Die Anthroposophische Medizin, die in Frankreich oft verleumdet wird, sollte mehr Anerkennung finden, argumentieren mehrere Ärzteverbände in einem Weißbuch, das im August 2020 in Frankreich veröffentlicht wurde.
Es ist ein Widerspruch: Manche der aktuellen gesundheitlichen Herausforderungen wie chronische Krankheiten, Depressionen oder Pathologien, die mit dem Lebensstil in der Überflussgesellschaft zusammenhängen, brauchen eine vielschichtige, individuelle Begleitung und Verständnis. Genau das bietet die Erweiterung der Medizin durch die Anthroposophie. Und doch wird diese oft – und besonders in Frankreich – in den Medien und von ‹Skeptikern› angegriffen. Das muss sich ändern, so das Motto des Weißbuchs: «Die Medizin hat sich durch die Konfrontation mit chronischen Krankheiten, die auf dem Vormarsch sind, […] so sehr weiterentwickelt, dass es nun an der Zeit ist, komplementäre – und nicht alternative, wie oft fälschlich behauptet wird – medizinische Praktiken [im Sinne einer integrativen Medizin] ins Auge zu fassen.»
Woran liegt das Missverständnis? Vielleicht auch an einem Mangel an Information. Die vorliegende Veröffentlichung aus Frankreich, wo Publikationen von anthroposophischen Ärztinnen und Ärzten noch nicht die breite Öffentlichkeit erreicht haben, ist also sehr zu begrüßen. Zentral werden vier grundlegende ethische Prinzipien der Anthroposophischen Medizin formuliert: die individuelle Freiheit, das Prinzip der Entwicklung eines jeden Menschen, der Verantwortung für die natürliche und soziale Umwelt und der Wissenschaftlichkeit. Man kann hoffen, dass diese Darlegung der Herausforderung gewachsen ist, denn diese Prinzipien stimmen mit den Erfordernissen und Idealen einer modernen Gesellschaft überein: Vorrang des Individuums, die Möglichkeit für jeden Menschen, sich aus eigenem Willen zu verwandeln (innere Entwicklung), nachhaltige Entwicklung und Kohärenz mit etablierten wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Neben diesen grundsätzlichen Elementen bietet das Buch auch quantitative Informationen zur Anthroposophischen Medizin weltweit, Fachinformationen zu Pharmazie, Forschung und Ausbildung sowie Erfahrungsberichte, die das Gesamtbild abrunden. Es ist zu hoffen, dass diese Dokumentation zu einer größeren Akzeptanz dieses Ansatzes beitragen kann, was zu der im Vorwort des Buches gestellten Frage führt: Wann wird Anthroposophische Medizin offiziell von der Nationalen Ärztekammer anerkannt?