Eine neue Pascal’sche Wette?

Vor 400 Jahren kam eine große Persönlichkeit des modernen Geisteslebens zur Welt. Blaise Pascal war nicht nur Erfinder und Wissenschaftler, sondern auch spiritueller Forscher, der uns heute noch inspirieren kann.


Blaise Pascal wurde am 19. Juni 1623 in Zentralfrankreich geboren und zeigte schon früh ungewöhnliche intellektuelle Fähigkeiten. Bereits mit acht Jahren begann sein Vater, ihn in wissenschaftlichen Fragen, insbesondere in Mathematik, zu unterrichten. Im Alter von elf Jahren verfasste er seine ersten wissenschaftlichen Abhandlungen. Seine Arbeiten als Jugendlicher trugen zu Fortschritten in der projektiven Geometrie bei und ein Theorem wurde nach ihm benannt. Um seinem Vater zu helfen, entwickelte er im Alter von 19 Jahren die erste Rechenmaschine der Moderne, die Pascaline, die Additionen und Subtraktionen durchführen konnte. Mit seinen Forschungen über Flüssigkeiten, Vakuum und Druck leistete er einen bedeutenden Beitrag zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Moderne. Er entwarf das theoretische Modell der hydraulischen Presse und hat zur Entstehung einer neuen mathematischen Disziplin – der Wahrscheinlichkeitsrechnung – beigetragen. Auch gab er einer Maßeinheit für Druckmessung seinen Namen.

Spirituelles Feuer

Pascals außergewöhnlich reger Geist beschränkte sich jedoch nicht auf Wissenschaft und Technik. Tatsächlich lernte er im Alter von 23 Jahren einige Vertreter einer spirituellen Strömung kennen, die als ‹Jansenismus› bezeichnet wird. Berührt von ihrer mystischen Herangehensweise an das Christentum, die damals im Gegensatz zum Jesuitentum stand, besorgte er sich ihre Bücher, um sie weiter zu studieren, insbesondere den ‹Oratio de interioris hominis reformatione› (Diskurs über die Reformation des inneren Menschen) von Cornelius Jansen, dem Begründer dieser Bewegung. Diese Begegnung beeindruckte ihn so sehr, dass man von einer ersten ‹Bekehrung› Pascals spricht. Aber erst später, im Alter von 31 Jahren, erlebte er eine tiefe spirituelle Krise, die in der ‹Feuernacht› gipfelte; einer Nacht, in der Pascal sich von einem intensiven spirituellen und mystischen Eifer verbrannt fühlte. Er versuchte, dies festzuhalten, indem er ein Manuskript verfasste, das heute das ‹Memorial› genannt wird, in dem er erklärte, sich ganz Christus hinzugeben, und das er in das Innenfutter seiner Jacke einnähte.

Von dieser Zeit an schloss sich Pascal der geistlichen Gemeinschaft der Abtei Port-Royal an, in der dieses mystische jansenistische Christentum gepflegt wurde. Er wurde dort zu einem engagierten Mitwirkenden und zeigte, dass er nicht nur ein hervorragender Kenner der fortschrittlichsten Wissenschaften seiner Zeit war, sondern auch über fundierte theologische Kenntnisse sowie originelle geistige Auffassungen verfügte. Als Port-Royal mit Ketzereivorwürfen konfrontiert wurde, versuchte er, die Gemeinschaft zu verteidigen, distanzierte sich aber wegen Meinungsverschiedenheiten über die anzuwendende Strategie. Die Angriffe auf Port-Royal wurden immer heftiger, aber die Schwestern weigerten sich, dem Jansenismus abzuschwören, wie es die Kirche von ihnen verlangte. Die Gemeinschaft und das geistliche Leben der Abtei lösten sich nach und nach auf, bis Ludwig XIV. die Anlage endgültig zerstören ließ. Aber die Ausstrahlung von Port-Royal besteht bis heute in der französischen Kultur fort, als ein Symbol für den Widerstand des spirituellen Bewusstseins gegen institutionelle Autorität. Blaise Pascal begann seinerseits mit der Abfassung einer ‹Apologie der christlichen Religion›, die fragmentarisch blieb, aber in Form seiner berühmten ‹Pensées› (Gedanken) veröffentlicht wurde.

Eine Erkenntnis des Geistes?

