In Friedensverhandlungen willigen die Konfliktparteien ein, wenn sie sich davon mehr Vorteile als von einem Fortgang des Gefechtes versprechen. Die großen Mächte, die jeweils hinter der Ukraine und Russland stehen, könnten ein solches Versprechen geben. Die Bedingung scheint zu sein, dass sich dann diese Mächte auch Frieden schenken müssen.
Wie der Krieg in der Ukraine enden könnte, das beschrieb im Februar Friedrich Glasl im ‹Goetheanum› 8/2023. Man müsse, so riet der Friedensforscher, Windows of Opportunity nutzen. Am Beispiel der Verhandlungen zur Getreidelieferung zeigte er, dass sich für kurze Zeit Fenster für die Friedensverhandlungen öffnen würden. Um das Bild weiterzuführen, frage ich, ob es auch Türen zum Frieden gibt, Doors of Oportunity. Worin liegt der Unterschied? Bei Fenstern sieht man hinaus, bei einer Tür nicht, die muss man erst aufstoßen, damit sie den Blick freigibt.
Aktuell scheint kein Weg zu Friedensgesprächen zu führen. Der Krieg folgt der Logik, die Herfried Münkler, Historiker und Kriegsforscher, beschreibt. Demnach gehört zur Dynamik von Konflikten, dass Friedensverhandlungen in den ersten Wochen möglich seien, dann würden die Parteien um die günstigste Verhandlungsposition kämpfen, was Friedensgespräche ummöglich mache. Da keine der beiden Kampfparteien in näherer Zukunft besiegt werden könne, scheint der Angriffskrieg auf einen Erschöpungs- oder Zermürbungskrieg hinauszulaufen. Erst wenn die Reserven erschöpft sind und die Kampfkraft erlahmt, bestehe Aussicht auf Friedensverhandlungen, so Münkler. So ist die kühle Logik des Schlachtens.
Von solcher Erschöpfung scheinen beide Parteien noch entfernt zu sein. In Russland liegt die Zustimmung für Präsident Putin in der Bevölkerung unverändert bei 80 Prozent. Selbst wenn diese Zahlen geschönt sind, so hat der Präsident sicher die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich und es gelingt weiterhin, die Zahlen der gefallenen Soldaten bedeckt zu halten. Gleichwohl scheint die Einheit Risse zu bekommen. Der Historiker und Journalist Mirko Drotschmann zitiert dazu einen Blogeintrag von Jewgeni Prigoschin vom 16. April 2023: «Für die Staatsmacht und für die Gesellschaft ist es heute notwendig, irgendeinen dicken Punkt hinter die militärische Spezialoperation zu setzen. […] Die ideale Variante wäre, das Ende der militärischen Spezialoperation zu verkünden und zu erklären, dass Russland alle seine geplanten Ziele erreicht hat.» Ein solcher Vorschlag zeigt, dass Russland politisch nicht so einheitlich ist, wie es erscheint. Dafür spricht auch der offene Konflikt zwischen Verteidigungsministerium und Söldnerarmee.
Russland hat kein Kriegsziel ausgegeben
Für Friedensverhandlungen ist wichtig, dass keine der Kriegsparteien ihr Gesicht verliert, weil sie sonst innenpolitisch keine Rückendeckung für den Kompromiss bekommt. Drotschmann betont nun in einem Videokommentar, dass der russische Präsident Putin bisher keine genauen Kriegsziele formuliert hätte. Zwar hat er die Invasion allgemein begründet, wie mit dem absurden Motiv auf eine Entnazifizierung der Ukraine, aber es wurden keine Gebiete genannt bis auf den Donbass und die Krim, die Putin als russisches Gebiet erklärt hat. Den Status quo nun als Friendensoption zu betrachten, kommt jedoch für die ukrainische Bevölkerung nicht infrage, da das einer Kapitulation gleichkommen würde. Das geht aus einer Umfrage anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023 hervor (Munich Security Report). Demnach würden 90 Prozent der ukrainischen Bevölkerung selbst im Falle eines russischen Nuklearschlages nicht kapitulieren wollen. Der ukrainische Präsident Selenski schrieb am 7. April auf Twitter, dass die Befreiung der Krim alternativlos für einen Frieden sei. Aus diesem Grund scheint nicht denkbar, einen Friedensplan darin zu sehen, Russland die annektierten Gebiete zuzuschreiben. Außerdem würde dies Russlands Bruch des Völkerrechts legitimieren. Ein Kompromiss würde wohl darin bestehen, dass Russland einen Teil der annektierten Gebiete freigibt und die Ukraine somit auf einen Teil ihres Staatsgebietes verzichten müsste. Die strittigen Gebiete könnten als staatenfreie UN-Zone verwaltet werden. Doch wie können beide Parteien zu solchem Aderlass gebracht werden?
Stephen M. Walt, Professor für internationale Beziehungen an der Havard University, hat dazu in der US-Zeitschrift ‹Foreign Policy› vom 18. April einen interessanten Vorschlag entwickelt. Er vermutet, dass die US-Regierung keinen nahen ukrainischen Sieg erwartet, sondern die ukrainischen Streitkräfte höchstens einen solchen Vorteil sich erkämpfen, dass Putin zu Friedensverhandlungen bereit wäre. Ebenso wahrscheinlich ist ein langer Zermürbungskrieg mit vielen weiteren Opfern.
