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Die sieben Kulturepochen — Eine Begegnung mit Philip Nelson

In einem Zwölftel des Jahres, in einem Monat, lernt man eine Fähigkeit, erwirbt Neues. So auch im Großen: In einem Zwölftel eines Platonischen Weltenjahres, einem kosmischen Monat von 2160 Jahren, gewinnt die Menschheit neue Fähigkeiten. So lernt sie im alten Ägypten, Zeichen zu lesen, sich über die Gegenwart zu erheben. Sie lernt in persischer Zeit, Himmel und Erde, Gut und Böse zu scheiden. ‹Kulturepochen› nennt Rudolf Steiner diesen großen Atem menschlichen Werdens. 15 Jahre hat Philip Nelson an dem Bilderzyklus zu den Kulturepochen gearbeitet – erst in einer Reihe in 60 × 45 Zentimetern, dann groß in 120 × 90 Zentimetern. Jetzt zeigt er in einer Ausstellung die zwei mal sieben Bilder.


Fünfter oder sechster Stock der Universität von Maryland/USA. Dort entdeckte Philip Nelson in der Bibliothek 1971 Bücher von Helena Blavatsky und Rudolf Steiner. Es sei viel Staub auf den Bänden gewesen, sodass wohl seit vielen Jahren niemand sie aus dem Regal gezogen hätte. Für vier Monate kam er dann Tag für Tag dort hinauf und habe sich von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends in Werke von Rudolf Steiner vertieft. «Als 21-Jähriger wusste ich, dass dies stimmt.» Nach seinem Studium der Geschichte begegnet er John Davy und folgt ihm ans Emerson College. Mit Rudolf Steiners Zyklus ‹Die Apokalypse des Johannes› beginnt dort sein Studium der Kulturepochen. «Diese Vorträge sind eine zweite Geheimwissenschaft», ergänzt Philip. «Ich wurde erst Klassenlehrer in Detroit und kam 1982 nach Dornach, aber die Kulturepochen haben mich nicht mehr losgelassen.»

Zur vierten Kulturepoche gehören Griechenland und Rom, welch ein Gegensatz; und in Griechenland gibt es mit dem Strom weiblicher Fruchtbarkeitsgöttinnen aus Kreta und dem männlicher kämpfender Götter aus dem Norden einen weiteren Gegensatz. Und nun doch für jede dieser so komplexen Zeiten ein einziges Bild. Wenn man als Maler Mut braucht, dann vermutlich hier. «Ja, tatsächlich, es hat Mut gebraucht, und die Hunderten Bücher, die ich über Mesopotamien, Indien oder Persien gelesen habe, lange bevor ich 2004 dann mit dem Zyklus begann, haben das nicht leichter gemacht.» Er nennt die Bilder, die nun jeweils über 2000 Jahre menschlicher Geschichte umfassen, ‹Ikonen›, ‹Archetypen› oder ‹Essenzen›. Noch einmal die Frage: Wie ist es möglich, die tausend Geschichten, tausend Figuren und tausend göttlichen Wesen jeder Epoche in ein Gemälde zu bringen? «Du musst hindurchschauen. Es sind 2160 Jahre in jedem Bild, 15 120 Jahre in allen sieben Bildern zusammen. Es war, als müsste ich dazu die Kunst und alle kreative Kraft zur Seite legen und es aus einer anderen Sphäre holen. Deshalb sage ich, dass die Bilder von mir sind und doch nicht von mir.»

