Es sind nur Zahlen und Diagramme, die Meteorlogen aus der ganzen Welt liefern, aber auf was sie zeigen, sickert nun in das Bewusstsein aller Menschen. Überschwemmung hier und Trockenheit dort – das sind die Vorboten. Noch viel zu wenig erreicht der Sturm, der uns droht, unseren Willen. Wir sind noch immer auf Kurs auf den Eisberg. Also gilt: gegenseitig wachrütteln und den Kurs ändern – je entschiedener, umso besser der Ausgang.
Was der Klimawandel ist bzw. aus was die Klimakrise besteht, ist inzwischen unstrittig. Die Fakten sind zu klar und nicht erst seit der ausbrechenden Hysterie bekannt, sondern seit 1979 – zusammen mit Lösungsideen (1) Seit 40 Jahren passiert nichts, außer jetzt plötzlich, unter Zeitdruck. Inwiefern und in welchem Bereich ist dieser nötig? Ist er eventuell sogar gefährlich, weil unter der allgemeinen Panik die falschen Entscheidungen durchgepeitscht werden? Klimawandel und Klimakrise sind ein Sammelbegriff für viele Phänomene, die jedes für sich gut untersucht sind, etwa der Meeresspiegelanstieg, die Temperatursteigerung, das große Artensterben – sodass vom 6. großen Massensterben die Rede ist, dem ökonomischen Kollaps, der bei vier Grad globalem Anstieg kommen werde, zusammen mit 50 Prozent Einbußen in der landwirtschaftlichen Produktion. Von Süßwasserarmut, von Fluten und Dürren, Waldbränden und Wetterchaos ist die Rede. Als Sammelbegriff kann ‹Klimawandel› auch missverstanden werden, da unklar ist, von welchem Phänomen man spricht. Worüber sich die Gemüter erhitzen, ist nicht die Klimakrise an sich, sondern die Ursache des Klimawandels. Ob er menschengemacht oder natürlich, ob er vom Menschen beeinflusst und wie groß dieser mögliche Einfluss denn sei. Auch gilt im Rückkehrschluss: Wie groß ist des Menschen Einfluss, um durch Handlungsänderungen noch das Schlimmste abzuwenden?
So viel wie 750 Millionen Autos
Hier liegt ein Begleitphänomen des Klimawandels. Er scheint in allen menschlichen Gemeinschaften für Streit zu sorgen. Es sei denn, man ist sich vollständig einig, dann führt er zur Radikalisierung und zu Unwillen, den Andersdenkenden noch zuzuhören. Greta Thunberg greift oft zur Metapher des ‹brennenden Hauses›. Darüber, dass es brennt, scheint Einigkeit zu bestehen. Aber was geschieht mit dieser Erkenntnis? Man streitet darüber, wer den Brand gelegt hat. Wer weiter denkt, streitet darüber, was die besten Möglichkeiten seien, den Brand so zu löschen, dass man sich am wenigsten bewegen muss. Dabei ist die Sache offensichtlich. Man sollte beginnen zu löschen – und zwar dort, wo es den größten Effekt hat. So geben die 15 größten Frachtschiffe genauso viel klimaschädliche Abgase ab wie alle Pkw der Welt zusammen – das sind 750 Millionen. Andere große Klimasünder sind das Militär, die industrielle Landwirtschaft und die Bauindustrie, nicht etwa die Flugzeuge, die Autos oder die Dieselmotoren der Stadtbusse. Es kann das Bild entstehen, dass die ganzen Streitigkeiten, auch unter Ähnlichdenkenden, davon ablenken oder ablenken sollen, in die Tat zu kommen – dort, wo es schmerzlich wird, wo es am Lebensstandard, dem selbstverständlichen Konsum rüttelt. Dieses Muster ist mir auch unter Freunden und Kolleginnen begegnet. Ich kenne es auch von mir selbst. Keiner will unangenehm werden, konfrontieren, aus der Komfortzone heraus. Es wird vermieden, sich zu positionieren, man könnte ja falsch liegen oder jemanden brüskieren, da vermeidet man lieber das Thema. Wer lehnt sich schon gerne aus dem Fenster?
Ein globales Phänomen, das die Menschen so existenziell betrifft, Menschheitsfragen aufwirft, das mit Bewusstseinswandel, also mit der großen spirituellen Evolution des Menschen zu tun hat, das müsste doch ein kernanthroposophisches Thema sein. Schon der von Rudolf Steiner bei Goethe aufgegriffene methodische Grundsatz, ‹Welterkenntnis ist Selbsterkenntnis› (und umgekehrt), verheißt hier Spannendes. Was bedeutet es für die Selbsterkenntnis, wenn Gletscher schmelzen, was, wenn Land unfruchtbar wird, was, wenn paradiesische Heimaten feindlich werden?
