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Eine neue Gemeinschaft aus Freiheit

Warum Friedrich Schiller das Trauerspiel ‹Die Malteser› immer wieder abbrach und es schließlich nicht fertigbrachte. Kontexte einer Werk- und Menschenwerdung.


Die Lebensbedingungen eines spirituellen Ordens im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, zur Gegenwart und Zukunft waren Ende des 18. Jahrhunderts öffentlich kaum bekannt – und sind es über 200 Jahre nach Schillers Tod noch immer nicht. Peter Selg, der Autor des Buches ‹Die Reinheit des Ordens und das Opfer› nimmt sich des Themas an und beschreibt die einzelnen Phasen von Schillers Arbeit, die mit dem ‹Don Carlos› begann. Im Juli 1787 zog Schiller nach Weimar und trug sich mit dem Gedanken zu einem eigenständigen ‹Malteser›-Drama. Er besorgte sich in dieser Zeit Robert Watsons ‹Geschichte der Regierung Philipps des Zweyten, Königs von Spanien› und studierte den verzweifelten Befreiungskampf der letzten Malteserritter unter Jean de la Valette gegen die Übermacht der Türken. Dazu kamen die sieben Bände der ausführlichen Monografie der Geschichte des Malteserordens von René Aubert de Vertot, die gerade ins Deutsche übersetzt vorlagen.

Die Verteidigung von Malta

Eine Insel als äußerster Grenzposten gegen die feindlich gesinnten Länder erwartet den Angriff der türkischen Flotte und die Ritter der Johanniter wissen um die Aussichtslosigkeit der Verteidigung. Für Schiller steht die vollständige Idee von der Unhaltbarkeit von Fort St. Elmo von Anfang an fest und im Mittelpunkt seines Entwurfes. Ebenso die desolate innere Situation des Ordens.

Alle drei Gelübde der Ritter werden seit Jahren vernachlässigt. Die Ritter sind ungehorsam, unkeusch, habsüchtig und streben nach Reichtum. Streit herrscht unter den Ordensmitgliedern. Schiller spitzt die charakteristische Situation in seiner Darstellung nachdrücklich zu und gestaltet eine Konvergenz von äußerer und innerer Bedrohung.

 


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«Der Orden ist seinem Untergange nahe, weil er von innen heraus sich selbst überlebt hat», sagt der Großmeister La Valette. Er verbietet die Manifestationen des äußeren Verfalls – Glücksspiel, Kleiderpracht, Gelage, Auseinandersetzungen um Frauen – und bereitet die Voraussetzung einer inneren Umkehr vor, die sich aus dem Quell des Ich, ohne fremde Hilfe, vollziehen muss. Die Ordensmitglieder aber lehnen sich gegen die Beschränkung ihrer äußeren Freiheit auf. Sie empfinden die Anordnungen des Großmeisters als willkürlich und tyrannisch und behaupten, dass jetzt keine Zeit sei, sich einzuschränken, da der Krieg und die Gefahr die Freiheit begünstige. Als der Abgesandte des spanischen Vizekönigs die letzte Hoffnung auf helfende Truppen vernichtet, wendet sich der Großmeister La Valette an seine Ritter: Von jetzt an müssten sie ihre Hoffnung auf sich selbst setzen und Rat im eigenen Mut suchen. Der Orden soll in der größten Not zu seiner ursprünglichen Geistigkeit und Kraft zurückfinden oder erneut gebildet werden.

Dem Großmeister geht es bei Schiller um die Behauptung der Ordenstugend gegen die Natur selbst, das heißt um die entschiedene Erhebung des Menschen über seine kreatürliche Existenz. Der Mensch ist mehr als sein Sein in der Sinneswelt. Die Welt seines Wesens ist nicht mit dem Erdensein identisch. Er kann in seiner Beziehung zur geistig-moralischen Sphäre seine Existenz stärken, die Begrenzung seiner Subjektivität überwinden, sich auf seine wesentlichen Aufgaben konzentrieren und dadurch über sein gewöhnliches (niederes) Selbst hinauswachsen.

Die innere Verwandlung

Anfangs wirkt der Großmeister kraft seiner Autorität und seines Amtes. Dann hat er eine große Zuneigung zu seinen Rittern. Er zeigt sein ‹fühlendes Herz›. Dennoch muss das Opfer für den Orden gebracht werden. Es ist also eine Stimmung hervorzubringen, welche dieser Empfindungsart Raum gibt. Und der Großmeister muss durch seinen Charakter der Urheber davon sein. Die Verwandlung von einer strengen, pflichtgemäßen Aufopferung in eine freiwillige, mit Liebe und Begeisterung erfüllte wird vollführt.

