Aus den Wirkungsbereichen von Wolfgang Schad (1935–2022) in Pforzheim, Stuttgart und Witten ist in den vergangenen Monaten manches berichtet worden. Weniger bekannt ist, dass er seit 2004 regelmäßig in Sekem tätig war und dort Funde für ein Museum zur Urgeschichte des Menschen zusammengetragen hat. Wolfgang Schad sah Dinge, die andere nicht sahen. Nicht weil andere Menschen sie nicht hätten sehen können. Aber den meisten unserer Mitmenschen fehlt der Blick, den Wolfgang Schad sich selbst geschult hatte und mit dem er eben – wie kaum ein anderer – in die Welt schaute.
Ein Beispiel hierfür ist seine langjährige Forschungstätigkeit auf der Sekem-Farm in Unterägypten. Mit deren Gründer Ibrahim Abouleish (1937–2017) verband ihn eine tiefe Seelenverwandtschaft, und das schon lange Zeit, bevor Wolfgang Schad Sekem zum ersten Mal besuchte. Nach zahlreichen Einladungen, die er immer wieder verschieben musste, fuhr er erstmals im März 2004 nach Sekem. Bereits am zweiten Tag seines Besuches sah er das, was kein Mensch vor ihm auf der damals seit 27 Jahren existierenden Farm gesehen hatte. Direkt am Wegesrand lag es, achtlos aus dem Acker geworfen, wo es nur störte: ein vor Urzeiten vom Menschen beschlagenes Steinartefakt. Und es blieb kein Einzelfund, sondern reihte sich ein in einen hochinteressanten Fundkontext, der von diesem Tag an begann, seine Geschichte zu erzählen. Die Geschichte dieser alten Steine ist auch unsere Geschichte – es ist die Geschichte der Menschheit.
Am dritten Tag dieses ersten Besuches fuhr man abends, zur Stunde des Sonnenuntergangs, in die sieben Kilometer entfernte Adleya-Wüste. Kaum aus dem Wagen gestiegen, entdeckte er zahlreiche schwarze Keramikscherben, die sich zu einer fast vollständigen Schale mit Standfuß zusammenfügen ließen. Inmitten dieser Scherben aber lag – wie für ihn vorbereitet – eine acht Zentimeter lange, sorgfältig aus Feuerstein geschlagene Lorbeerblattspitze aus der Jungsteinzeit (und damit um Jahrhunderttausende jünger als die Sekem-Funde des Vortages). Wie sich herausstellte, war dies für das Gebiet ein sehr seltener Einzelfund. Beide Objekte konnten später auf vermutlich die gleiche Zeittiefe datiert werden. Diese liegt etwa bei 5500 Jahren v. Chr. und damit bei 7500 Jahren vor heute – früheste Keramikperiode in der Nordsahara und demnach um 2500 Jahre älter als der Beginn der ägyptischen Pharaonenkultur.
Wenige Tage später schlug Wolfgang Schad Ibrahim Abouleish vor, ein Museum direkt bei den Fundfeldern einzurichten. Dieser griff das sofort großzügig auf und ließ die ersten Vitrinen in der Berufsschule der Sekem-Schreinerei und -Glaserei herstellen. Es war die Geburtsstunde des Sekem-Museums für Urgeschichte des Menschen und Naturgeschichte Ägyptens. Von 2004 bis 2017 folgten daraufhin zwölf weitere Besuche von Wolfgang Schad in Sekem, unterstützt durch zahlreiche helfende Begleiter. Allein auf dem Farmgelände konnten mittlerweile über 1000 beschlagene Artefakte gefunden werden, auf Exkursionen in die Wüste kam noch ein Vielfaches dieser Anzahl dazu – bis hin zum ideal geschlagenen Faustkeil. Das Museum besteht heute aus 28 Vitrinen, die die Besucherinnen und Besucher in zwei separaten Räumen erwarten. Eine begleitende Broschüre hat Wolfgang Schad leider nicht mehr in Händen halten können, sie ist erst im Februar 2023 fertig geworden.
Auch die Forschungstätigkeiten rund um die Funde von der Sekem-Farm sind noch nicht abgeschlossen, denn es handelt sich hierbei um ziemlich komplizierte Zusammenhänge. Mittlerweile wurden die Fundstücke jedoch auch von Experten der Universität Basel begutachtet, die sie bis auf ein Alter von 1,5 bis 1,8 Millionen Jahren einschätzen – und damit den von Wolfgang Schad vermuteten Zusammenhang ausdrücklich bestätigen. Die heutige Sekem-Farm in Unterägypten liegt in dem Gebiet, in dem die frühesten Urmenschen der Art ‹Homo erectus› vor gut zwei Millionen Jahren auf ihren weiten Wanderzügen den afrikanischen Kontinent verließen, um die übrige Welt zu besiedeln und zu entdecken. Die Spuren dieser ersten großen Wanderbewegungen der Menschheit sind noch heute in Unterägypten zu finden. Aber dort hatte sie zuvor noch niemand gesehen. Wolfgang Schad hat sie gesehen.
Herr Schad hat die Welt so wunderbar erlebt fur uns alle!