«Dieser Blick hatte mich etwas gefragt»

Der Filmregisseur Ludwig Berger

Marginalien zu Rudolf Steiners Leben und Werk Nr. 23 – In peripheren Begegnungen, nur einmal direkt, kreiste Ludwig Berger um Rudolf Steiner. Vor allem seine mit Emil Bock erarbeiteten Bibelkommentare waren für Berger ein Tor zur Geisteswissenschaft.


Ludwig Berger (ursprünglich: Bamberger) wurde am 6. Januar 1892 in eine musikalische Mainzer Familie hineingeboren. Die Mutter Anna Klara war Pianistin, Vater Franz zwar von Beruf Bankier, aber sein ganzes Herz gehörte der Musik. Er bestimmte, welche Instrumente seine drei Söhne lernen mussten, damit möglichst ein Quartett in der Familie zustanden kam. Ludwig bekam das Cello zugewiesen.

In diesen Nächten hat mir Rudolf Steiner die Bibel neu aufgeschlossen.

1910 begann er in München Kunstgeschichte und Germanistik zu studieren. 1911 besuchte er dort eine Aufführung von Wedekinds ‹König Nicolo› und erlebte dabei etwas Eigentümliches: «Im Foyer des Schauspielhauses, während der Pause […], begegnete ich einem Gesicht, das nur aus Auge zu bestehen schien. – Von Stück und Spiel gleich beeindruckt, promenierten zwei Jünglinge, mein Freund Hans Carl […] und ich, als plötzlich ein Blick auf mich traf. Ich wartete, bis wir am anderen Ende des Ganges waren, ehe ich Hans zu fragen wagte: ‹Wer war das?› ‹Rudolf Steiner!› Er sagte nichts weiter, und ich fragte nichts weiter. Gab es noch Namen mit Magie? Ich fühlte sehr deutlich, dieser Blick hatte mich etwas gefragt, was mich beunruhigte.» (S. 54)1

Kurz danach gingen zwei Bekannte aus der Münchner Pension, in der Ludwig Berger sein Zimmer hatte, in einen Vortrag und überlegten, ihn mitzunehmen, entschieden sich aber dagegen. «Ich fragte am nächsten Tag, wo sie gestern gewesen seien. ‹Bei Rudolf Steiner […]›» Aus den seltsamen Bruchstücken, die Berger aus dem Vortrag zu hören bekam, konnte er sich nichts zusammenreimen und schwieg «aus Unbildung stille». Im Rückblick notierte er: «Damals geisterte ich in der Nähe dieses großen Mahners herum, der wie ein Rosenkreuzer durch das Dunkel der Zeit ging. Aber wer wäre mit einem so großzügigen Kreditbrief, wie ihn mein Vater mir mitgab, wohl je auf den Gedanken gekommen, jenes winzige Nadelöhr zu suchen, das erst die Not dem Auge sichtbar macht?» (S. 55)

Berger übersiedelte zum Weiterstudium nach Heidelberg und machte dort die nähere Bekanntschaft Max Webers, der ihn tief beeindruckte. Ein Quartettpartner nahm ihn eines Tages zum Musizieren mit auf das nahegelegene Stift Neuburg, zu Alexander von Bernus. Er wurde ermahnt, dass dort eine Dame in Trauer sei, die man nicht ansprechen solle – er erfuhr, dass es sich um Marie von Sivers handelte.2

1914 promovierte Ludwig Berger mit einer Arbeit über den Maler Seekatz. Über merkwürdige Umwege kam er jedoch zum Theater und durfte 1916 Mozarts ‹Gärtnerin aus Liebe› am Stadttheater Mainz inszenieren. Der Autodidakt hatte so guten Erfolg, dass er weitere Aufträge erhielt und zunächst nach Hamburg ging.

Bild: Porträt von Ludwig Berger, gemalt von Max Beckmann

Friedrich Kayßler, der Lebensfreund Christian Morgensterns, rief ihn dann nach Berlin. «Er gab mir Gedichte von Morgenstern zu lesen. Ich fand sie schön. ‹Weiter nichts?› Kayßler sah mir forschend ins Gesicht.» (S. 105) Doch Berger war damals übervoll mit Shakespeare, dessen ‹Maß für Maß› er gerade neu übersetzte. Es trat eine Entfremdung von Kayßler ein und Berger ging zu Max Reinhardt, der ihm einen Vertrag mit sagenhaften Bedingungen gab. Nach einigen Inszenierungen dort wurde er schließlich gefragt, ob er nicht einmal einen Film drehen wolle. 1920 gab er sein Debüt – so gelungen, dass er in den nächsten Jahren hochkarätig besetzte und erfolgreiche Filme drehen konnte. Sein vier Jahre älterer Bruder Rudolf realisierte als Architekt die Filmbauten (er wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und starb dort kurz vor der Befreiung unter ungeklärten Umständen). In dieser Berliner Zeit stürmte im Jahr 1922 eines Tages ein Freund ins Zimmer und berichtete aufgeregt, dass Friedrich Rit­telmeyer heute seiner Berliner Gemeinde ‹Lebewohl› gesagt habe, weil er sich zu der «Geisteswissenschaft Rudolf Steiners, die den Bibeltext neu auslegte und im engen Zusammenhang mit der uralten Mysterienwelt erklärte», bekannte. Von dem Freund ging eine so starke Wirkung aus, «dass wir die Arbeit liegen ließen. Das Theater war ein faszinierender Beruf, der uns die Welt ringsum vergessen ließ, aber es erschreckte mich auch, dass wir versäumten, Zeuge neuer geistiger Bewegungen zu sein.» (S. 143 f.)

