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Elektronische Gefangenschaft?

Mit dem Aufkommen der neuen Medien hat sich die Menschheitssituation stark gewandelt. Bis in die 1990er-Jahre war Menschenbegegnung noch das Selbstverständliche und das sozial gestaltende Element. In zunehmendem Maße sieht sich der Mensch mit einer Maschine als Gegenüber konfrontiert – am Arbeitsplatz, im privaten Bereich, an Schulen. Maschinen verbinden Maschinen anderer Menschen miteinander.


Durch die Digitalisierung weiter Bereiche der Arbeitswelt wird jede menschliche Äußerung – als Wort, als Bild und als Ton – in Maschinensprache übersetzt, bevor sie den Adressaten erreicht. An die Stelle der Menschenbegegnung ist die Verbindung von Maschinen getreten. Statt am anderen Menschen geistig zu erwachen, ist es Erfahrung vieler, am Bildschirm Aufmerksamkeit und Wachheit für das Lebendige einzubüßen.

Das ist die Menschheitssituation zu Beginn des dritten Jahrtausends. Insofern war es naheliegend, für eine Schrift, die das Vordringen der elektronischen Medien geisteswissenschaftlich untersucht, möglichst umfassend Äußerungen von Menschen zu berücksichtigen, die sich wissenschaftlich oder pädagogisch, künstlerisch, politisch oder auch als Prominente damit befassen. Was aus der Tagespresse der letzten Jahre und anderen Druckerzeugnissen erreichbar war an Äußerungen zu den elektronischen Medien, ist hier geordnet und dokumentiert.

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Drahtlose Vorrichtungen tragen unsere Gedanken …

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts äußerte Rudolf Steiner: «Drahtlose Vorrichtungen tragen unsere Gedanken, Vorrichtungen, von denen sich unsere Vorwelt nichts hat träumen lassen, über den ganzen Erdball hin. Aber was haben wir davon? Die trivialsten, ödesten Gedanken schicken wir von einem Ort zum andern; menschliche Intelligenzkraft bis ins Höchste haben wir anspannen müssen, damit wir nun endlich mit allen möglichen vollkommenen Werkzeugen herüberbringen können von einem entfernten Ort der Erde an den andern, was wir nun essen […].» (Nürnberg, 3.12.1911)

Maschinen haben den Menschen unendlich viel Arbeit abgenommen. Aber damit nicht vergleichbar sind die Auswirkungen, die im Sozialen und im Kulturleben überhaupt mehr und mehr sichtbar werden. Seelische Bewegungen und geistige Begegung können durch elektronische Impulse nicht vermittelt werden. Was derart reduziert wurde, betrifft das menschliche Sprechen, Musik und Malerei gleichermaßen. Und dennoch will niemand eine zunehmende Verrohung der Gesellschaft in den direkten Zusammenhang mit der Digitalisierung stellen.

 


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Die Verfasser, Johannes Greiner und Anton Kimpfler, stellen subtil die Frage nach dem spezifisch Menschlichen, ohne im Großen eine Antwort auszuformulieren. Das bewirkt bei aufmerksamer Kenntnisnahme dieser Schrift ein Suchen und Selbstversichern, ein Bewusstwerden der Lebenskräfte, die sich in jeder tieferen menschlichen Begegnung mitteilen. Vieles, was in dieser Schrift angedeutet ist, verweist auf den Stellenwert der Künste, um soziale Gestaltungskräfte gegen das Vordringen einer Maschinenkultur zu behaupten. Auf diesem Weg wird bereits das Handschriftliche zur eurythmischen Übung. Also Anthroposophie als Umwendung aller elektronischen Einbindung?


Johannes Greiner, Anton Kimpfler, Elektronische Gefangenschaft? Grenzen der digitalen Technik und geforderte neue Fähigkeiten des Menschen, edition Widar, 2019.

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