In den Corona-Jahren entstand der Eindruck, die Wissenschaft werde von wenigen, medial überaus sichtbaren Professorinnen und Professoren repräsentiert. Deren Erkenntnisse und Anweisungen wurden nicht selten mit unhinterfragbarer Emphase vorgetragen. Gestützt durch die Politik, Gesetze und Maßnahmen, schien diese Haltung keine weiteren Diskussionen mehr zuzulassen. Hier ein Buch, welches dieses Verhältnis hinterfragt.
Im Wissenschaftsbetrieb geht man davon aus, dass Thesen in einem durchaus demokratischen Prozess geprüft und aus mehreren Perspektiven kritisch diskutiert werden. In diesem Sinne fanden sich Anfang 2022 81 deutschsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Italien und Großbritannien zusammen, um die Verfassungswidrigkeit einer Covid-19-Impfpflicht in sieben Argumenten genauer auszuführen.1
Aus dem Kreis jener Wissenschaftstreibenden entstand der Wunsch, die Arbeit zu vertiefen, mit Schwerpunkt im gesellschaftlichen Bereich. Daraus entwickelte sich schließlich ein Sammelband mit 16 kritischen Texten zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Covid-Maßnahmen, herausgegeben von Tanya Lieske, Journalistin und Autorin, und Sandra Kostner, Historikerin an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd: ‹Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad›. Das Spektrum der Beitragenden ist – analog zur Gruppe der ‹7 Argumente› – politisch sehr breit. Es reicht von linksfeministisch Engagierten bis zu dezidiert Konservativen.
Überraschend ist auch die Vielzahl der im Band vertretenen Fachdisziplinen, deren Vertreterinnen und Vertreter alle Bezug auf die Corona-Maßnahmen nehmen. Lesenden des ‹Goetheanums› dürften die Philosophen Salvatore Lavecchia (Universität Udine) und Michael Esfeld (Universität Lausanne) bekannt sein. Das Leitmotto, das alle verbindet, ist die Freiheit. Oder vielmehr: Die Freiheit, die unters Rad gerät; wie damals der junge Hans Giebenrath in Hermann Hesses gleichnamiger Erzählung (‹Unterm Rad›), der in einem gnadenlos kognitiven Bildungssystem so malträtiert wird, dass er betrunken sein Leben abstreift.
An den Freiheitsimpuls anknüpfend, schreibt der Rechtswissenschaftler Gerd Morgenthaler (Universität Siegen) über die schwindende Freiheit und die zunehmende Politisierung der Wissenschaft. Der Philosoph und katholische Theologe Markus Riedenauer (Universität Eichstätt) analysiert den Mythos der wissensbasierten Gesellschaft. Sein evangelischer Kollege Jan Dochhorn (Universität Durham) erkennt die Renaissance einer freiheitlichen Diskurskultur unter Maßnahmenkritikern jeglicher Herkunft und versucht eine Definition von Christentum angesichts der Impfpflicht. Der Erziehungswissenschaftler Axel Bernd Kunze (Universität Bonn) konstatiert einen Angriff auf die Bürgerlichkeit und eine Bildungskrise und mahnt dabei eine Aussöhnung an. Die Historikerin Sandra Kostner und ihr Kollege Klaus Buchenau (Universität Regensburg) analysieren gespaltene Gesellschaften, ebenso wie der Philosoph Henning Nörenberg (Universität Rostock). Die Wirtschaftswissenschaftler Robert Obermaier (Universität Passau) und Rainer Baule (Fernuniversität Hagen) setzen sich mit verengten Perspektiven in der Pandemie auseinander, konkret: Monofokalität und Worst-Case-Szenarien. Der Medizinpsychologe Boris Kotchoubey (Universität Tübingen) argumentiert, die Wissenschaft trage Züge einer neuen Religion. Musikwissenschaftler Christian Lehmann analysiert die Auswirkungen der Hygienepolitik auf Musik und Musikdidaktik. Ole Döring (KIT/ Hunan Normal University Changsha) hinterfragt als Sinologe und Philosoph die Entscheidungsfähigkeit einer Gesellschaft in der Krise. Die Islamwissenschaftlerin Agnes Imhof (Universität Erlangen) entlarvt das in der Krise entstandene autoritäre Menschenbild. Der Literaturwissenschaftler Matthias Fechner (Universität Trier) interpretiert die Kommunikation mit einem Schwerpunkt auf Literatur und Pädagogik während der Corona-Jahre.
