Die soziale Frage drängt. Vereinzelung und Isolation drohen auf allen Ebenen. Sei es in großen Zusammenhängen, wo Menschengruppen sich bekriegen, oder in kleineren Gemeinschaften, Projekten, Arbeitszusammenhängen bis hin zur Familie. Sollen wir die Kunst des Feierns, als gemeinschaftsbildende Kunst, neu lernen?
Die meisten Feste stehen in einer kulturellen oder religiösen Tradition, aus der heraus sich die Gestaltung der Feierlichkeit selbstverständlich ergibt. Insbesondere bei den aus der Anthroposophie heraus entstandenen Jahresfesten – erwähnt seien vor allem Johanni und Michaeli – verhält es sich anders. Beide Feste stehen auch in einem kulturellen Kontext, von dem Geschichten, Lieder und Bräuche zeugen. Gleichzeitig bringen sie bezüglich ihrer Gestaltung eine Offenheit mit, die zur Mitgestaltung anregt. Insbesondere Johanni und Michaeli, die nicht als gesetzliche Feiertage äußerlich von der Arbeit freigestellt sind, können rasch in Vergessenheit geraten oder übergangen werden. Welche Kraft bringt es mit sich, Feste wie Johanni zu feiern?
In Tania Blixens Novelle ‹Babettes Fest› ist der Zauber eines Festes mit dem einer Verwandlung beschrieben. Die pietistische Sektengemeinschaft eines kleinen norwegischen Städtchens am Fjord, in die Zwist und Missgunst eingezogen sind, erlebt anlässlich der Festlichkeit des hundertsten Geburtstags ihres verstorbenen geistigen Vorbilds ein vom französischen Dienstmädchen in wochenlanger Vorbereitung zubereitetes Festmahl. Die asketische, gottesfürchtige Lebensweise der Festgesellschaft weicht immer mehr; soziale Wärme und Zugewandtheit lösen alte Konflikte auf, lassen Unausgesprochenes sich verzeihend zu Wort kommen. Babette hat für dieses Fest nicht nur viel Vorbereitungszeit, sondern auch die Gesamtsumme ihres Hauptgewinns im französischen Lotto aufgewendet. Sie ist danach arm. Arm? «Nein. Arm bin ich nie. Ich habe Ihnen gesagt, ich bin eine große Künstlerin. Eine große Künstlerin, Mesdames, ist niemals arm. Wir haben etwas, Mesdames, wovon andere Leute nichts wissen.» (1)
Babette schafft mit ihrem Gastmahl ein Fest für die Sinne und mit den Sinnen. Sie hebt die Speisen mit ihrer Zubereitung aus dem Alltäglichen heraus und erhebt damit ihre Gäste zu einer alle Teilnehmenden ergreifenden Gemeinsamkeit. Das Künstlerische liegt darin, dass sie dem Entstehen dieser Erhebung aus dem Alltäglichen, das eine eigene Zeitlichkeit schafft, Raum schenkt. Ihr Vertrauen, ihre Hingabe an das, «wovon andere Leute nichts wissen», ist Nahrung für die Engel. Sie kennen diesen Raum einer aus dem Alltäglichen herausgenommenen Zeitlichkeit gut, den Quell des Schöpferischen.
Im Feiern kann der Mensch über sein Alltägliches hinauswachsen, sein eigenes Schöpferisch-Sein nähren und damit den Engeln Nahrung sein. Und dafür will man sein Äußerstes geben: «Für einen Künstler ist es schrecklich und unerträglich, wenn er dazu ermutigt wird, nur sein Nächstbestes zu geben und dafür noch Beifall zu bekommen. Durch die ganze Welt schallt unablässig der eine Schrei aus dem Herzen des Künstlers: Erlaubt mir doch, dass ich mein Äußerstes gebe!» (2)
Worin findet sich das Verbindungen Stiftende im Feiern eines Festes? Gadamer entwickelt dies aus der Negation des Arbeitens: «Arbeit trennt und teilt. In der Richtung auf unsere tätigen Zwecke vereinzeln wir uns, bei aller Zusammenfassung, die die gemeinsame Jagd oder die arbeitsteilige Produktion seit jeher nötig machte.» (3)
Im Feiern löst sich diese Vereinzelung zugunsten einer nicht recht bestimmbaren Gemeinsamkeit auf, «einem Sich-Versammeln auf etwas, wovon niemand sagen kann, worauf man sich eigentlich dabei sammelt und versammelt». (4) Wir feiern, indem wir uns auf etwas versammeln, dem Erleben Raum geben und das Fest ‹begehen›. Ein Fest zu begehen, betont seinen Verlauf. Eine Zeit im Verlauf lässt das Ziel in den Hintergrund treten, betont die Offenheit, die der Erfahrung eines Kunstwerks ähnlich ist.
Das Feiern von Festen schenkt die Kraft der künstlerischen Gestaltungsfähigkeit im Kleinen, in jedem einzelnen Menschen. Es ist eine Tätigkeit frei von Arbeit, aus Freiwilligkeit und Freude. Offen im Vollzug, kann das Feiern Verwandlungskräfte einladen, indem es uns daran erinnert, dass irdisches Gestalten im Zusammenspiel mit den Engeln möglich ist:
So beschreibt es Rainer Maria Rilke in seiner vierten ‹Duineser Elegie›.
Was würde es bedeuten, Feste mehr in diesem Sinne zu begehen?
1 Tania Blixen: Babettes Fest, Zürich 1992, S. 77.
2 Ebenda, S. 79.
3 Hans-Georg Gadamer: Ästhetik und Poetik I – Kunst als Aussage (Gesammelte Werke Band 8), Tübingen 1993, S. 130.
4 Ebenda, S. 131.
5 Rainer Maria Rilke: Die Gedichte, Frankfurt am Main/Leipzig 2006, S. 699.
Foto: Ralf Johann, Johannisfeuer 2012 bei Freiburg im Breisgau, Deutschland