Die Sortimentsreduktion von Weleda und Wala 2022 und ihre Hintergründe

Das Jahr 2022 hat starke Einschnitte in das Arzneimittelsortiment von Weleda und Wala gebracht. Warum dieser Schritt notwendig ist und warum die Forschung anthroposophischer Heilmittel für den Erhalt wichtig ist, erläutert Georg Soldner.


Zählt man alle Potenzen der einzelnen Präparate mit, hat Wala im Sommer 2022 60 Prozent seiner Fertigarzneimittel gestrichen (die bisher 2 Prozent des Arzneimittelumsatzes ausmachten). Gleichzeitig wurden die Preise gerade bei den teuer herzustellenden Ampullen stark erhöht. Bei Weleda verlief ein ähnlicher Anpassungsprozess in den letzten Jahren über mehrere Stufen, sowohl was die Sortimentsreduktion wie auch die Erhöhung der Arzneimittelpreise betrifft. Zum 1.1.2023 wird das Sortiment an Fertigarzneimitteln für Deutschland und die Schweiz nochmals deutlich eingeschränkt: Neben der Streichung von rund 17 Prozent der Fertigarzneimittel – wiederum jede Potenzstufe eines Präparates einzeln gerechnet – werden künftig rund 25 Prozent der ehemals als Fertigarzneimittel lieferbaren Arzneimittel ‹magistral› verfügbar sein. Das bedeutet, dass sie in sogenannten Herstellapotheken in Deutschland und der Schweiz auf Anforderung/Rezeptur hergestellt und damit für Arzt und Patient weiter verfügbar bleiben, aber nicht mehr als Fertigarzneimittel auf dem Markt (und damit z. B. auch nicht für anthroposophische Kliniken verfügbar) sind. Diese Herstellungsform eignet sich für kleinere Chargen – unter 1000 Packungen pro Jahr – und reduziert deutlich den analytischen und administrativen Aufwand, der bei Arzneimitteln inzwischen einen hohen Anteil des Gesamtaufwandes ausmacht. Sie eignet sich aber auch dafür, anthroposophische Arzneimittel in Länder einzuführen, in denen die anthroposophische Pharmazie bisher noch nicht bekannt ist und noch keine Zulassungen für Fertigarzneimittel bestehen. Ein Mischsystem von Fertigarzneimitteln und magistral hergestellten Arzneimitteln (darunter auch Ampullen) hat sich außerhalb der deutschsprachigen Länder z. B. in Italien und Brasilien etabliert. Für die eigenständige rechtliche Anerkennung einer Therapierichtung relevant sind allerdings nur industriell hergestellte Arzneimittel. Nur diese verfügen über eine Registrierung ohne oder eine Zulassung mit Indikation, die erlaubt, sie allgemein in Verkehr und über den Pharmagroßhandel/Apotheken national und auch international (internationale Apotheken und Online-Apotheken, die auch Patienten aus anderen Ländern beliefern können) zu vertreiben. Und nur mit solchen Fertigarzneimitteln kann man klinische Studien durchführen (Kostenpunkt einstellige Millionenbeträge; bei neu zuzulassenden Arzneimitteln zweistellige). Man sollte sich auch bewusst sein, dass alle Registrierungen und Zulassungen anthroposophischer Arzneimittel in Deutschland auf den Regelungen der sogenannten Nachzulassung anthroposophischer Arzneimittel beruhen. Gibt man eine solche Zulassung auf, steht einem später für die Wiedereinführung eines solchen Arzneimittels nur noch die extrem teure Neuzulassung zur Verfügung. Für die allgemeine Verkehrsfähigkeit und Forschungsperspektive gilt daher im Augenblick faktisch: ‹They’ll never come back›, wenn man die industrielle Herstellung eines zugelassenen Arzneimittels beendet.