Neben dem Freiheitsaspekt ist die Authentizität der Texte ein verbindendes Element. Hier haben Wissenschaftler die Vorgänge nicht aus scheinbar objektiver Ferne beschrieben, mit einem vorher festgelegten Resultat. Stattdessen konnten sie als teilnehmende Beobachter auf Augenhöhe analysieren und ihre Argumentation phänomenologisch entwickeln. Der Band bildet damit immerhin ein Gegengewicht, das Anlass zur Hoffnung gibt in einer Zeit, in der Wissenschaft zum bloßen Werkzeug wird, in der das Vorurteil die Forschung ersetzen kann.
Schade, ich dachte Anthroposophie hätte diesbezüglich auch etwas zu sagen.
Anders als der Autor behauptet, sagt Antroposophie daß Wissenschaft nicht demokratisch organisiert sein sollte.
Und weit vom geisteswissenschaftlichen Geist ist der propagandistischen, suggestiven Stil der anfängt mit „entstand den Eindruck“ und „schien … keine weiteren Diskussionen mehr zuzulassen“, um zu enden mit „der Wissenschaft zum bloßen Werkzeug wird, in der das Vorurteil die Forschung ersetzen kann“.
Und der traut sich von phänomenologischer Argumentation zu reden.
Liebes Goetheanum,
Warum immer wieder dieses Geschwafel von Freiheitsverlust? Haben sie nicht bemerkt wie um das Thema im öffentlichen Diskurs gerungen wurde? Auf sehr vielen gesellschaftlichen Ebenen wurde in voller Freiheit über alle Aspekte der Pandemie diskutiert. Natürlich gab es auch Fehleinschätzungen, Fehler und vielleicht auch manchmal menschliches Versagen. Dennoch. Unsere Demokratie, die Gewaltenteilung, die Presse und die Politik haben das Thema , nicht immer optimal, aber letztlich mit großem Erfolg gemeistert. Die Freiheit war zu keiner Zeit unterm Rad. Ganz im Gegenteil. Jeder aufmerksame Beobachter, der nicht durch Kommentare von RT oder anderen Propagandainstrumenten beeinflusst war, konnte das erkennen. Warum sie in ihrer Redaktion Stimmen unterstützen, die ein demokratieverachtendes Narrativ bedienen, erschließt sich mir überhaupt nicht und macht mich fassungslos. Sorry!
Im Physischen weder im Gesellschaftlichen gibt es reiner Freiheit. Nur im Geist, in dieser Erdephase.
Unsere physischen Körper sind abhängig vom ganzen Welt, sei es lokaler Weizen oder tropischer Kokos freiwillig, PFAS oder Dioxin unfreiwillig: in alle Körper anwesend.
Wenn ein Gesellschaftlicher Krankheit sich über den gemeinsamen Atemraum ausbreitet, hat man nur die Freiheit sich zu isolieren – oder zu akzeptieren daß man im Gesellschaftlichen Wirkungen ausübt oder leidet. Da gibt es Rechte. Zum Beispiel das Recht daß andere möglichst viel machen um dich nicht zu infizieren. Weil Impfung sorgt für wesentlich weniger Virus im Atem, kann man einer moralischen Pflicht empfinden da mitzumachen, in dieser Gesellschaftlicher Krise. Das wäre das Soziale, wie es Rudolf Steiner auch selber gemacht hat. Er wurde freiwillig geïmpft.
Es gibt auch viele Antroposophen die sich selber das Recht zuschreiben, kein Abstand zu halten, mit Coronasymptome herumzugehen, und so ein antisozialer Wirkung auszuüben. Unter dem falschen Fahne der Freiheit.
Der Behörde hat (in der Niederländischen Verfassung) den Pflicht für den „Volksgezondheid“ zu aktieren. Ihre Maßnahmen haben den Kurven sehr effektiv umgebogen, obwohl auch kleine und mittelgroße Fehler gemacht worden sind. Da war kein Impfungspflicht nötig, weil das größte Teil der Bevölkerung sich hat Impfen lassen. Die Sozialen hatten mehr Einfluß als die Asozialen.