Es ist 20 Jahre her, da hielt der Soziologe Jürgen Habermas seine Dankesrede zur Verleihung des Deutschen Friedenspreises ‹Glauben und Wissen›.
Die Probleme und Fragen einer modernen Gesellschaft, so Habermas, seien so komplex, dass sie nur im Dialog von Religion und Wissenschaft zu lösen seien. Denn: «der szientistische Glaube an eine Wissenschaft, die eines Tages das personale Selbstverständnis durch eine objektivierende Selbstbeschreibung nicht nur ergänzt, sondern ablöst, ist nicht Wissenschaft, sondern schlechte Philosophie.» Mit anderen Worten: der Glaube an die Allmacht der Wissenschaft ist schlechte Wissenschaft. Sowohl Wissenschaft als auch Religion müssten sich «lernbereit, osmotisch nach beiden Seiten öffnen». Was heißt ‹osmotisch›? Das Fremde aufnehmen, ohne die Identität zu verlieren. Dann nennt Habermas drei Bedingungen für religiöses Bewusstsein, um an der Gemeinschaftsbildung teilnehmen zu können: 1. Sie müsse «kognitiv dissonante Begegnung mit anderen Konfessionen und anderen Religionen verarbeiten». 2. Sie müsse die Autorität der Wissenschaft anerkennen. 3. Sie müsse sich «auf die Prämissen des Verfassungsstaates einlassen». Also kurz: Religiöses Denken müsse andere Religionen, die Wissenschaft und die Verfassung achten.
Wenn nun, wie Habermas fordert, in gesellschaftlichen Fragen – er selbst nennt Gentechnik – Wissenschaft und Religion ins Gespräch treten sollten, so müssen seine Forderungen wohl auch für die Wissenschaft selbst gelten: dann müsse sie 1. auch andere «dissonante», also widersprechende Disziplinen respektieren, dass also der Virologe die Pädagogin, die Ärztin den Philosophen hört und verstehen lernt. 2. Dann müsse Wissenschaft, wenn es um den Sinn geht, von ihrer eigenen Dürftigkeit wissen. So betont Habermas zum Beispiel, dass das soziale Band in gegenseitiger Anerkennung liege, und das «gehe in der Sprache des Marktes nicht auf», könne also von Wirtschaftswissenschaft nicht verstanden werden. 3. Dann müsse Wissenschaft die Verfassung anerkennen.
Mit Gesprächsbedingungen ist es so, dass sie sowohl Voraussetzung und als auch Resultat des Dialogs sind. Wo also gesprochen wird, wachsen Bedingungen für ein nächstes Gespräch, ein besseres Gespräch.
Was bisher dem Straßenverkehr gehörte, Halte-, Stopp- und Richtungslinien und Ampeln, das gilt jetzt auch zu Fuß. Der Blick zum Boden, ein Teil der neuen Normalität. Illustration zu Missbrauch der Wissenschaft, Adrien Jutard, Klebeband.