Links: Skizze zur Komposition der sieben Kulturepochen von Philip Nelson. Rechts: Holzasche, Planetenmetalle, Edelsteine – siebenfache Substanzkomposition. Foto: Monica Nelson

Die zwölf Tierkreisbilder (2003) als abstrakte Malerei von Philip Nelson waren ein Projekt im Raum, denn Stier, Waage und Löwe sind am Himmel nebeneinander. Die Kulturepochen folgen nacheinander, hier geht es um die Zeit. Mit dem Bilderzyklus wird ‹zum Raum hier die Zeit›. Und in diesen Raum, so Philip Nelson, müsse er die Zeit hineinsetzen. Die Zeit käme hinein, indem man das, was man denke, dann mache. Das seien zwei so vollständig verschiedene Dinge, die Idee und die Tat, denn erst die Tat sei die Prüfung. Rudolf Steiner spricht auch vom Doppelgänger, dem Ungeist einer Zeit, wenn er darauf hinweist, man müsse sich vom Gespenst Griechenlands, vom Gespenst Roms befreien. Also frage ich ihn, ob er beim Malen auch diesen Schattenwürfen der Kultur­epochen begegnet sei. «Dem begegnet man jeden Tag im Atelier. Rudolf Steiner hat einmal gesagt, dass jeder, der schöne Bilder malen wolle, den Gegenkräften begegnen müsse.» Sie müssten im Atelier sein dürfen. Und, so frage ich, gibt es dabei das Gefühl, etwas zu erlösen? Wenn wir das Vergangene anschauen und mit solch einem Zyklus es vergegenwärtigen?

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Du musst hindurchschauen. Es sind 2160 Jahre in jedem Bild, 15 120 Jahre in allen sieben Bildern zusammen. Es war, als müsste ich dazu die Kunst und alle kreative Kraft zur Seite legen und es aus einer anderen Sphäre holen. Deshalb sage ich, dass die Bilder von mir sind und doch nicht von mir.

Philip Nelson antwortet überraschend: In den letzten sechs oder acht Monaten habe er sich immer wieder gefragt, wie er denn jetzt weitermalen könne, wo diese Bilder nun ‹da› seien. Dies Gefühl, dieses Grenzerlebnis habe er nie zuvor gehabt, denn er fühle sich nun frei und erlöst. Es müsse nun wohl etwas Neues kommen, etwas, das vielleicht jenseits von Malerei liege. Ob die Bilder die Anthroposophie seines künstlerischen Schaffens seien, frage ich. «Ja – und sie sind mein Schild, denn Anthroposophie ist mein Schild.» Das ist eine Beschreibung, die nachdenklich stimmt: Das eigene Werk, mit dem man sich selbst heraussetzt, bedeutet einen Schutz, einen heiligen Schutz – weil damit etwas tief Persönliches, was zugleich Teil der Welt ist, anschaulich wird.


Philip Nelson

Philip Nelson

Bei aller Stofflichkeit der Bilder – denn er hat Edel- und Halb­edelsteine und Metalle darin verarbeitet – folgen sie geometrischer Struktur. Philip Nelson beschreibt, dass er immer wieder versucht habe, diesen geometrischen Rahmen zu brechen, und doch dabeigeblieben sei, weil er diesen Formen gegenüber gleichsam eine innere Verpflichtung gefühlt habe. Er könne nun weitere Variationen malen, würde aber diesem geometrischen Kanon treu bleiben. Dann frage ich etwas für jeden Künstler wohl nur schwer Beantwortbares: Woher kommt diese Sicherheit, dass es so sein müsse? Es sei, so beschrieb er es, seine innere christliche Beziehung. Dabei sei die größte Schwierigkeit gewesen, ungegenständlich zu malen, das habe ihn zu einer Art westlicher Ikone oder einem Mandala geführt – einer Meditation. «Ich habe Kinder, Erwachsene, Architektur, Schiffe und Tiere gemalt – das kennt man. Die Kulturepochen sind anders, sie fordern uns heraus, mit einem anderen Bewusstsein zu schauen.»

Bevor wir das Gespräch vor den Bildern fortsetzen, stelle ich noch eine Frage: «Die Kulturepochen fassen Stufen des menschlichen Schicksals, des menschlichen Werdens und zugleich sind sie Zeiten bestimmten göttlichen Wirkens. Wen hattest du im Auge?» Philip Nelson: «Wir alle sind in den Bildern drin. Zur Ausstellung kommen zur Hälfte Menschen, die mit Anthroposophie kaum oder gar nicht vertraut sind. Sie werden sich auch darin finden, da bin ich mir sicher. Dafür malt man.» So in die Zeit zu gehen bedeute, so frage ich ihn, auch eine Katze gegen den Strich zu bürsten, denn gegenwärtig wandelt sich die Welt so schnell, dass alle geschichtliche Perspektive verblasst und es zugleich unvorstellbar ist, weit in die Zukunft zu blicken. «Ich fühle mich manchmal ziemlich einsam», ist seine Antwort.