Bibel in Bombennächten

Bald wurde Hollywood auf Berger aufmerksam, und er drehte für Paramount einige Filme, u. a. mit Pola Negri und Gary Cooper. Wieder in Deutschland, entstanden einige seiner bekanntesten Filme, unter anderem 1933 ‹Der Walzerkrieg› mit Renate Müller und Willy Fritsch. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste er als Jude emigrieren. Nach Aufenthalten in den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien, wo er auch immer wieder Filme drehen konnte, ließ er sich 1938 mit seiner erblindeten Mutter in Amsterdam nieder. Dort lernte er den Maler Max Beckmann kennen, der ein Porträt von ihm anfertigte.

Als Amsterdam schon bombardiert wurde, gab ihm ein Untermieter im Haus «Bücher zu lesen, die mir die Bombennächte des Krieges zu wahren Schatzgräberzeiten machten», da sie ihm viele Rätsel der Kindheit lösten: «Fast wurde ich froh, wenn das Gedonner in der Dunkelheit begann. Dann war wenig Gefahr, dass man einschlief und man gewann kostbare Stunden für die Erkenntnis. Alles, was mich als Kind im Religionsunterricht gestoßen und geschmerzt hatte, verklärte sich nun, während draußen die Scheinwerferstrahlen vorüberstrichen, zu kristallener Klarheit […].» (S. 363)

Es waren die ‹Beiträge zur Geistesgeschichte der Menschheit› von Emil Bock, die er las: «Hinter dem Namen Emil Bock erhob sich der andere, wichtige, erste: Rudolf Steiner. […] In diesen Nächten hat mir Rudolf Steiner die Bibel neu aufgeschlossen.» (S. 365)

Später, nach dem Krieg, kam es zu einer langjährigen Korrespondenz zwischen Ludwig Berger und Emil Bock3, auch trafen sich beide einige Male persönlich. Berger wirkte in Deutschland ab 1947 wieder als Theater-, Film- und Hörspielregisseur und gehörte zu den Pionieren des deutschen Fernsehens. Gelegentlich spielte er in Filmen in kleinen Rollen selbst mit. Aber er war auch als Schriftsteller tätig und leitete die Abteilung Darstellende Kunst an der Akademie der Künste in Westberlin. Er erhielt für sein Schaffen zahlreiche Auszeichnungen.

Über Ludwig Berger kam dann auch der enge Freund von Franz Werfel, der Publizist Willy Haas (1891–1973), zumindest in die Nähe der Anthroposophie. Haas hatte als Jugendlicher Rudolf Steiner über seine verehrte Tante Hedwig Bergmann in Berlin kennengelernt.4 Als er sich später mit Berger darüber austauschte, verhehlte er nicht den «katastrophalen Eindruck», den Rudolf Steiners Person, «sein gesprochenes Wort und später auch seine Dichtungen auf mich gemacht hatten. Ludwig Berger gab die zuweilen ungünstige persönliche Erscheinung Steiners zu. Er riet mir, einstweilen die esoterischen Schriften überhaupt nicht zu lesen, sondern vorerst die Bibelkommentare seines vertrautesten und klügsten Anhängers, des Liz. Emil Bock. Berger schenkte mir auch gleich drei Bände, und ich las nun wirklich mit brennendem Interesse diese geistvollen Bibelinterpretationen. So kann Caliban5 vielleicht sagen, dass er schließlich doch noch den Weg in Steiners Nähe gefunden hat, wenn auch nicht ganz zu ihm.»6


Bild Ludwig Berger mit Emil Jannings in dem Film ‹Die Sünden der Väter› (aus: Mein Film, Heft 152/1928, S. 4.)

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Footnotes

  1. Soweit nicht anders angegeben, stammen alle Zitate aus Ludwig Bergers Autobiografie ‹Wir sind vom gleichen Stoff, aus dem die Träume sind. Summe eines Lebens›. Tübingen 1953.
  2. Berger schreibt, sie sei in Trauer um ihre Schwester gewesen; doch 1912 war sie wohl eher in Trauer um ihre Mutter, die im Sommer 1912 gestorben war.
  3. Siehe Emil Bock, Briefe. Stuttgart 1968, S. 360–374.
  4. 1925, als Haas zusammen mit Ernst Rowohlt seine Zeitschrift ‹Die Literarische Welt› gründete, schrieb er am 26. März Rudolf Steiner an und bat ihn «ergebenst» um seine Mitarbeit: «Ich muss Ihnen nicht ausdrücklich sagen, wie wichtig es mir ist, gerade in einer Revue, die sich bemühen wird, die lebendigsten und tiefsten Köpfe Deutschlands […] zu vereinen, unter den ersten Sie zu Ihrem Worte kommen zu lassen. Am schönsten wäre es, wenn das nicht zufällig und sporadisch geschähe, sondern wenn Sie sich entschliessen könnten, uns dauernd über die wichtigsten publizistischen Ereignisse in der anthroposophischen Literatur zu berichten; obwohl es mir fern liegt, Ihnen irgend eine stoffliche oder ästhetische Beschränkung aufzuerlegen, würde ich Sie höflichst bitten, es in möglichst populärer Form zu tun, da unsere Revue, die im Zeitungsformat und in einer sehr grossen Auflagenhöhe erscheint, ihrem Ziel nach die bedeutendsten geistigen Probleme und Persönlichkeiten der Zeit einem grossen Publikum nahebringen will. – Nicht weniger wichtig wäre es mir, ständig Berichte über die Eurhythmie von Frau Dr. Steiner zu erhalten.» (RSA)
  5. Willy Haas’ publizistisches Pseudonym nach der Shakespeare-Figur aus dem ‹Sturm›.
  6. Zitiert nach Wolfgang Vögele (Hrsg.), Der andere Rudolf Steiner. Dornach 2005, S. 179.

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