«Energischer Politiker-Wille»

Der Schriftsteller Heinrich Fränkel

Marginalien zu Rudolf Steiners Leben und Werk – 26


In ‹Mein Lebensgang› geht Rudolf Steiner ausführlich auf eine Persönlichkeit ein, die sich später gegnerisch zu ihm und zur Anthroposophie stellen sollte, auf den «freisinnigen Politiker» Dr. Heinrich Fränkel (1859–1939). Er war «Anhänger Eugen Richters und auch in dessen Sinne politisch tätig».1 Richter vertrat die regierungskritische und wirtschaftsliberale Deutsche Freisinnige Partei und gründete 1893 die noch linksliberalere Freisinnige Volkspartei.

Fränkel stammte aus einer Leipziger Kaufmannsfamilie und hatte mit einer Arbeit über ‹Die tägliche Arbeitszeit in Industrie und Landwirtschaft mit besonderer Bezugnahme auf die deutschen Verhältnisse› (Leipzig 1882) promoviert. Eine Zeit lang war er als Handelskammersekretär tätig, vermutlich in Berlin. In Weimar, wohin er mit seiner Frau Anna Ende der 1880er-Jahre übersiedelte, gründete er 1889 den bürgerlich geprägten ‹Verein für Massenverbreitung guter Schriften› (1889–1894), um gegen «Schundroman-Literatur» zu kämpfen. Damals wurde Rudolf Steiner mit ihm bekannt: «Eine kurze Bekanntschaft, die dann durch ein ‹Missverständnis› abgebrochen wurde, an die ich aber oft gerne zurückdenke. Denn der Mann war in seiner Art außerordentlich liebenswert, hatte energischen Politiker-Willen und dachte, mit gutem Willen und vernünftigen Einsichten müssten sich Menschen für einen rechten Fortschritts-Weg im öffentlichen Leben begeistern lassen. Sein Leben wurde eine Kette von Enttäuschungen. Schade, dass ich selbst ihm auch eine solche bereiten musste. Er arbeitete gerade während der Zeit unserer Bekanntschaft an einer Broschüre, bei der er an eine Massenverbreitung größten Stiles dachte.»

Mit dieser unter dem Pseudonym Ghibellinus veröffentlichten Broschüre – ‹Kaiser, werde hart› (Weimar 1891) – wollte Fränkel «die Kreise um den Kaiser von dem, nach seiner Ansicht, Schädlichen überzeugen», nämlich von dem «Ergebnis des Bundes zwischen Groß-Industrie und Agrariertum, das in Deutschland damals keimte und was später, nach seiner Ansicht, zu verheerender Frucht sich entwickeln müsste». Doch er hatte mit seiner Broschüre «nicht den geringsten Erfolg. Er sah, dass aus der Partei, der er zugehörte, und für die er arbeitete, nicht die Kräfte zu holen seien, die für eine von ihm gedachte Aktion eine Grundlage liefern können.»

Heinrich Fränkel reiste im Sommer 1892 nach Wien, um seinen Plan zur Gründung einer deutschnationalen Zeitung voranzutreiben, eventuell die ‹Deutsche Wochenschrift›, die Rudolf Steiner 1888 für einige Wochen redigiert hatte, wieder aufleben zu lassen:2 «Er wollte damit eine politische Strömung schaffen, die ihn vom damaligen ‹Freisinn› hinweg in eine mehr national-freigeistige Tätigkeit geführt hätte. Er dachte sich, ich könne in dieser Richtung mit ihm zusammen etwas machen. Das war unmöglich; allein auch für die Wiederbelebung der ‹Deutschen Wochenschrift› konnte ich nichts tun. Die Art, wie ich ihm dieses mitteilte, führte zu Missverständnissen, welche die Freundschaft in kurzer Zeit zerstörten.»

Dass Fränkel Rudolf Steiner auch in seine Familie – «eine sehr liebe Frau und liebe Schwägerin» sowie zwei Töchter – einführte, sollte für dessen Leben bedeutende Konsequenzen haben, denn Familie Fränkel führte ihn wiederum «zu einer anderen Familie» – nämlich zur Familie Eunike.

Zwischen den Familien kam es im August 1892 – kurz nach Rudolf Steiners Einzug in die Prellerstraße zu Eunikes – zu einem privaten Missverständnis bezüglich einer Verabredung, das die Freundschaft wohl endgültig beendete. Soweit man aus einem erhaltenen Brief Heinrich Fränkels schließen kann, hatte Rudolf Steiner wohl eine ernstgemeinte Einladung für einen Scherz gehalten und den Abend anderweitig verplant. Er entschuldigte sich daraufhin mit einem (nicht vorliegenden) Brief an Anna Fränkel, auf den ihr Mann antwortete.3

Danach liegen keine Zeugnisse mehr vor, die auf einen weiteren Verkehr zwischen den Familien deuten – außer einem merkwürdigen Brief von Anna Fränkel vom 19. November 1914 «An die Leitung der Theosophischen Vereinigung», in dem sie die Frage stellt: «Welchem Gedanken ist Ihr Wirken geweiht?» Im Weiteren gibt sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass man als internationale Vereinigung vor allem darauf wirke, «das Loos unserer gefangenen, tapferen Truppen menschlicher zu gestalten», also das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen.

