Fragen, Suchen, Anklopfen

Bittet – so wird euch gegeben; Suchet – so werdet ihr finden; Klopfet an – so wird euch aufgetan. (Matthäus 7,7)


Detail von der Ausstellungsansicht “Lichtblatt und Feuerform” von Stephane Zwahlen und FEROSE. Foto: Xue Li

Die beste Art, um alt zu werden und doch jung zu bleiben, ist: fragen, suchen, anklopfen. Viele Menschen hören im Alter auf, Fragen zu stellen. Wenn man dies tut, wenn man die Illusion hat, dass man alles schon weiß, wird die Welt farblos und kann man sich schließlich über nichts mehr verwundern. Wenn es so weit kommt, wird es Zeit, sich in ‹gelehrter Unwissenheit› zu üben. Man nannte dies früher ‹docta ignorantia›. Obgleich wir manchmal so tun, als ob wir alles wüssten, gibt es in Wirklichkeit nichts in unserer Welt, was wir gänzlich durchschauen können. Mit einer solchen Bescheidenheit lernen wir immer wieder, aufs Neue zu fragen. Wenn man im Leben nicht mehr auf die Suche geht, weil man glaubt, alles bereits gefunden zu haben, bleibt man sozusagen stehen. Und wenn man nirgends mehr anklopft, bleiben schließlich auch alle Türen geschlossen. Ein Mensch, der weder fragt, noch sucht, noch anklopft, kommt letztendlich an das Ende von seinem Latein. Das Leben hat für ihn nichts mehr in petto. Will man aus diesem Teufelskreis herauskommen, muss man früher oder später aufs Neue Fragen stellen an das Leben. Nicht nur einmal und dann erwarten, dass sofort eine Antwort kommt. Man muss damit einschlafen und damit wach werden. Ehrliche Fragen sind ein Vademecum (wörtlich: ‹geh mit mir›). Man steht auf damit, sucht eine Spur, man klopft mit seiner Frage an alle Türen, man geht damit schlafen – bis irgendwann das Leben selbst eine Antwort gibt. So geht es nicht nur in unserem täglichen Leben auf der Erde. Auch die geistige Welt bleibt für uns ein geschlossenes Buch, solange wir nur darauf warten, dass uns etwas in den Schoss geworfen wird – es sei denn, dass wir fragen, suchen und anklopfen. Denn Gott, der im Verborgenen wirkt, spricht zu uns in jedem Rätsel unseres Lebens. «Denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.» (Jeremia 29,13,14).

Print Friendly, PDF & Email

Letzte Kommentare