Eine solidarische Wirtschaft ist möglich! Das ruft Marc C. Theurillat allen entgegen, die verzweifelt sind über die vielfach noch sich vertiefende soziale Spaltung, über Armut, Ausbeutung und Arbeitslosigkeit auf der einen und steigende Gewinne, weltweite Spekulation und exorbitante Vermögen auf der anderen Seite.
Marc Theurillat weiß, wovon er spricht. Er hat selbst sein ganzes berufliches Leben in der Wirtschaft verbracht und als Bauingenieur, Unternehmer in verschiedenen KMU-Betrieben sowie in der Führung einer Unternehmensstiftung und eines Konsumentenverbandes vielfältige und praktische ökonomische Erfahrungen gemacht. Früh schon begegnete dem 1968 in der Studentenbewegung aktiven Theurillat die Anthroposophie und mit ihr die Idee einer solidarischen Wirtschaft, die individuelle – und auch unternehmerische – Freiheit untrennbar mit sozialer Verantwortung und Gemeinwohlorientierung verbindet. Diesen Leitstern seines Denkens und unternehmerischen Handelns in einer allgemeinverständlichen und zeitgemäßen Form anhand eigener praktischer Erfahrungen darzustellen, ist das Ziel des vorliegenden Werkes. Es vermittelt zugleich Denkanstöße zu wirtschaftswissenschaftlichen Diskussionen nicht nur außer-, sondern auch innerhalb der anthroposophischen Bewegung.
Konkrete Menschlichkeit
Fruchtbar und ungewöhnlich zugleich ist dabei die Form von Theurillats Darstellung. Seine Gliederung baut auf den «sieben relevanten sozialen Prozessen» in der Darstellung von Benediktus Hardorp auf, die sich ihrerseits erkennbar an die Darstellung der «sieben Lebensprozesse» im Werk Rudolf Steiners anlehnen. Jedem dieser «sieben sozialen Prozesse» ist ein Kapitel des Buches gewidmet. Als Hilfe für die Leserinnen und Leser wird das im Kapitel schrittweise Entwickelte jeweils am Ende in einem kurzen Fazit noch einmal zusammengefasst. Noch vor allen methodischen und strukturellen Fragen steht am Anfang die konkrete Menschlichkeit des einzelnen Menschen als Ausgangspunkt und Ziel jeder wirtschaftlichen Tätigkeit – und damit auch der Menschlichkeit und Solidarität im wirtschaftlichen Handeln. Erst danach werden die großen systemischen Fragen gestellt und notwendige Veränderungen des Denkens, der Begriffe wie der gesetzlichen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens angemahnt. Hier macht Theurillat konkrete Vorschläge zu einer Neuordnung der Verfügungsrechte über Grund und Boden wie der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und weist auf erste konkrete Realisierungsschritte in diese Richtung hin. Zugleich wird deutlich, dass die Entwicklungen einer solidarischen Wirtschaft zwingend die Änderung nicht nur des individuellen Verhaltens, sondern auch der Gesetze und Strukturen erfordert.
Anschließend diskutiert Theurillat die Entwicklung der Produktivität sowie die Rolle des Geldes in der Wirtschaft. Für die Finanzierung von Bildung und Kultur als dem eigentlichen Quellpunkt künftiger Produktivität schlägt der Autor ein «Kultur-Geldschlusszeichen» vor. Durch die Pflicht, einen bestimmten Anteil des verfügbaren Bar- und Buchgeldes an frei gewählte Kulturinstitutionen zu geben, verliert das Geld für dessen Besitzer regelmäßig an Wert und gleicht sich damit dem allmählichen Wertverlust der Waren an. Gleichzeitig sieht der Autor darin die Möglichkeit einer nachhaltigen Finanzierung des lebenswichtigen Bildungs- und Kulturbereiches einer Gesellschaft ohne die Notwendigkeit zentraler Steuerung und Umverteilung durch den Staat.
Ungewöhnlich für das heutige Konkurrenzdenken im Wirtschaftsbereich, aber vertraut für anthroposophische Leserinnen und Leser, plädiert Theurillat im anschließenden Kapitel für sinnvolle Koordination im Markt und für die assoziative Zusammenarbeit von Unternehmen mit dem Ziel, in offenen Gesprächen durch Transparenz und Einsicht in die Verhältnisse bei den verschiedenen Geschäftspartnern Interessengegensätze im Sinne realer Solidarität auszugleichen. Ein ausführliches Kapitel gilt den Konsumenten, denen der Autor auch in seinem praktischen Leben – so zum Beispiel in 30 Jahren Vorstandstätigkeit im Konsumentenverein Basel und Umgebung – besonderen Einsatz und somit Bedeutung verliehen hat. Sie sind die erste und – als Stimmbürger – auch die letzte Instanz, die die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft festlegt. Eine mündige, nicht durch mangelnde Transparenz einerseits und irreführende Werbung andererseits manipulierte Konsumentenschaft steuert mit ihrem Kaufverhalten die Wirtschaft. Ihre Kraft und ihren Einfluss zu stärken, ist deshalb eine der vorrangigen Anliegen des Autors.
Das Buch schließt mit einem Kapitel zu Aufgabe, Fragestellung und Methodik der Wirtschaftswissenschaften, das in diesem Kontext notwendig nur kurz und kursorisch ausfallen konnte.
Theurillats Werk ist ein origineller Versuch, die durch Rudolf Steiner angeregten Hinweise auf die Möglichkeit einer von Grund auf solidarischen, dem Menschen und der Erde dienenden Wirtschaft auf der Grundlage einer langjährigen Lebenserfahrung in ganz verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen in praktische Anregungen für die heutige Zeit zu übersetzen. Es kann auf diese Weise für viele beim Bemühen um ein neues, gewandeltes wirtschaftliches Denken und Handeln als wertvolle Anregung dienen.
Buch Marc Theurillat: Veränderung ist möglich, Solidarisch wirtschaften für eine nachhaltige Gesellschaft, Zbinden-Verlag, Basel 2022