 


2004–2010, Quarzsand, Edelsteine, Halbedelsteine, Acryl, Gouache, Pastell, Aquarell, Öl, Gold, Silber, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

2004–2010, Quarzsand, Edelsteine, Halbedelsteine, Acryl, Gouache, Pastell, Aquarell, Öl, Gold, Silber, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

 

Urindische Kulturepoche, 7227–5067 v. Chr.

Wolfgang Held Es ist der erste Schritt, also klingt die Erinnerung an das Vorige, die Gemeinschaft mit den Göttern. Es ist die Gegenwart des Vergangenen. Philip Nelson Hier ist die stärkste Bewegung vom Himmel auf die Erde. Die Erde wird ein Anker für den Kosmos. Es geht auf die Erde. Es ist die große Inkarnation. Der Frühlingspunkt der Sonne steht im Krebs. Krebs ist das Bild der Verdichtung. Im Zentrum dieses Bildes leuchtet Praesepe, die Krippe. Im Mitraskult tritt hier die Seele auf dem Weg zur Inkarnation in die Zeit. «Tat Tvam Asi» (Das bist du!), so lautet die Verkündigung in den indischen Veden, dem Echo aus dieser mythischen Urzeit. Dieses Bild hat mich, schon bevor es fertig war, gerufen, «Tue es, Philip, do it.» – Von allen diesen sieben Bildern ist dieses Bild, wenn ich das so sagen darf, – das tiefste – auch substanziell.

 


2004–2010, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

2004–2010, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

 

Urpersische Kulturepoche, 5067–2907 v. Chr.

Die Frühlingssonne zieht in die Zwillinge, das Tierkreisbild mit zwei Hauptsternen, Castor und Pollux. In die persische Zeit fällt die neolithische Revolution. Die Menschen bleiben, arbeiten an und mit der Erde. Erfahrung vom Widerstand, der Weg in die Stadt, wo nicht mehr Natur- und Sonnenlauf den Weg zeigt, sondern der Entschluss – oben oder unten, gut oder böse. Jetzt sind wir auf der Erde – links oder rechts. Bei keinem anderen Bild habe ich so die Erfahrung durchlebt, mit und in das Bild sterben zu müssen. Dieses Bild war für mich das Schwierigste zu malen; ich bin an ihm beinahe zerbrochen. Zugleich war ich danach befreit. Es ist ein tiefes, dunkles Indigo im Bild. Licht kann nur aus der Dunkelheit kommen, nicht umgekehrt, auch wenn wir uns das manchmal anders wünschen.

 


2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

 

Ägyptisch-babylonische Kulturepoche, 2907–747 v. Chr.

Das Leben als Fest, so Jan Assmann über das antike Ägypten. Mit dem Pharao Netjerichet, 1000 Jahre später ‹Djoser› genannt, als ‹den, der den Stein öffnet›, beginnen wir zu bauen, um «die Welt des Wandels mit dem Bild des Ewigen auszustatten». Wie oben, so unten. Die Sonne im Stier ist eine zweite Ankunft auf der Erde. Mit Keilschrift und Hieroglyphen hält man das Vergangene und befreit sich vom Lauf der Zeit. Mit Echnaton und Moses kommt die Idee des ‹einen› Gottes. Geburt des einen Ich, der einen Persönlichkeit. Ich fühle mich wie ein Mensch, wenn ich dieses Bild anschaue. Es ist nicht fremd. Hier sehe ich schon Innen und Außen. Ich saß immer und immer wieder in der Ausstellung über Thutmosis III. im Antikenmuseum in Basel. Jeden Tag die neue Geburt der Sonne.

