Ein Pfandring als Botschafter des Friedens

Mit dem Pfandring wird die sonst weggeworfene Flasche zum Geschenk – für die, die es wirklich brauchen. Ein alltägliches Problem wird durch einfaches additives Design überzeugend gelöst. Der Pfandring ist der Trauring für Ökologie und Soziales.

Ich sah das Schild in der Fußgängerzone von Aschaffenburg, blieb stehen und fotografierte es mit dem Handy. Jemand hatte es an einen Laternenpfahl geschraubt und darauf war zu lesen, dass man Pfandflaschen bitte in die darunter angebrachte Halterung stellen möge. Erst in der späteren Recherche erfahre ich, dass solche Pfandringe mittlerweile in einigen Städten zu finden sind. Der Hinweis gilt nicht der Ordnung wie die vielen sonstigen lustigen Sprüche auf Abfalleimern: «Bin für jeden Dreck zu haben», «Asche in mein Haupt», «Gib mir den Rest». Dieses Schild vor mir spielt in einer anderen Liga, es gilt der Empathie. Ja, das Hinweisschild appelliert an das Mitgefühl: Der Text erinnert an die Menschen, die für ihren Lebensunterhalt mit dem Arm in den Mülleimer tauchen und nach Pfandflaschen kramen, kramen müssen – nicht nur Obdachlose, längst auch Rentner und Rentnerinnen. Seit 2003 ist in Deutschland auch das Dosenpfand eingeführt worden und alle Lebensmittelgeschäfte sind verpflichtet, Leergut anzunehmen. Große Automaten übernehmen in Supermärkten den Job und drucken die Gutschrift aus, die man an der Kasse einlöst. Flaschen- und Dosensammler und -sammlerinnen kommen so auf 10 bis 20 Euro Verdienst am Tag – für manche die einzige Möglichkeit, sich etwas hinzuzuverdienen.

Der Objektdesigner Paul Ketz war vor gut zehn Jahren der Erfinder des Pfandrings. Er nennt ihn das «Brückenstück zwischen Pfandgeber und Pfandnehmer». Der Pfandring, so Ketz, sei im Interesse aller. Früher wurden manche Pfandflaschen neben die Mülleimer gestellt. Das verursacht Scherben, was die Stadthüter stört. Der Reinigungsaufwand sinkt und auch der CO2-Ausstoß durch fälschlich verbrannten Müll. Der Pfandring verringert den Müll und belässt das Glas im Recyclingkreislauf. Ketz hat mittlerweile für alle Formen von Mülleimern spezielle Pfandringe entwickelt und nennt sie ein «Kommunikationsobjekt für bewussteres Miteinander». Tatsächlich ist der Pfandring mehr als nur ein Objekt zur Müllvermeidung. Ähnlich wie die kostenlosen Bücherschränke in manchen Fußgängerzonen oder Sammelstellen für abgelaufene Lebensmittel sind sie im technischen Kleid das, was in der Natur die Blüte ist: Inspiration für die eigene Empathie. Vielleicht hat man keine Pfandflasche bei sich, um sie in den Ring zu stellen, wird aber bei anderer Gelegenheit seine eigene persönliche soziale Erfindung machen.

Der Idee treu bleiben

Längst sei die magische Schwelle von einer studentischen Guerillaaktion zum professionellen Müllvermeidungsobjekt überschritten. Es habe viel Zähigkeit gebraucht von dem Stadium, dass Zeitungen seine Idee lobten, bis schließlich Gemeinden sich entschlossen, den Ring anzuschaffen. Mittlerweile findet er sich in 140 Städten in Deutschland und den Niederlanden. Im Interview mit der Ecosign/Adademie für Gestaltung wird er philosophisch: «Wer eine gute Idee haben will, braucht viele Ideen.» Wenn man seiner Idee treu bleibt, dann geschieht etwas, «es wird runder». Dann entschuldigt sich Ketz, dass er jetzt esoterisch werden, aber man sei morgen nicht mehr der Gleiche, der man heute sei. So wandle sich auch die Idee und aus der Wiederholung entstehe Stärke. Er sucht nach Worten und fasst zusammen, dass es darauf ankomme, sich zu fragen: Wer bin ich? «Ich könnte der beste ‹Ich› sein», sagt er strahlend in die Kamera. Auf seiner Homepage zeigt er mit versteckter Kamera, wie die kleinen Wertsachen aus Glas oder Aluminium neue Besitzer und Besitzerinnen finden.

Ein Schwenk ins Große

Vor 14 Jahren zeigte der Evolutionspsychologe Steven Pinker auf seinem 1200-seitigen Werk ‹Gewalt – eine neue Geschichte der Menschheit› in einer beeindruckenden Quellenstudie und Fülle an Erzählungen, dass das menschliche Zusammenleben im Laufe seiner Entwicklung friedlicher und gewaltärmer wurde. Wenn heute täglich von Tod und Verletzung zu lesen und zu sehen ist, dann liegt das daran, dass selbst die Gewalttat im fernsten Winkel der Erde ihren Weg auf die TV-Mattscheiben der Wohnzimmer findet, und nicht an einer generellen Zunahme von Gewalt. Drei Etappen macht Pinker zu einer friedlicheren Gesellschaft aus, drei Schritte, die die Verlockung zur Gewalt mit Raub, Macht, Rache und Ideologie gesellschaftlich überwinden. Zuerst war es die neolithische Revolution, der Wechsel von der Nomadenkultur zur Acker- und Stadtkultur. Zählte bei den nomadischen Gruppen das Recht des Stärkeren und starben 10 Prozent eines gewaltsamen Todes, senkte die Sesshaftigkeit, die Geburt des Staates es auf 1 Prozent. Als vor 500 Jahren in Europa aus den 5000 Grafschaften und Kleinstaaten nur noch 50 Staaten wurden, gab es weniger blutige Konflikte. Wohlstand durch Handel war attraktiver als Krieg. Als dritten Schritt nennt Pinker den Humanismus. Mit dem Buchdruck stieg die Bildung, mit dem Westfälischen Frieden 1648 nach dem 30 Jahre wütenden Religionskrieg wuchs aus diesem hohen Blutzoll das Verständnis für religiöse Minderheiten. Vom 8. Mai 1945 bis zum 15. Mai 1984 folgte nach dem Römischen Reich die längste kriegsfreie Zeit in Europa. So wie man eine nicht rassistische Haltung von einer antirassistischen Haltung unterscheidet, so sind Abwesenheit von Krieg und Frieden etwas anderes. Die scheinbar kleinen Gesten, von der Rollstuhlrampe über die Markierungen für Blinde auf Bahnhöfen bis zu den Pfandringen an Mülleimern, sind Botschafter des Friedens. Das ist nicht ein verordneter Frieden, durch Gesetz und Bürgerlichkeit, sondern ein Frieden, der das Gemüt jedes einzelnen Menschen anspricht. Vielleicht werden die Kriege des 21. Jahrhunderts nicht mehr durch die Ablehnung von Gewalt überwunden, sondern aus der Sehnsucht nach diesem im Einzelnen gestifteten Frieden.


Foto Wolfgang Held

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