Derzeit noch offen ist das künftig in Frankreich verfügbare Fertigarzneimittelsortiment der Weleda, das aufgrund deutlich erhöhter behördlicher Anforderungen und stark gesunkener Umsätze (nach Abschaffung der Erstattung in Frankreich 2021) im Vergleich zu dem bis dahin verfügbaren Sortiment noch sehr viel stärker reduziert werden wird. International hat der homöopathische Arzneimittelhersteller DHU in den letzten Jahren sein Sortiment stark reduziert. Hersteller pflanzlicher Präparate konzentrieren sich meist auf wenige Präparate, wobei vor allem die Firmen erfolgreich sind, die auch klinische Studien zu ihren Präparaten durchführen

Für die Verkehrs­fähigkeit und Forschungsperspektive gilt: ‹They’ll never come back›, wenn man die industrielle Herstellung eines zugelassenen Arzneimittels beendet.

Dem Maßstab der pharmazeutischen Industrie unterworfen

Seit Jahrzehnten ist die Arzneimittelherstellung von Weleda und Wala defizitär und wird in beiden Firmen von Gewinnen in der Naturkosmetik quer mitfinanziert – wobei die Firmen andererseits für ihre hochwertigen Kosmetikprodukte in vieler Hinsicht auch von ihrem pharmazeutischen Know-how profitieren. In den letzten 30 Jahren sind die behördlichen Anforderungen an den Herstellprozess und damit die Herstellkosten enorm gestiegen und orientieren sich immer weitgehender am Maßstab der chemisch-pharmazeutischen Industrie (in der aufgrund des Preisdrucks und der behördlichen Anforderungen kein einziger Arzneimittelausgangsstoff mehr in Deutschland hergestellt wird, sondern die meisten aus Südostasien kommen). So ist der Energieverbrauch der Wala so groß wie der der ganzen Gemeinde Bad Boll mit 5200 Einwohnern, und das ist weitgehend den Vorschriften zur Einhaltung einer konstanten Temperierung, von Reinluftbedingungen etc. geschuldet. Inwieweit diese Vorschriften ökologisch sinnvoll und für naturbasierte Arzneimittel so notwendig sind, ist sicher zu hinterfragen. Tatsache ist, dass die weitgehend durch staatliche Auflagen bedingten und gestiegenen Herstellkosten bei der oft nur geringen Chargengröße nicht voll an die Kunden weitergegeben werden können bzw. die Arzneimittel dann, wenn sie von den Kassen nicht erstattet werden und die Kosten sich den wahren Herstellungskosten annähern, nur noch für einen Teil der Bevölkerung erschwinglich sind. Eine (weitere) Reduktion der Sortimente war deshalb für beide Hersteller 2022 unvermeidlich, um die wirtschaftliche Grundlage der Arzneimittelherstellung zu sichern.

Arzneimittel in der Apotheke. Foto: Weleda AG/ Die Jäger von Röckersbühl

So verträglich wie möglich

In dieser Situation führten die Ärztinnen und Ärzte von IMKA – der für diese Frage zuständigen ärztlichen Koordination der Medizinischen Sektion – mit den Vertretern von Wala und Weleda jeweils Gespräche, in denen jedes einzelne Arzneimittel, jede einzelne Potenzstufe auf ihre Bedeutung für die Anthroposophische Medizin hin erörtert und evaluiert wurde. Dabei bildete das Vademecum Anthroposophische Arzneimittel, das das aktuelle Arzneimittelwissen von knapp 300 anthroposophischen Ärztinnen und Ärzten in Form von 2700 Erfahrungsberichten aus 19 Ländern erfasst hat, eine wesentliche Grundlage. Die Medizinische Sektion einschließlich ihrer Leiter Matthias Girke und Georg Soldner und weitere namhafte Arzneimittelexpertinnen und -experten der anthroposophischen Ärzteschaft waren hier in den letzten Jahren in großem Zeitumfang aktiv, damit die wirtschaftlich unumgänglichen Anpassungen der Arzneimittelsortimente von Wala und Weleda für Patienten und Ärztinnen so verträglich wie möglich ausfielen, weiterhin Anthroposophische Medizin in ihrer fachlichen Differenzierung möglich bleibt und ein möglichst sinnvoller Konzentrationsprozess der Sortimente stattfindet. So schmerzhaft dieser Verlust gerade für erfahrene Ärztinnen und Ärzte ist, so kann die nun erfolgte Konzentration der Sortimente auf eine geringere Zahl besonders wichtiger und wirksamer Arzneimittel andererseits auch den Einstieg in den Gebrauch anthroposophischer Arzneimittel erleichtern – sei es für die jüngere Generation, sei es für erfahrene, offen gesinnte Ärztinnen und Ärzte, die sich neu für Anthroposophische Medizin interessieren. Die Sortimentsreduktion soll nicht nur die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelherstellung erhöhen und damit ihren Erhalt sichern, sondern auch Kräfte freisetzen für die Erforschung und weitere Entwicklung der Arzneimittel. Das gemeinsame Ziel aller Beteiligten ist die nachhaltige Verfügbarkeit dieser Arzneimittel und die Schaffung ausreichender wissenschaftlicher Evidenz für einen tragenden Kern des Arzneimittelsortimentes als einer notwendigen Voraussetzung für die verbesserte Kommunikation und Sichtbarkeit sowie das Verständnis ihrer Wirksamkeit. Das alles dient dem Ziel, dass zunehmend mehr Menschen von diesen Arzneimitteln profitieren können.