Wir haben die Krise noch nicht als Krise verstanden
Greta Thunberg sagt immer wieder: Wenn wir wirklich erkennen würden, wie existenziell der Klimawandel ist, dass das Überleben der Menschheit tatsächlich auf dem Spiel steht, dass unendliches Leid auf den Großteil der Menschen zukommt, dann gäbe es nur noch ein einziges Thema, über das gesprochen werden würde: Klimawandel. Kein Brexit, keine brennende Kirche in Paris – und ich ergänze, kein Jubelfest für 100 Jahre Rudolf Steiner oder irgendein anderes Thema – wären dann noch von Interesse. (2) Aber das passiert nicht, warum? Wir haben das Klima immer noch nicht als Krise verstanden und folglich wird es als solche auch nicht behandelt.(3) Selbst der Bestsellerautor David Wallace-Wells, der klipp und klar und ohne Aufregung die Fakten zusammenstellt (4) (was schockierend wirkt, da man auf diese Art nichts mehr schönreden kann), gibt in einem Zusatz der Taschenbuchausgabe kleinlaut zu: Selbst er, der sich so intensiv mit dem Thema befasst hat und es im Kopf wirklich klar hat, kann innerlich nicht daran glauben, dass es eintreffen wird. Er stellt sich – so Wallace-Wells – im Geheimen die Zukunft seiner Kinder doch so oder so ähnlich wie sein Leben vor und nicht, wie sein Kopf weiß, als Teil eines Flüchtlingsstromes, der zwischen Fluten und Dürren von Camp zu Camp ziehen wird. 2050 wird es mindestens 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben, so eine UN-Prognose von 2017. (5) Da werden auch Europäer darunter sein, ein Großteil der Mittelmeerregionen wären heute schon ohne künstliche Bewässerung mit fossilem Grundwasser Wüsten.
Eine andere Möglichkeit, die Streitigkeiten, die Zurückhaltung und die Vermeidungen verständlich zu machen, ist noch naheliegender. Hier geht es um sehr viel. Ja, letztlich um alles. Alles wird infrage gestellt und dieses ‹alles› muss sich ändern. Wir ahnen es, dieses ‹alles› ist technisch allein nicht lösbar, sondern es wird auch um uns selbst gehen, um Tiefliegendes, das sich ändern muss. Es geht uns ans Eingemachte – an Veränderung unseres Lebens, unserer Einstellungen, Denkgewohnheiten, Selbstverständlichkeiten. Oder ganz profan: Es geht um den Verzicht auf unseren ‹High-End Consumer Lifestyle›. (6) Und damit um eine Ummünzung von Werten, von dem, was wir an äußeren Sicherheiten zu haben gewohnt sind, an denen wir unsere Identität bilden – Status, Besitz, Land, Haus, Familie, Orden, Titel, Gehalt, Rente, Kontostand, Auto, Smartphone usw.
‹Klimawandel› ist ein harmloses Wort für eine radikale Revolution. Es sollte besser heißen, was es ist: dem Tod ins Angesicht schauen; den Abgrund, an dem wir stehen, erkennen. Und angesichts dieser existenziellen Krise – sieht man sie wirklich, anerkennt man sie wirklich, lässt man sie sich nahekommen, ja geht in sie ein – ist die Mysteriensituation unsere Zeit, nun real von außen, als kaputt gehende physische Existenzgrundlage der Menschen. Würden wir Klimakrise als Krise zulassen, hieße das eben: Ändere deinen Sinn! Denn diese Haltung, nicht hinschauen zu wollen, sich in die Tasche zu lügen, mit zweierlei Maß zu urteilen, ist Ursache des Klimawandels. Klimawandel bedeutet, insofern wir ihn überleben: Erst wenn wir wissen, dass kein Mensch mehr leidet, können wir ruhen. In Rudolf Steiners Worten: «Es wirkt der Grundsatz, dass in der Zukunft kein Mensch Ruhe haben soll im Genusse von Glück, wenn andere neben ihm unglücklich sind. […] Diese Erhöhung des Interesses an unseren Mitmenschen soll sich nicht bloß etwa so subjektiv entwickeln, wie dies die Menschen so bequem in sich entwickeln, sondern mit einem Ruck.» (7)
Die Erde ist ein großer Mensch
Die Klimakrise ist nicht äußerlich, durch egal welche äußerliche Maßnahme abzuwenden, sondern nur durch Erweiterung und Transformation des Menschseins an sich. Die Giergeste gegenüber dem Irdisch-Materiellen ist die Grundgeste der westlichen Zivilisation: am Äußeren klammern und uns am Konsum (alles Äußeren, auch von Titeln, Zeugnissen, GA-Nummern, die wir gelesen haben) nicht sättigen können, egal wie viel wir in uns anreichern. Das ist das Gegenteil vom Leben aus der Sicherheit, aus der eigenen Mitte heraus. Finde ich mich selbst als Geist, brauche ich die Bestätigung durch Äußeres nicht mehr. Klimawandel ist das Resultat des fehlenden Geistes im Menschen – ist Resultat und Zeugnis der Geistferne, dass wir selbst als Anthroposophen, selbst als religiöse Menschen letztlich nicht auf den Geist bauen, sondern aufs Bankkonto, die Rente, die Kinder, das Haus, den Acker.