Familie Fränkel lebte dann viele Jahre in Nikolassee bei Berlin und änderte 1918 ihren Namen in «Frenzel». Heinrich Frenzel-Fränkel war weiterhin schriftstellerisch außerordentlich aktiv und verfasste eine Vielzahl von Broschüren. Politisch rückte er immer weiter nach rechts: Er war eine Zeit lang für die Nationalliberale Partei und nach dem Ersten Weltkrieg in der Deutschen Volkspartei tätig. Kurz vor der Ermordung des deutschen Politikers Matthias Erzberger hetzte er gegen diesen mit einer polemischen Schrift4, ebenso wie etwas später gegen Walther Rathenau. Für diese «Schandschrift», heißt es in den ‹Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus›5, hätte Erich Ludendorff dem «getauften Juden» Frenzel, der «sich jetzt als besonders enragierter Antisemit gebärdet», «Material geliefert».

Von 1925 bis 1933 war Fränkel/Frenzel dann Redakteur der Zeitung ‹Fränkische Wacht. Für Christentum und Deutschtum im protestantischen Geist› und lebte in der Nähe von Nürnberg. Welch unheilvolle Wirkung in dieser Zeit von ihm ausging, geht aus einem Brief von Ernst Lippold – dessen Familie eine Zeit lang dort neben Heinrich Frenzel wohnte – an Emil Bock vom 4. Januar 1959 hervor. Frenzel habe «die scheinbaren Entwicklungsbrüche Rudolf Steiners» benützt, «um gegen ihn zu arbeiten».6 In Klammern bemerkt Lippold dazu: «In dieser Beziehung übte er auch auf den Geisteskranken Krieger einen unheilvollen Einfluss aus, bevor dieser Dr. Carl Unger 1929 in Nürnberg erschossen hat.»7 – Welch merkwürdiger Bogen spannt sich da auf vom Zerbrechen einer Freundschaft in Weimar bis zum unheilvollen Einfluss auf einen psychisch labilen Menschen, der einen führenden Anthroposophen erschießt!

Der geborene Jude, evangelische Christ und leidenschaftliche Antisemit Heinrich Fränkel starb schließlich als «Heinrich Israel Frenzel» 1939 im Elisabethenstift in Darmstadt.


Bild Wiener Ringstraße mit Parlament, ca. 1890. Foto von Victor Angerer

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Footnotes

  1. Alle folgenden Zitate Rudolf Steiners stammen aus ‹Mein Lebensgang›, GA 28, 9. Aufl. Dornach 2000, S. 284–286.
  2. Siehe dazu «Rudolf Steiners kurzes Gastspiel als Redakteur der ‹Deutschen Wochenschrift›», in ‹Goetheanum› 25–26/2019 sowie Kap. 8.3. in Martina Maria Sam, ‹Die Wiener Jahre›. Dornach 2021. Fränkel hielt es für «sehr wünschenswerth», wie es in seiner Postkarte vom 23. Juni 1892 heißt, dass Rudolf Steiner auch nach Wien käme; siehe Rudolf Steiner, Sämtliche Briefe 2. Basel 2023, S. 391.
  3. Ebd., S. 396 f.
  4. ‹Erzberger der Reichsverderber!›, Leipzig 1919.
  5. Nr. 13–14/1922 vom 17. Juli 1922.
  6. So schrieb er 1925 einen etwas gehässigen Artikel in der ‹Fränkischen Wacht›, der sich u. a. gegen die Christengemeinschaft richtet. Dort spricht er Rudolf Steiner aus seinem Zusammensein in Weimar heraus «jede Spur von dem, was wir religiöses oder sittliches Empfinden nennen», ab: «Seine stehende Redensart, die ich sicherlich öfter als fünfzigmal aus seinem Munde gehört habe, lautete: ‹Mein einziger Grundsatz ist, keine Grundsätze zu haben.›» (Nr. 14/1925)
  7. Nachlass Bock im Zentralarchiv der Christengemeinschaft in Berlin. – Der Mechaniker Wilhelm Krieger war langjähriges Mitglied gewesen und hatte zeitweise am Ersten Goetheanum mitgearbeitet; er hatte schon länger mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt. Er erschoss Carl Unger (1878–1929) am 4. Januar 1929 bei einem Vortrag in Nürnberg. In Albert Steffens Nachruf auf Carl Unger heißt es: «Die Einvernahme des Täters bestätigte, dass es sich um einen seit Jahren an Verfolgungswahn leidenden Geisteskranken handelt.» In: ‹Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht›, 2/1929.

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