Was China versprechen könnte
Nun hofften seit Kriegsausbruch viele, dass China als dominierender Partner Russland zu Friedensverhandlungen drängt. Das sei bisher nicht geschehen, weil China so von günstigem Öl und Gas aus Russland profitiert und durchaus begrüßt, wenn die USA in ihren Kräften hier gebunden sind und dem pazifischen Raum weniger Aufmerksamkeit schenken. Gleichwohl, so argumentiert Walt, wünsche sich China ein Ende des Krieges, weil er den Handel Chinas zur EU belaste. Was wäre, so fragt Walt, wenn China nach seiner erfolgreichen Vermittlung zwischen Iran und Saudi-Arabien nun auf Russland so einwirkt, dass Friedensverhandlungen möglich werden? Dann wäre in den Augen der Weltöffentlichkeit China der Friedensbringer und die USA wären Kriegstreiber.
Dieses recht unwahrscheinliche Szenario bringt Walt zu dem Vorschlag, China und die USA sollten ihre jeweilige Freundschaft zu Russland und Ukraine geltend machen, um so die beiden Länder an den Verhandlungstisch zu bringen. Dabei könnten die USA Wirtschaftshilfen anbieten und sich für eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU starkmachen. China könnte Russland den Kauf von Rohstoffen und den Verkauf von Hochtechnologie zusichern. China könnte mit seiner Spitzentechnologie Russland dabei unterstützen, um im digitalen Zeitalter anzukommen. Mit einer Mischung aus Drohung und Versprechen könnten die beiden Großmächte die Kriegsparteien an den Verhandlungstisch bringen. Ein solches von China und den USA vermitteltes Abkommen wäre stabil, weil Moskau und Kiew sich nicht mit ihren mächtigen Freunden anlegen wollen. Walt führt historische Beispiele an: So hätten die USA mit der Sowjetunion den Sechstagekrieg 1967 zwischen Israel und Ägypten über eine UN-Resolution gemeinsam beendet. Dazu mussten sie ihre Verbündeten zum Frieden drängen.
Ein Frieden der Großen
Die USA würden mit China an einer gemeinsamen Friedensinitiative arbeiten und jeweils Russland und die Ukraine dazu drängen und locken, in diese Friedensverhandlungen einzusteigen. Was für eine Option! Schlussendlich würde dieser Weg auch den Dissens zwischen den USA und China verkleinern. Recht unwahrscheinlich ist solch eine Lösung, aber sie verspricht viel, denn es wäre ein doppelter Frieden: zwischen der Ukraine und Russland und auch zwischen China und den USA.
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Da ist es wieder dieses Geraune von den „großen Mächte(n), die jeweils hinter der Ukraine und Russland stehen“!! Bitte Namen nennen, aber dann würde man sich ja womöglich offenbaren müssen! Soll Putin für seinen Angriffskrieg mit Landgewinn belohnt werden oder nicht? Wie soll der Frieden für die Ukraine militärisch gesichert werden? Vertragsverpflichtungen reichen nicht aus; die territoriale Unverletzlichkeit hatte Putin feierlich versprochen, unterzeichnet. Also bitte keine Verschwörungsszenarien und Luftschlösser. Neu ist diese Ausrichtung am Goetheanum allerdings nicht, da bleiben sich die Damen und Herren treu.
Danke herr Herold, genau das!
Die Namen der großen Mächte sind im Artikel klar benannt! Hier nochmals: USA und China.
Wenn es wirklich so ist, dass 80% der russischen Bevölkerung auch 15 Monate nach dem Krieg hinter Putin stehen, wird es interessant sein, zu erfahren, wie die russische Bevölkerung den Krieg irgendwann verarbeiten wird. Die zu erwartende Aussage „Das haben wir nicht gewusst“ wird, trotz staatlicher Zensur, im Zeitalter von social media, FB und Telegram, nicht glaubwürdig sein.
Ansonsten sehe ich es auch so, dass China mit seinem großen Einfluss auf Russland, seine Macht tendenziell dafür nützen könnte, Putin zu Friedensverhandlungen zu drängen. Ich nehme aber eher an, dass das nicht passieren wird (hätten die ja längst machen können). Es wird auch in der nächsten Zeit ziemlich sicher keinen „Frieden“ geben, bestenfalls einen fragilen Waffenstillstand. Die Ukraine ist daher gut beraten, wenn sie sich mit europäischer und US-Hilfe, auch nach einem Waffenstillstand/Frieden massiv aufrüstet.
Man darf auch an dieser Stelle die Frage aufwerfen, was eigentlich mit den z.Zt. etwa 16.000 (!) von Russland verschleppten ukrainischen Kindern geschehen soll. All diejenigen, die heute noch eine Art Verständnis für die russische Position entwickeln, würde ich empfehlen, sich das unermessliche Leid vorzustellen, wenn auch nur EIN Kind, welches man vielleicht kennt, liebt oder sein eigen nennt, entführt worden ist.
Aufruestung und Waffen fuer den Frieden?!? Verschleppte Kinder? Wie kann man nur auf solche Ukraine und msm propaganda hereinfallen ?!
So einfach ist es leider nicht auf dieser Welt!
Da Sie mit keinem Wort Taiwan erwähnen, muss man davon ausgehen, dass Sie bereit wären, einen anderen Krieg in Kauf zu nehmen oder die Freiheit der Menschen in Taiwan zu opfern?!
Ich verstehe ja dass es nicht einfach ist woechentliche artikel einzubringen. In einer serieusen Zeitschrift sollte mann aber das Thema gut recherchieren ansonsten laesst mann besser die Finger davon anstatt main stream media darstellungen einzubringen. Man findet genuegend alternative sichtweisen zur msm, im deutschen sprachraum zb Daniele Ganser, aber in Dornach ist man aengstich bemueht sich von nicht konformen ansichten zu distanzieren. Der Ukraine Krieg ist stellvertretend fuer den eigentlichen Krieg der US Imperiums gegen Russland, siehe zb Brezinzky’s „The Grand Chessbord“ wobei er die Ukraine als eingangstor darstellt um Russland zu kontrolieren.