zeit hineinführen, so führt das Licht, weil die Dinge nebeneinander sind, aus der Zeit. Je mehr die Zeit rennt und schwirrt, umso größer wohl deshalb der Lichthunger. Deshalb ruft Faust zur Sonne: «Sie tritt hervor!», und muss erkennen: «und, leider schon geblendet, – Kehr’ ich mich weg, vom Augenschmerz durchdrungen.» Wie schön also, dass auf den hellen Tag die Nacht folgt.
Titelbild: Nina Gautier, Food colour pavillon, 2,40 x 2,40 x 2,40 m ausgestellt an den Food Culture Days in Vevey, November 2018