Das Abendmahl zeigt, dass Essen die Mitte christlicher Gemeinschaftsbildung bedeutet. Wir haben einander nötig, um uns zu entwickeln – Gemeinschaft wird dabei zum Gefäß, zum Leib christlicher Erfahrung und Wirklichkeit.
Feier des Lebens und der Gemeinschaft im Mahl
Das Essen der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen war eingebettet in die Verantwortung des Menschen für den Paradiesgarten und die Erlaubnis des Essens von allen übrigen Bäumen: «Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewahre. Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du nach Belieben essen.» (1. Mose 2,15–16) So fand sich das menschliche Urpaar als die erste Tischgemeinschaft, empfing aber durch das Essen gegen das göttliche Gebot auf tragische Weise zur Gemeinschaft des Lebens hinzu die Gemeinschaft in der Sterblichkeit. Damit sind zwei sehr unterschiedliche Dimensionen des gemeinschaftlichen Mahls bezeichnet, die auch die jüdisch-christliche Geschichte des heiligen Mahls bestimmt haben. Unser Leib kann nicht aus sich heraus bestehen, sondern bedarf zur Erhaltung seines Lebens der irdischen Nahrung. Wie unser Bezug zum Umkreis uns bereits in Sinneswahrnehmung und Atmung als ‹offenes System› kennzeichnet, so sind wir auch durch die Ernährung ‹auf Leben und Tod› der Welt ausgesetzt und zugleich mit ihr und unseren Mitmenschen verbunden. Die religiöse Sicht auf das Mahl anerkennt und segnet die damit verbundene Notwendigkeit, sie zielt aber auf den Bereich jenseits der Erhaltungsökonomie, um darin die Erneuerung von Leben und Gemeinschaft zu feiern.
Die Nähe des Todes und seine Abwehr spielen im Ursprung des jüdischen Passahmahls eine gewichtige Rolle, indem die Türpfosten des Hauses jeder Tischgemeinschaft mit dem Blut vom Opferlamm zu bestreichen waren, womit dem Todesengel das Zeichen zum Vorübergehen gegeben war. Beim Mahl am Vorabend des Auszugs aus Ägypten ging es aber in erster Linie um die Verheißung und Bekräftigung der künftigen Gemeinschaft der Israeliten als Gottesvolk im Gelobten Land. Auch die Stiftung der christlichen Abendmahlsfeier verbindet vor diesem Hintergrund Tod und Leben: Christus verabschiedet sich am Gründonnerstagabend, indem er auf seinen Erdentod blickt und diesen Augenblick mit der Verheißung seines Gegenwärtigwerdens im Zeichen des heiligen Mahles von Brot und Wein verbindet. Er selbst gibt sich als Opfer hin, aus dem sich lebendige Gemeinschaft mit ihm und unter den Feiernden bildet, indem sie mit dem Brot zugleich seinen Leib und mit dem Wein sein Blut aufnehmen. Wo immer wir dieses Zeichen begehen, suchen wir die Gemeinschaft mit dem Todüberwinder und empfangen nicht Sterbliches als Sterbliche, sondern das Leben aus der Auferstehung Christi: «Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt …» (Joh 11,25)
Tod und Leben lassen sich beide zusammen als Teil eines umfassenderen Vorgangs erkennen, der dem Lebendigen zu einer gänzlich anderen Qualität verhelfen kann. Der Weg vom Leben in den Tod zu einem Leben aus dem Tod verläuft nicht linear, sondern weist auf die Verwandlung des Lebens durch den Tod und des Todes durch das Leben. Es ist nicht das alte Leben, in das wir mit der Auferstehung zurückgerufen werden, sondern ein neues, das die Ökonomie von Raum und Zeit sprengen wird. In der Sprache des Evangeliums ist hier vom ewigen Leben die Rede: «… und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben.» (Joh 11,26)1
Nicht getrennt, sondern vereint
Im zentralen christlichen Sakrament des Abendmahls soll kein einmaliger Augenblick des Lebens geheiligt werden, sondern immer wieder neu der alltägliche Moment des Essens. Christus wählt nicht besondere Früchte als Träger seiner Vergegenwärtigung, sondern alltägliche Nahrungsmittel «von jedem Baum». Die Naturnotwendigkeit der Ernährung wird umgewendet in den Lebensvorgang der neuen Gegenwart des Schöpfergottes in seiner Schöpfung. Was am Ende des göttlich-menschlichen Paradiesesdramas getrennt wurde, soll durch die Zeichentat des Abendmahls im Zusammenwirken von Mensch und Gott wieder miteinander vereint werden.
Im christlichen Sakrament des Abendmahls soll kein einmaliger Augenblick des Lebens geheiligt werden, sondern immer wieder neu der alltägliche Moment des Essens.
Die Frage nach dem Verständnis der Transsubstantiation stellt eine Herausforderung an jeden Menschen dar, der das Wunder der Heiligung nicht einfach hinnehmen kann oder will, sondern verstehen will.2 Nicht die Frage ist von Belang, ob das, was wir zu uns nehmen, Brot oder der Leib Christi, ob es Wein oder das Blut Christi ist, sondern ob wir einen Weg finden, uns jeweils beides in einer vollkommenen Vereinigung zu denken: Kann das Alltägliche wundervoll, Profanes zugleich heilig, das Göttliche menschlich sein bzw. werden? Lässt sich diese Frage bejahen, wird sich unser Christentum als Ganzes aus der Sonderstellung herausbewegen lassen, in die es in manchen Phasen der Kulturgeschichte geraten ist.
Gemeinschaft als Leib des Auferstandenen
Diesem Denkansatz entspricht eine Form der Gemeinschaftsbildung, die Paulus im Bild von der Gemeinde als Leib Christi ausspricht: «Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied an ihm.» (1. Kor 12,27) Daraus ergibt sich, dass die Gemeinschaft im Namen Christi nicht durch die Addition gleichförmiger Einheiten entsteht, sondern dass sie als organischer Zusammenhang vielfältiger und aufeinander bezogener Glieder wächst und lebt. Paradox: Erlebt sich die Tischgemeinschaft des Abendmahls zunächst als eine tätige, indem sie Leib und Blut des Auferstandenen zu sich nimmt, so wird sie in anderer Sicht gerade durch dieses ‹Essen› vonseiten des Auferstandenen aufgenommen und in den Lebenszusammenhang seines Leibes eingegliedert. Diese gegenläufige Dynamik der christlichen Gemeinschaftsbildung kann zu Initiativen ermutigen, auch das alltägliche Leben und jede Art menschlicher Begegnung im Sinne eines Speisungsereignisses zum Keim weiterer Verwandlung werden zu lassen.
Gekürzte Fassung eines Artikels in ‹Die Christengemeinschaft› 6/2020.