 


2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Eisen, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Eisen, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

 

Griechisch-römische Kulturepoche, 747 v. Chr.–1413 n. Chr.

Griechenland ist die Mitte, eine Kultur, die keine Erlösung nach dem Tode kennt – Schatten im Reich der Schatten. Und doch feiert sie das Leben wie keine andere Kultur, bringt Kunst und die Wissenschaft zur Welt – die Geburt der Seele. Christus kommt auf die Erde. – Griechenland ist meine Heimat. ‹Philip› ist ein griechischer Name. Die Odyssee lese ich alle paar Jahre. Die klassisch griechischen Münzen studiere ich – die Motive sind perfekt, künstlerisch vollkommen. Woher kommt das Eisen im Bild? Aus Elba, dort sah ich eine Pyritmine, wo ich Eisenstückchen sammelte. Dieses Metall hat Magie – vor allem mit dem Gold.

 


2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Silber, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Gold, Silber, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

 

Germanisch-angelsächsische Epoche, 1413–3573 n. Chr.

Die freie Persönlichkeit hat Gott gelassen. Die Sonne ist im Frühling in den Fischen – heimatlos, haltlos sind sie und zugleich sind in diesem Bild die Fische aneinander gebunden. Welch ein Widerspruch. Wir sind frei und wir sind überhaupt nicht frei. Die Prüfung beginnt, ob wir die Freiheit gewinnen. Wir sehen, wie schnell es kommt, wir können ihr nicht ausweichen – in keiner Richtung. Wir ergreifen die Welt und drohen sie zu vernichten. Das Geheimnis des Bösen nennt Rudolf Steiner hier in seiner Reihe der sieben Lebensgeheimnisse. Es ist die Epoche der Frage.

 


2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Kupfer, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

2004–2018, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Aquarell, Öl, Kupfer, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm

 

Slawische Kulturepoche 3573–5733 n. Chr.

Die Zwillinge repräsentieren das Kind, die Jungfrau den Erwachsenen, und der Wassermann zeigt den reifen Menschen, der Leben zu schenken vermag. Dort ist die Frühlingssonne. Das Ich verwandelt die Seele – Innen und Außen in Harmonie. In diesem Bild konnte ich arbeiten und arbeiten, aber die Substanz ließ sich nur schwer verdichten. Erst von Nahem erscheint die Tiefe. Man ist frei zu schauen, ob man selbst hineinkommen kann. Die Struktur ist da. Es braucht uns, dass wir in dieser Zeit leben werden. Hier kommt die runde Form hinzu. Es spiegelt sich Persien, doch hier wird aus Trennung Öffnung.

 


2004–2014, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Öl, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm.

2004–2014, Quarzsand, Edelsteine, Acryl, Gouache, Öl, Holz auf Leinwand, 120 × 90 cm.

 

Amerikanische Kulturepoche 5733–7893 n. Chr.

Zu dieser fernen Zukunft gehört in der Reihe der Lebensgeheimnisse nach Rudolf Steiner ‹das Geheimnis der Gottseligkeit›. Leben in Gott? Das Ich ergreift das Leben. Der Zwischenraum wird durchseelt. – Und dann sieht Rudolf Steiner eine Apokalypse. Einen Kampf ‹alle gegen alle›. Auch das zeigt sich schon am Horizont. Wir verstehen einander nicht, erlauben den Kompromiss nicht. Sich frei als Glied des Ganzen zu fühlen, ist das das Rot? Das Leben muss in das Rot. Wie im Blut? Jetzt ist es geistiges Leben. Gespräch zwischen Philip Nelson und Wolfgang Held vor den Bildern.


Alle Bilder © Philip Nelson

Ausstellung von Philip Nelson: 26. Oktober bis 1. Dezember, ‹Presence, the new work›. Donnerstag, Samstag, Sonntag, 14–18 Uhr. Atelierhaus, Brunnweg 3, 4143 Dornach. Eröffnung: Samstag, 26. Oktober, 17 Uhr.
Zur Ausstellung erscheint das Buch ‹Die sieben Kulturepochen› in limitierter Auflage.

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