Gespräch mit Gerald Häfner über die Tagung ‹Im Puls für die Zukunft – Aufbruch zu einer menschlicheren Gesellschaft im 21. Jahrhundert› Stuttgart, 5. bis 7. April.
Worum geht es bei der Tagung?
Den Impuls Rudolf Steiners von 1919 zu würdigen, in der Stadt, in der all seine Ideen zur sozialen Dreigliederung ihren Ausgang genommen haben. Nach den zahlreichen vorangegangenen Schritten, Erkenntnis, Wissenschaft, Religion und Kunst zu inspirieren und zu erneuern, wandte sich Rudolf Steiner den gesellschaftlichen Fragen zu, aber nicht mehr nur als Vortragender, sondern als Aktivist! Er hat in dieser Zeit, genau vor 100 Jahren, im April 1919 von morgens bis abends im öffentlichen Raum für eine soziale Ordnung gekämpft und gerungen. Wir wollen nach 100 Jahren daran erinnern und dazu beitragen, dass Stuttgart und Baden-Württemberg sich bewusst sind, welcher Erneuerungsimpuls in die Welt getreten ist – eine Erneuerung, die in den meisten Geschichtsbüchern bis heute unerwähnt bleibt. Rudolf Steiner hat sich mitten in die Fragen der damaligen Zeit gestellt und versucht, menschen- und zeitgemäße Antworten zu finden, das Verhältnis von Arbeit und Kapital im sich entwickelnden Kapitalismus neu zu bestimmen, hat Ideen entwickelt, dem Geld seine Macht zu nehmen und Menschlichkeit zu geben. Er hat zu all den sozialen Fragen einer technisierten Welt radikale, die Wurzel ergreifende Lösungen gefunden, die heute noch beispielhaft sind – darüber wollen wir an der Tagung sprechen, und mit dem Hospitalhof und dem Forum3 haben wir dafür zwei markante öffentliche Orte gewählt.
Was heißt dabei Aufbruch zu einer menschlicheren Gesellschaft?
Es geht um die Frage, ob wir aus der anthroposophischen Sozialwissenschaft tragfähige Antworten für die heutigen Fragen entwickeln können. Am Sonntagmorgen veranstalten wir zum Beispiel drei Foren. Ein erstes zu den Impulsen junger Menschen. Häufig sind deren Initiativen und innere Ziele verbaut durch die Folgen unserer eigenen Taten. Wir wollen am Wochenende über Ideen sprechen, die hier gegensteuern, und darüber, wie wir jugendliche Visionen einer menschlicheren Gesellschaft verstehen und fördern können.
Es lohnt sich zu fragen, welche Impulse jüngere Menschen mit sich bringen und was nötig ist, dass sie zum Tragen kommen können. Von der Klimakrise über die Finanzierung der Renten, die Benachteiligten in der Gesellschaft bis zur Verschuldung der öffentlichen Hand und zur wachsenden Geldblase: Politik ist heute zumeist ideen- und mutlose Verlängerung der Vergangenheit, die sich gegen die Interessen kommender Generationen wendet. Ein zweites Forum zielt auf die dramatische Lage von Eigentum und Einkommen. Überall brennt die Boden- und Wohnungsfrage, sowie die Kapitalkonzentration! Wir haben in der Sektion für Sozialwissenschaften Vorschläge erarbeitet wie etwa zum Eigentumsrecht. Das heisst zum Beispiel, dass man Firmen nicht ‹verkaufen› oder vererben kann, sondern wie sie an die oder den Fähigsten, Kompetentesten weitergegeben werden können.
Das dritte Forum betrifft Digitalisierung und künstliche Intelligenz vor dem Hintergrund der sozialen Dreigliederung. Was heißt es für die Gesellschaft, wenn die Maschinen uns immer mehr abnehmen? Der Computer stellt die Frage, was uns zum Menschen macht. Es ist eine individuelle und gesellschaftliche Frage! Wie kann die Digitalisierung zur Befreiung und Vermenschlichung beitragen und nicht zur Unterdrückung und Entmenschlichung?
Wo steht heute die Dreigliederung?
Sie ist öffentlich so gut wie nicht existent. Aber sie wirkt! Sie lebt in vielem, was wir beobachten können als treibende Kraft. Erst gab es eine Phase vor allem gedanklicher Ausarbeitung, dann eine, in der das Gefühl ergriffen war. Jetzt, so glaube ich, sind wir in einer Zeit angelangt, wo seine Ideen den Willen erreichen. Lebensunterhalt statt Lohn, neue Wohn- und Arbeitsformen, flache Hierarchie und Selbstverwaltung: Mir begegnen junge Menschen, die genau das machen, was zum Kern der sozialen Dreigliederung gehört. Was also gefühlt wurde, ist im Willen angekommen. Da wird nicht argumentiert, vielen scheint evident, dass es sein muss. Die, die so unterwegs sind, warten nicht, sie machen es einfach. Da gibt es viele, die längst zu dieser menschlicheren Wirklichkeit unterwegs sind.
Für wen ist die Tagung gedacht?
Für alle, die Mitgestalterin oder Mitgestalter an unserem gemeinsamen Schicksal sein wollen. Wir gehen in eine Zeit, in der man das sozial Gute nicht mehr von oben oder von anderen erwartet werden kann, sondern sich dort ereignet, wo es von und durch die Menschen erkannt und gebildet wird. Zu diesem Engagement wollen wir an der Tagung inspirieren und Mut machen.