Geistvertrauen heißt nicht, darauf vertrauen, dass die Menschheit sich schon nicht selbst ausrotten wird, dass der Weltenplan da anderes vorgesehen hat. Das wäre naiv, Verleugnung des Geistes, da ich mich mit solch einer Haltung aus der Betroffenheit und aus der Verantwortung herausnehme. Geistvertrauen heißt hingegen, verzichten können auf alles Irdische, auf alles Gewordene und sich nicht mehr vom Alten, es festhaltend und es dadurch bestätigend, zu ‹ernähren›, sondern alle Sicherheit und Kraft aus dem Nichts zu schöpfen, aus der einzigen unversiegbaren Quelle.
Wie bei jedem Thema, mit dem man sich nicht konfrontieren will, gibt es Tendenzen des Wegschauens: «‹Die› müssen es lösen.» «Ich kann nichts machen.» Man klinkt sich aus. Es wird bei dieser Haltung vermieden, Verantwortung zu übernehmen. Sich nur im eigenen Leben verändern zu wollen, ist auch blind, zumindest auf einem Auge, denn das würde zwar helfen, vermeidet aber die Auseinandersetzung damit, dass dies alles eingebettet ist in ein System, das sich auch ändern muss. Systemänderung hat auch mit mir zu tun, jenseits meines Privatreichs, weil ich Teil der Gesellschaft bin. Dann gibt es Tendenzen des Wegsehens in dem Argument: «Die Technik löst das.» «Wir bauen C)2-Fanggeräte in jeder Stadt.» Angela Merkel reagierte jüngst mit dieser Verantwortung vermeidenden Illusion auf Thunbergs Rede vom 24. September in New York: «Die Innovativkraft der Menschen, die wird uns retten.» (8) Das verschiebt das Problem aber nur, denn darin liegt die Gefahr, dass wir die Lösung des Problems der Technik überlassen, anstatt uns zu ändern. Wenn die Technik, die Innovativkraft zukünftiger Generationen alles löst, kann heute alles so weitergehen wie zuvor. Die Lösung wird außerhalb gesucht, das ist eine Illusion. Der destruktive Lifestyle wird nicht hinterfragt, Exzesse der Gier bleiben okay. Die Ursachen der Krise bleiben unangetastet. Zudem: Alle Fakten und Alternativen, um dem Klimawandel sinnvoll zu begegnen, sind bereits seit Langem bekannt. Das hat uns aber bisher nichts gebracht, um die Situation zu verbessern, und wird auch nichts nutzen, solange wir nicht bereit sind, unseren inneren Klimaleugner zu entdecken, die Gier in uns zu bearbeiten, unser Denken zu hinterfragen. Klimawandel wird alles ändern. Alles Gewohnte muss losgelassen werden. Die Forderung der Globalisierung muss eingelöst werden – nach dem Wirtschaftsleben nun im Rechts- und im Geistesleben –, die Erde als großen Menschen, als Ganzheit, als gemeinsames Haus zu begreifen und demgemäß zu handeln. Es muss realiter von jedem durchempfunden werden, dass auf Kosten anderer leben – ob Mitmenschen, Tiere, Pflanzen oder Erde – letztlich gegen einen selbst wirkt, da wir ein großer Organismus, ein großer Mensch sind.
