Fragekunst als Türöffner

Das nun vorgelegte Büchlein beeindruckt durch seine Treffsicherheit und Prägnanz, aus der Erfahrung und Unvoreingenommenheit des Fragenden und Antwort­gebenden spricht.


Dies Buch ist ein kleiner Geniestreich des Autors und Verlags. Denn geht das überhaupt, auf 100 Seiten mit 32 Fragen und kurzen Antworten, die Leserschaft, seien sie gestandene Steiner-Kenner, Skeptikerinnen oder Ahnungslose, hineinzuführen in den Fragenkosmos der Anthroposophie? «Den lieb ich, der Unmögliches begehrt!» …

Wolfgang Müller hat vor zwei Jahren mit seinem Buch ‹Zumutung Anthroposophie› im Info3-Verlag großes Interesse an einer Neubefragung anthroposophischer Überlieferung erweckt. Diese Publikation erlebte schnell mehrere Auflagen und stellte sich mitten hinein in eine aufkommende, um sich greifende Diskreditierungs- und Diffamierungskampagne großer Medien und Interessengruppen bezüglich Rudolf Steiners Werk und der anthroposophischen Bewegung. Als angesehener und erfahrener Publizist konnte Müller in diesem Zusammenhang aufklärende Gegendarstellungen platzieren wie ‹Ein Menschenfreund› (‹Die Zeit›, 11.2.2021), nachdem die Wochenzeitung zuvor die suggestive Frage gestellt hatte, «ob dieser österreichische Philosoph etwas mit Querdenkern zu tun habe». Und in der Taz fiel er bereits Jahre zuvor durch seine unbestechlichen, aufklärenden Beiträge auf den Sonderseiten ‹Anthroposophie› auf.

Das nun vorgelegte Büchlein beeindruckt vor allem durch seine Treffsicherheit und Prägnanz, aus der die große Erfahrung und Unvoreingenommenheit des Fragenden und Antwortgebenden spricht. Beim Lesen entsteht ein Klima der Unaufgeregtheit und Sachlichkeit, das die Lesenden ganz frei lässt. Was zunächst fast stereotyp an oft gestellten Fragen und Einwänden daherkommt, entpuppt sich im Laufe der Beantwortung als kürzester Weg ins Zentrum des Gefragten. Das ist Müllers großer Fähigkeit zu verdanken, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Die Frage «Wo stand Steiner politisch?» beantwortet er konsequent aus Steiners ethischem Individualismus, aus der freien Entfaltung der Menschen und wie von hier aus Gemeinschaft entsteht. «[…] die tiefste Vertrauensdimension der Anthroposophie: Freie Entfaltung wird die Menschen nicht auseinandertreiben, sondern zusammenführen.» Oder auf die Frage «Was glauben Anthroposophen?» weist der Autor auf Steiners ständiges Bemühen hin, Anthroposophie nicht als festen Bestand an Einsichten, als etwas Fertiges zu verstehen, sondern es gehe «um das Eintreten in eine eigene Erkenntnisbewegung». Zur Frage «Was dachte Steiner über die Zukunft der Menschheit?» heißt es in der Antwort: «Im Grunde genommen sah Steiner darin die Entscheidungsfrage der Menschheit: Ist der Wille da, sich der Wirklichkeit in all ihren Dimensionen neu und unvoreingenommen zu stellen, oder weist man das in einer Art Hochmut zurück, ganz gefangen in den scheinbar so überlegenen neuzeitlichen Denkweisen? Diese Entscheidung könnte auch nur – das ist eben die Signatur der Epoche – in freier Entscheidung übernommen werden.»

Bei manchen seiner Antworten hätte ich mir Quellenhinweise zu Wortlauten Rudolf Steiners gewünscht, die Müller zur Unterfütterung zitiert. Der Autor ist sich klar darüber, dass er durchaus persönliche Antworten gibt und Vorschläge zur Annäherung macht, und betont in seinem Vorwort: «Aber gerade diese persönliche Dimension – dass alles Entscheidende selbst zu erringen ist und sich keine Weisheit ins eigene Leben rüberkopieren lässt – führt in die Mitte der Anthroposophie.» Wolfgang Müller schafft mit dem Büchlein ein Vertrauensklima für eine erneuerte, unbefangene Frage- und Gesprächskultur. Und man spürt ein Lüftchen wehen, was die Anthroposophie einmal noch werden kann für eine größere Öffentlichkeit. Ganz nebenbei entsteht auch die Signatur eines verantwortlichen, sachdienlichen und unabhängigen Journalisten – eine bedrohte Art in unseren Tagen des menschheitlichen Krieges um die geistige Urteilsbildung.


Buch Wolfgang Müller: Nachgefragt: Anthroposophie. Häufig gestellte Fragen zu Rudolf Steiner und seinem Werk, Info3-Verlag, Frankfurt/M, 2023

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