Studien als Fundament für das Wachstum

Wie kann dieses Ziel erreicht werden? Ein einfacher Grundsatz ist der, dass langfristig die Stellung eines Arzneimittels am Pharmamarkt von der Forschung abhängt, die in das Mittel investiert wird. Hier stand jahrzehntelang bei Wala und Weleda im Vordergrund, die ständig wachsenden behördlichen Bedingungen zu erfüllen, um die Mittel wie bisher am Markt halten zu können. Forschung und eine proaktive Pharmastrategie aber erfordern mehr, insbesondere aufwendige Studien zur Wirksamkeit der Arzneimittel, die auch solche Ärzte und Patientinnen von der Wirksamkeit anthroposophischer Arzneimittel überzeugen können, die zunächst der Anthroposophischen Medizin noch fernstehen. Bisher existieren solche Studien vor allem für anthroposophische Mistelpräparate, deren heutiger Status als ein weit über die Anthroposophische Medizin hinaus international bekanntes Arzneimittel, das (je nach Hersteller) in knapp 20 Ländern der Welt eine Marktzulassung hat, sich dieser Forschung verdankt. Entsprechende klinische Studien sind aber auch zumindest für einen tragenden Kern der Arzneimittel von Wala und Weleda notwendig, darunter auch einzelne Externa und potenzierte Arzneimittel. Solche Studien bilden ein wesentliches Fundament dafür, dass der Gebrauch der Mittel zunehmen kann, weil sie dadurch weiteren Kreisen bekannt und zugänglich werden. Finanziell spiegelt sich dieser Gesichtspunkt in der Sortimentsfrage darin, dass auf Dauer das industriell hergestellte und zugelassene Arzneimittelsortiment sich in seinen Produktions- und Erhaltungskosten selbst tragen sollte, weil es durch die entsprechenden Investitionen einem weiteren Patientinnen- und Ärztekreis bekannt und entsprechend häufiger gebraucht wird. Auf der anderen Seite bedürfen die notwendigen Forschungsinvestitionen auf absehbare Zeit anderer Quellen als nur der Arzneimittelerlöse, um ausreichend rasch und in notwendigem Umfang durchgeführt werden zu können. In der aktuellen Situation kann mittelfristig nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden, dass Gewinne aus der Naturkosmetikherstellung diese Investitionen verlässlich ermöglichen, denn die Naturkosmetik bedarf selbst einer aktiven Produktentwicklung und entsprechender Investitionen, um ihre Stellung zu behaupten. Das gilt erst recht in einer Krisensituation wie der jetzigen, die auch den Naturkosmetikbereich hart trifft, was Herstellungskosten und Marktsituation betrifft. Es geht deshalb jetzt darum, die Herstellung und vor allem die Entwicklung und Forschung auf dem Gebiet anthroposophischer Arzneimittel nachhaltig zu sichern.

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