Dort lassen sich die Keime eines wissenschaftlich-geistigen Ansatzes erkennen. Während Descartes die Grundlagen eines rationalistischen Ansatzes formulierte, der die Realität fragmentiert, um sie besser zu verstehen, drückt Pascal in seinen ‹Pensées› die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Herangehensweise aus: «Da alle Dinge verursacht und verursachend sind, geholfen und helfend, mittelbar und unmittelbar, und alle sich durch ein natürliches und unmerkliches Band unterhalten, das die entferntesten und verschiedensten verbindet, halte ich es für unmöglich, die Teile zu kennen, ohne das Ganze zu kennen, ebenso wenig wie das Ganze zu kennen, ohne die Teile ins Detail zu kennen.»

Aus seinen ‹Pensées› stammt auch die berühmte Formulierung: «Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt.» Aber noch mehr: «Wir erkennen die Wahrheit nicht nur durch die Vernunft, sondern auch durch das Herz; aus dieser letzten Art kennen wir die ersten Prinzipien, und es ist vergeblich, dass die Vernunft, die keinen Anteil daran hat, versucht, sie zu bekämpfen.» Pascal eröffnet damit den Blick auf eine Epistemologie, die das Herz als ein Organ der Erkenntnis begreift.

Später inspiriert er eine ganz besondere philosophische Strömung, den sogenannten ‹französischen Spiritualismus›, der Ende des 18. Jahrhunderts mit Pierre Maine de Biran aufkam und Mitte des 20. Jahrhunderts mit seinen letzten prominenten Vertretern endete: Henri Bergson und Louis Lavelle. Diese spiritualistische Strömung, die im 19. Jahrhundert den deutschen Idealismus zu rezipieren wusste, ist heute etwas in Vergessenheit geraten. Aber sie war Ausdruck eines ständigen Bemühens, den Materialismus zu überwinden und die spirituelle Dimension des Menschen hervorzuheben, und vor allem das, was daraus folgt: die menschliche Freiheit.

Die Wette des Herzens

Die Wechselwirkung zwischen Herz und Vernunft war ein wiederkehrendes Motiv in Pascals Denken, das sich auch in seiner berühmten ‹Wette› ausdrückt. Obwohl ihm bewusst war, dass der Glaube, wenn er echt sein solle, eine Sache des Herzens ist, wollte er zeigen, dass die Rationalität selbst uns zum Glauben verleitet. Er zeigte, dass die Vernunft zwar die Frage nach der Existenz Gottes nicht entscheiden kann, dass sie aber dennoch den Schluss zulässt, dass man angesichts dieser Ungewissheit mehr zu verlieren hat, wenn man nicht an Gott glaubt, als wenn man an ihn glaubt. Man soll also die Wette eingehen. Die Vernunft muss uns also dazu bringen, zu glauben – so eröffnet er den Weg zum Herzen.

Heute tobt der Krieg und tiefe Risse durchziehen die Menschheit. Die Frage nach der Existenz Gottes ist vielleicht nicht mehr die wichtigste. Wesentlicher scheint vielmehr die nach der Existenz des anderen zu sein und nach dem Vertrauen, das wir ihm im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft entgegenbringen können. Es scheint, dass wir immer wieder auf die soziale Frage verwiesen werden, auf die Frage des Zusammenlebens, des Zusammenarbeitens, des Zusammendenkens und des Zusammenschaffens. Können wir dem Menschen vertrauen? Haben wir Vertrauen in unsere Nachbarn, in unseren Partner, in unsere Kollegin, in unsere Nächsten?

Der andere ist uns immer, zumindest teilweise, unbekannt und fremd. Aber das ‹Vertrauen› in den anderen bildet dennoch die unverzichtbare Grundlage für jede soziale Bindung, jeden Dialog, jede Hoffnung. Sind wir hier nicht auch mit einer Wette konfrontiert? Ist dieses ‹Vertrauen› nicht wie der Gott der Pascal’schen Wette? Ist unser Nächster vertrauenswürdig? Wir können nicht mit dem bloßen Verstand antworten. Aber angesichts dieser Ungewissheit können wir uns von Pascal inspirieren lassen: Weist uns die Vernunft nicht darauf hin, dass wir mehr zu verlieren haben, wenn wir das Vertrauen in die Menschheit, in den Fremden, in den anderen verweigern, als wenn wir es gewähren? Auch wenn diese Frage vielleicht heikler ist als die Frage nach Gott, scheint es hier unerlässlich zu sein, die Wette einzugehen und den Weg des Herzens zu öffnen.


Titelbild Totenmaske aus Gips, 1662, Blaise Pascal, Bibliothèque Sainte-Geneviève, Paris

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