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Von jetzt an müssen sie ihre Hoffnung auf sich selbst setzen und Rat im eigenen Mut suchen.

In Schillers Großmeister La Valette lebt Künftiges. In seiner Orientierung an einer individualisierten, selbst gelebten Moral und der Überwindung aller Egoität glaubt er an eine neue, sich in Freiheit bildende Gemeinschaft. Er repräsentiert eine Form der ‹erkennenden Selbstlosigkeit› (Steiner), die keine Zurücknahme des menschlichen Ich, sondern seine höchste Entwicklung bedeutet – im ichhaften Erkennen und im zum Letzteinsatz bereiten Leben mit den anderen und für die Aufgaben der Gemeinschaft. La Valette überwindet den Schmerz um den eigenen Sohn zugunsten des Ordens und derer, die ihm angehören: «Ich habe hundert Söhne. Ich soll keinem näher angehören, ich soll ein Vater seyn für alle.»

Was ‹Die Malteser› hätten werden können

«Die vollendeten und aufgeführten ‹Malteser› wären etwas geworden für Menschen von höchstem geistigem Schwung, ein lebendiges Drama, wie es Schiller zuvor nie gestaltet hatte.» (1) Der frühe Tod Schillers hat die Fertigstellung dieses Trauerspiels unmöglich gemacht. ‹Die Malteser› ruhten bei seinem Tod in der Schublade. Doch das Thema beschäftigte ihn seit seinem 28. Lebensjahr. Goethe hatte ihn sehr bedrängt, es noch vor dem ‹Wallenstein› fertigzustellen und zum Geburtstag der Herzogin am 30. Januar 1795 aufzuführen. Schiller meinte zu der Zeit noch, das «ist noch einmal so leicht als Wallenstein».

Das Stück blieb unvollendet, aber auf einem hohen Niveau, das nicht nur ein Zeugnis von Schillers dramatischem Vermögen ablegt, sondern auch von seiner realen Beziehung zu den Inhalten des Geschehens. Er trug bis zu einem gewissen Grad die Bedingungen zur Intuition in sich. Allerdings, «was Schiller in sich trug, das konnte wegen seines anderen Karmas nicht herauskommen, es verkrampfte sich, verkrampfte sich auch seelisch.» Es sind «große, gewaltige Sätze, die überall nicht bis zum Punkt führen. […] es ist der eiserne Wille vorhanden, als er die ‹Malteser› entwirft, vorwärtszukommen; aber er kann nicht. Es kommt nur bis zu einem flüchtigen Entwurf.» Schiller war nach Rudolf Steiner dazu prädestiniert, «Hochspirituelles aus sich heraus hervorzubringen». (2) Schiller lebte in der spirituellen Welt, konnte sie jedoch nur bedingt über seine kranke, mitgenommene Leiblichkeit in die Werkwerdung der Tragödie umsetzen, so Peter Selg.

Damals und heute

Die in diesem Buch zusammengestellten Texte sind in der Lage, nicht nur das Gemüt des Lesenden zu erreichen, sondern auch zu bilden. Jedes Kapitel und jeder Satz scheinen genau überlegt. Es geht um eine Auseinandersetzung, die zwar Jahrhunderte zurückliegt und doch gegenwärtig ist. Die äußere Handlung tritt zurück, um das Werden und Erneuern des Gedankens der inneren Umwandlung umso leuchtender hervorzubringen. Das Hinzufügen von Äußerungen Rudolf Steiners verleiht dem Ganzen nicht nur Gewicht, sondern bringt auch die geistige Einordnung. Beim Studium der Fußnoten erfährt man die große Bedeutung des Themas für die unmittelbare Gegenwart – und hier besonders den Zusammenhang mit dem Grundstein der Weihnachtstagung.


(1) Rudolf Steiner, Der pädagogische Wert der Menschenerkenntnis und der Kulturwert der Pädagogik. GA 310.
(2) Ebenda.

Buch Peter Selg, Die Reinheit des Ordens und das Opfer, Friedrich Schillers Johanniter-­Fragment ‹Die Malteser›, Verlag am Goetheanum, 2010, ISBN 978-3-72351-408-5

Titelbild: Ausschnitt vom Cover, Malerei von Ignazio Danti, XVI Jh (Vatican). Bild: Wikimedia Commons

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