Was früher das Privileg derer war, die lesen und schreiben konnten und die Freiheit oder Notwendigkeit hatten, dies zu tun, existiert heute nicht mehr.
Briefeschreiben ist passé – und vielleicht gerade deshalb ist es heute ein echtes Privileg geworden. Wer hat schon Lust, nach einem Tag voller Chats, Zooms und E-Mails noch daranzugehen, die eigenen Seelenregungen auf ein Papier zu ergießen und außerdem zur Post zu bringen? Wenn man dies doch tut, drückt das wohl nicht nur die eigene Neigung zur Handschrift aus, sondern die besondere Aufmerksamkeit, die man auf den Adressaten richtet. Zugegebenermaßen ist dies in meinen Chats weniger oft der Fall als in meinen Briefen. Die Leichtigkeit, Veränderlichkeit und Schnelligkeit des E-Mailens oder Chattens setzen die Ansprüche an einen Beitrag in einem Chat herunter. Doch nicht unbedingt. Wenn man der Technik gegenüber eher feindlich eingestellt ist, neigt man vielleicht zur verklärten Ansicht, dem Briefeschreiben würde per se etwas Tiefgründiges innewohnen. Dabei waren Papier und Federkiel genau wie das Smartphone einfach zur Kommunikation da. Wer je Goethes Briefe an seine Frau Christiane Vulpius gelesen hat, findet sich darin selten erbaut wieder. «Schick mir doch noch einen Braten und drei Flaschen des guten Weins rüber», ist die ungefähre Aussage vieler der zahlreichen Briefe. Ob Emoji oder Federkiel, ist also für einen guten Brief nicht die Frage, sondern ob die eigene Anwesenheit in die Kommunikation eintreten kann. Es sei also hier mit Freude eine Lanze für das neue Briefeschreiben gebrochen, für das Privileg, beim Schreiben Zeit zu haben, nachzudenken, sich zu konzentrieren und sich ins eigene Innere vertiefen zu dürfen, während man an jemand anderen denkt.