Hinweis Vom 2. bis 8. August 2020 wird in Schottlands Westen auf der Insel Mull ein Klimacamp stattfinden. Dort, wo Wetter und Klima als Lebenselixier ständig präsent, ewig wechselnd, als immer die Seele beeinflussend erlebbar sind. Für Jugendliche von 16 bis 25 Jahren, oder für jedes Alter, wenn man erleben, beobachten, üben will, wie das innere und das äußere Klima zusammenhängen, als Selbsterkenntnis und heiliger Aktivismus, als Grundlage, um ein wahrer Klimawandler werden zu können. www.knowyourself.land
(1) Faszinierend ist die Analyse ‹Loosing Earth› von Nathaniel Rich (Berlin 2019), der kriminalhaft aufzeigt, dass bereits 1979 alle Lösungen (alternative Techniken und alles Wissen über den Klimawandel und wie drastisch er ausfallen wird usw.) bekannt waren. Wir wissen heute grundsätzlich nicht mehr, das Bild ist lediglich bunter, detailvoller, präziser. Das reichste ein Prozent der Weltgemeinschaft, das an allen Machthebeln sitzt, der Politik, der Wirtschaft, den Medien, dem militärischen Komplex, hat es erreicht, dass das Thema nicht an die Öffentlichkeit kommt. Stattdessen hat ab den 80er-Jahren die neoliberale Wirtschaft mit neuen Märkten und Steuererlässen für die größten Unternehmen den ungehemmten Siegeszug angetreten.
(2) Greta Thunberg, No one is too small to make a difference. London 2019.
(3) Wir können uns Klimawandel einfach nicht vorstellen. Er ist ‹zu groß›, betrifft uns zu unpersönlich. In der Analyse ‹Die Große Verblendung. Der Klimawandel ist das Undenkbare, München 2017› analysiert der Bestsellerautor und Essayist Amitav Ghosh, dass Klimawandel unsere Vorstellungskraft überfordert und wir ihn deshalb nicht denken können. Er kommt kaum vor in Medien, Computerspielen, Film, Buch, da hier alle üblichen ‹Elemente› fehlen, die man für eine Geschichte benötigt: einen Bösewicht, die Guten, ein Happy End.
(4) Siehe: Die unbewohnbare Erde: Leben nach der Erderwärmung, übersetzt von Elisabeth Schmalen, Kiel 2019.
(5) Siehe: U.S. Census Bureau, Historical Estimates of World Population, www.census.gov/data/tables/time-series/demo/international-programs/historical-est-worldpop.html. Diese Rechnung ist sehr niedrig ausgefallen. Andere Studien gehen von bis zu einer Milliarde aus. Siehe z. B. Baher Kamal, Climate Migrants Might Reach One Billion by 2050, ReliefWeb, August 21, 2017, https://reliefweb.int/report/world/climate-migrants-might-reach-one-billion-2050.
(6) Nach Naomi Klein. Sie hat das wohl anthroposophischste Buch zum Klimawandel geschrieben (Naomi Klein, This Changes Everything. London 2014). Sie beobachtet den inneren Klimaleugner und lässt Betroffenheit zu. Zudem ist Klein eine brillante Analystin, welche die Klimakrise und ihre Ursachen benennt. Was sie und viele als Grunderkenntnis des Klimawandels sagen, ist: Er ändert alles! Nach dieser Lektüre gilt: Klimawandel ist das bestmögliche Ereignis, um umzudenken, einen evolutiven Bewusstseinsschritt zu ‹erzwingen›. Das klingt hart, weil Millionen leidvoll sterben werden, aber der Klimawandel heißt konkret: Ändert euren Sinn! Wo jeder Einzelne von uns ‹Egoist› ist, das gilt es jetzt zu erforschen, denn die Rückwirkungen unseres Egoismus auf die anderen Menschen und den Planeten sind nicht mehr zu ignorieren.
(7) Vortrag: Was tut der Engel in unserem Astralleib, in: Der Tod als Lebenswandlung. Dornach 1996, GA 182, S. 145 ff.
(8) Die Weigerung, sich zu ändern, produziert alle möglichen Formen der Abwehr. Einige Formen verhüllen das verneinende ihrer Geste durch vermeintlich Positives – wie hier den Glauben an den Menschen. Technik löst gar nichts, sie ist Teil des Problems. Schaffen wir es durch Technik etwa, CO2 einzufangen, bewirkt das nur, dass wir meinen, weitermachen zu können wie zuvor. Das eigentliche Problem wird dadurch verschleiert und letztlich nur verzögert angegangen.
Bilder: Illustrationsreihe 6/G43, Adrien Jutard
Vielen Dank für diesen Anstoß. Hier gerade nur so viel dazu: Es läuft m.E. in der Öffentlichkeit viel (zu viel) Energie und Forschung darein, dass ‚die Technik‘ Lösungen finde. Ich mag mich da auf Einstein beziehen: ‚Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind‘. Die Chance liegt m.E. in einer Be-Sinn-ung verbunden mit einer Orientierung auf salutogenetische Forschung.